Print Friendly, PDF & Email

Manfred A. Schmid bespricht:
Wann kommt der nächste Schwan?
Das Warten wird prolongiert.
Zur „Lohengrin“-Neuinszenierung
an der Wiener Staatsoper

Zehn Jahre lang schon fragten sich die Opernbesucher am Ende der Ärgernis erregenden Musikantenstadel-Inszenierung von Andreas Homoki: Wann kommt endlich der nächste Schwan? – Jetzt schien es soweit. 

Da dieser Schwan aber nicht neu ist, sondern als Koproduktion schon 2022 bei den Salzburger Pfingstfestspielen zu erleben und dort, was die Inszenierung betrifft, mehrheitlich gar nicht gut aufgenommen worden war, waren die Erwartungen für die Wiener Premiere mehr als gedämpft.

David Butt Philip (Lohengrin) und Ensemble. Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn David Butt Philip (Lohengrin) und Ensemble. Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Das eine Zeitlang hoch gehandelte Team Jossi Wieler/Sergio Morabito ist, seit es sich mit der Ausstatterin Anna Viebrock in ein Trio verwandelt hat, kaum mehr mit stimmig durchdachten, exemplarischen Produktionen aufgefallen. An der Wiener Staatsoper hat sich zuletzt ihre Inszenierung von Monteverdis Il ritorno d’Ulisse in patria rettungslos in Viebrocks Bühne verlaufen. Bekanntlich hat der heldenhafte Ulisses auf seiner jahrelangen Heimreise viele Hemmnisse zu überwinden, aber dass er aus dem an einen Dschungel erinnernden Caritas-Möbeldepot im letzten Akt schließlich doch noch herausfinden kann, grenzte tatsachlich an ein Wunder.

:Martin Gantner (Telramund) und Amja Kampe (Ortrud) Martin Gantner (Telramund) und Amja Kampe (Ortrud) Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Von der Staatsoper, an der Morabito als Chefdramaturg sein regietheaterliches Unwesen treibt, wird dieser Lohengrin als spannungsgeladener Krimi angepriesen. Man sieht Elsa, noch während des wunderbar zarten, von Sphärenklängen durchfluteten Vorspiels, wie sie ihren Bruder Gottfried zurück ins Wasser stößt. Ein klassischer Fall von Brudermord. 

Beobachtet wird sie dabei von Ortrud, die den Vorfall dazu nützen wird, um ihre Rivalin zu entlarven und ihren Mann Telramund zum Herrscher von Brabant zu machen, stammt sie doch selbst von den früheren Machthabern ab. So weit, so gut und auch nicht mehr ganz neu.

In weiterer Folge aber gibt es – außer dem als Gottesurteil geltenden Duell Lohengrins mit Telramund, bei dem sein Gegner allerdings nicht, von ihm getroffen, zu Boden sinkt, sondern wohl so etwas wie einen Herzinfarkt erleidet – kein Beweisverfahren. Am Schluss ersticht der wieder leibhaftig aus dem Wasser aufgetauchte Gottfried seine Schwester. Das muss also genügen, um Elsas Schuldhaftigkeit zu bestätigen. 

Warum die erlauchte Gralsritterschaft ausgerechnet zur Rettung einer Mörderin ihren Repräsentanten Lohengrin auf einem Schwan, der noch dazu auf wundersame Weise der Bruder sein soll, nach Brabant schicken sollte, und wer dann das Wunder bewirkt, dass Gottfried von einem Schwan, den man in dieser Inszenierung allerdings nicht zu sehen bekommt, wieder zu einem Menschen wird, bleibt unbeantwortet. 

Dass dahinter die von Ortrud angerufenen alten Götter, Wodan und Freia, stehen sollten, und dass es ihnen dabei gelingen müsste, auch die Gralsritterschaft für ihre Pläne zu instrumentalisieren, wäre eine mehr als absurde Annahme.

Ensemble (Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn) Ensemble (Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn)

Wie in jedem Krimi wäre hier auch die Frage der Motive für Elsas Untat zu klären gewesen. Wer diese Elsa ist und was sie will, wird leider nicht herausgearbeitet. Wenn sie tatsächlich ihren Bruder wegen Machtstrebens umgebracht hätte, dann müsste man von diesem politischen Ehrgeiz als Antriebsfeder mehr zu sehen bekommen. Davon ist aber kein Fünkchen auszumachen. Elsa bleibt lethargisch und passiv. Das Einzige, was sie interessiert, sind Name und Herkunft ihres Bräutigams.

Neben dieser vertrackten religiösen Ebene und dem psychologischen Krieg rund um das Streben nach Macht wird in dieser Inszenierung noch ein weiteres Problemfeld thematisiert. Es geht auch um einen gewaltbereiten Polizeistaat, der das Volk einschüchtert und mittels Schauprozessen manipuliert. 

Die Kostüme, ebenfalls von Viebrock, vor allem die Uniformen der bis an die Zähne bewaffneten Soldaten, changieren zwischen dem 1. und dem 2. Weltkrieg. Am Schluss stehen die Bataillone bereit für den nächsten Einsatz, bei dem sie aber nicht mehr von Lohengrin, sondern von Gottfried angeführt werden. 

Auch diese Interpretation konnte man schon oft auf der Bühne sehen. Diesmal hat es eher den Anschein, dass das leading team sich nicht sicher war, ob das Krimi-Konzept tragfähig genug sein könnte, oder sich einfach nicht für nur eine Variante entscheiden konnte. So wirkt die Handlung auf der ästhetisch völlig reizlosen Bühne, die eine nüchterne Hafengegend darstellt, jedenfalls ziemlich wirr und überfrachtet. Grotesk auch, dass die Hauptakteure bei der Zusammenkunft mit dem König über Absperrungen klettern müssen, Elsa inbegriffen. Sportlich, gewiss. Aber sinnvoll?

Wenn hier aber etwas spannend ist, dann ist das allein dem Schöpfer Richard Wagner, seinem Libretto und seiner Musik zuzuschreiben und nicht dem leading team. Ganz in Gegenteil, das Original erweist sich als so stark, dass es diese lästigen Eingriffe weitgehend vergessen macht. 

Man hört resigniert auf hinzuschauen und konzentriert sich vor allem auf die Musik. Das lohnt sich. Mit Christian Thielemann hat die Staatsoper gewiss den derzeit besten Wagner-Dirigenten bestellt. Er und das vorzügliche Staatsopernorchester, in weiterer Folge auch der um den Extrachor und die Chorakademie erweiterte Staatsopernchor, sind die grandiosen Säulen dieses Opernabends, der aus der Premiere ein musikalisches Ereignis der Extraklasse macht. 

Die romantische Fülle der Partitur wird so zu blühendem Leben erweckt und erklingt in all den Schattierungen und Farben, von denen einst schon Friedrich Nietzsche geschwärmt hat: Im Lohengrin gibt es viele blaue Musik. Wagner kennt die opiatischen und narkotischen Wirkungen und braucht sie gegen die ihm gut bewußte nervöse Zerfahrenheit seiner musikalischen Erfindungskraft.

Thielemann hat ein feines Gespür für die Leistungsfähigkeit der Stimmen auf der Bühne und deckt sie nie zu, was diesmal besonders wichtig ist. Denn die Besetzung ist leider nicht gerade überragend. Musikalisch wird die Aufführung zu Recht stürmisch gefeiert, vor allem Thielemann, der den größten Applaus einheimst, aber auch den Sängerinnen und Sänger wird gebührender und durchaus abgestufter Beifall gezollt. 

Das für die Inszenierung verantwortliche Team wird mit Buhs abgestraft. Nicht allzu heftig, und das ist gut so: Man sollte Ihnen nicht zu viel Beachtung schenken. Die verdienen sie nicht.

Der Ärger aber, den diese graue und triste Inszenierung auslöst, wird bleiben. Dafür wird Herr Morabito, Chefdramaturg des Hauses, schon sorgen. 

Die besorgte Frage Wann kommt der nächste Schwan? wird das Opernpublikum also leider noch lange weiter beschäftigen.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Manfred A. Schmid

Manfred Schmid hat am Konservatorium in Klagenfurt Violine und Tonsatz und an der Universität Wien Philosophie und Psychologie studiert. An der University of Strathclyde in Glasgow, wo er als Lektor tätig war, hat er ein Postgraduate-Studium der Literaturwissenschaft absolviert. Nach einigen Jahren als Universitätsdozent an der Universidad Nacional dé Mexico kehrte er nach Österreich zurück, wo er zunächst als Cheflektor und Verlagsleiter die Edition S, den Belletristik-Zweig des Verlags der Österreichischen Staatsdruckerei, leitete. Es folgten rund zehn Jahre als Redakteur bei der Wiener Zeitung (Medienressort-Leitung, Theater- und Musikkritik, Kolumnist der „Extra“-Beilage) und eine mehrjährige Tätigkeit als Trainer und Coach (Kommunikation, Berufsorientierung). In der Pension schreibt Schmid regelmäßig Opernkritiken auf www.onlinemerker.com und widmet sich intensiv dem Komponieren – eine Leidenschaft, die ihn seit der Kindheit bis heute begleitet.

Schreibe einen Kommentar