"Wir brauchen keine gewerbsmäßig bezahlte Selbstmordhilfe!"
Die Denunzierung des selbstbestimmten Lebensendes durch einen in sich unsinnigen Begriff
Leider wurde durch die Corona-Krise auch dieses wichtige Thema in den Hintergrund gedrängt: Ende Februar 2020 fällte das Deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein auch für Österreich sehr bedeutsames Urteil. So wurde das 2015 in Deutschland eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe als verfassungswidrig aufgehoben, und zwar mit der Begründung, dass es ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ gebe. Dies schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und dabei Angebote von Dritten in Anspruch zu nehmen. Der gekippte Strafrechtsparagraph verletzt dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtshofs zufolge auch Grundrechte von Vereinigungen, die Suizidhilfe leisten möchten. Die Umsetzung einer Entscheidung zur Selbsttötung sei davon abhängig, „dass Dritte bereit sind, Gelegenheit zur Selbsttötung zu gewähren, zu verschaffen oder zu vermitteln“. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass das Urteil der Deutschen Richter wohl auch auf einem vorausgehenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs beruht, wonach es ein Menschenrecht sei, Art und Zeitpunkt des eigenen Sterbens selbst zu bestimmen. (20. Jänner 2011, Nr. 3132207, Haas gegen die Schweiz)
Es ist davon auszugehen, dass beide Urteile auf die Rechtsprechung auch der österreichischen Gerichtsbarkeit Einfluss haben werden, zumal ein diesbezügliches Grundsatzurteil für spätestens Herbst 2020 erwartet wird. Ein Antrag an den österreichischen Verfassungsgerichtshof wurde am 29. Mai 2019 von vier betroffenen, sterbewilligen Personen eingebracht, um eine Aufhebung des Verbots von Sterbehilfe auch in Österreich zu erreichen. Perfekt orchestriert schickte denn auch die katholische Kirche in Ethikbeiräten und bei Opus Dei tätige Damen an die publizistische Front, um vor und nach dem Deutschen Urteil in Presseartikeln, Radiostatements und Fernsehberichten die ablehnende Haltung gegen jegliche Art von Sterbehilfe in der öffentlichen Debatte zu implementieren. Offensichtlich ist die Autorität der männlichen Vertreter des christlichen Glaubens auch aus innerkirchlicher Wahrnehmung durch eine nicht abreißende Serie sexueller Verfehlungen derart ramponiert, dass mehr auf Frauenpower gesetzt wird. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sich rechtzeitig vor dem Wiederhochfahren des gesellschaftlichen Lebens nach der Corona-Krise die prominenteste ideologische Begleitdame hoher kirchlicher Würdenträger in der „Kleinen Zeitung“ Graz zurück meldete. Die durch den Korruptionsskandal Herberstein politisch desavouierte ehemalige Landeshauptfrau der Steiermark, inzwischen zur Vorsitzenden der Honorarauszahlungsstelle zur Entschädigung für sexuellen Missbrauch durch kirchliches Personal berufene Waltraud Klasnic versuchte bereits vor Jahren, gemeinsam mit dem Caritaspräsidenten und damit auch dem obersten Herrn über die Österreichische Hospizbewegung, Michael Landau, ein Verbot der Sterbehilfe in den Verfassungsrang zu heben. Immerhin verfügt Österreich selbst innerhalb der konservativen Parteien noch über genügend liberale Kräfte, dass ein solcher, jeglicher Humanität widersprechender Unsinn erfolgreich verhindert werden konnte. Dessen ungeachtet fährt die Kirchenleitung fort, in der Öffentlichkeit immer wieder Stellungnahmen zu lancieren, deren Aufgabe weniger darin zu bestehen scheint, offen zu argumentieren, als vielmehr auf denunziatorische Art das von höchsten Gerichten verbriefte Menschenrecht auf ein je eigenes, selbstbestimmtes Lebensende in das Licht von Kriminalität, Mord, ja gar Massenmord und übelster Geschäftemacherei zu rücken.
Da diese Öffentlichkeit niemals einen Ethikunterricht abseits religiös imprägnierter Ethik erhielt, steht sie solchen Marketingaktivitäten denn auch wehrlos gegenüber. Unwidersprochen kann Frau Klasnic daher mit Sätzen vor das Publikum treten, deren Infamie ihr möglicherweise nicht einmal selbst bewusst ist, was jedoch in Anbetracht ihrer Vergangenheit als Politikerin durchaus angezweifelt werden darf. So behauptete sie in der Ausgabe der „Kleinen Zeitung“ vom 25. April 2020 vollmundig:
„Wir brauchen keine gewerbsmäßig bezahlte Selbstmordhilfe.“
Es lohnt sich, die wenigen Worte genauer unter die Lupe zu nehmen. Der entscheidende Punkt nämlich, durch den sich ein Mord von allen anderen Todesarten unterscheidet, ist die Tatsache, dass der Ermordete durch die bewusste Gewalteinwirkung eines anderen gegen seinen Willen getötet wird. Dieses entscheidende Moment entfällt beim sogenannten Freitod bzw. bei einer Selbsttötung vollständig: wer sich selbst oder mit Beistand eines Arztes tötet, willigt in seinen eigenen Tod aus freien Stücken ein. Somit erhebt sich die Frage, wie es jemals zu einem derart irreführenden Begriff wie „Selbstmord“ überhaupt kommen konnte? Um dies zu klären, ist es zu wissen unabdingbar, dass nach kirchlicher Lehre – und sie bestimmte das moralische Verhalten der Menschen in Europa über Jahrhunderte – nicht der Mensch Eigentum seines Lebens ist, sondern Gott.
„Jeder ist vor Gott für sein Leben verantwortlich. Gott hat es ihm geschenkt. Gott ist und bleibt der höchste Herr des Lebens. Wir sind verpflichtet, es dankbar entgegenzunehmen und es zu seiner Ehre und zum Heil unserer Seele zu bewahren. Wir sind nur Verwalter, nicht Eigentümer des Lebens, das Gott uns anvertraut hat. Wir dürfen darüber nicht verfügen.“ Katechismus 2280
Eine Beschäftigung mit dem selbstbestimmten Lebensende führt aus christlicher Sicht, übrigens ganz im Gegensatz zu den Lehren vieler antiker Philosophen, also zwangsläufig zur Erkenntnis, dass der Mensch nicht über etwas verfügen kann, das ihm nicht gehört. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass sich die Beendigung des Lebens eines Menschen durch sich selbst in Wahrheit gegen Gott als den Eigentümer des Lebens richtet. In diesem Sinne wird der Selbstmord also zurecht als Mord bezeichnet, da Gott zumindest nach Ansicht jener, die befähigt sind, seinen Willen zu interpretieren, mit der Tötung eines Selbst durch den Verwalter desselben im Sinne von Veruntreuung seines Eigentums nicht einverstanden sein kann. Folgerichtig wurden denn auch Selbstmörder außerhalb des Friedhofs, also außerhalb der spirituellen Gemeinschaft und als Feinde der göttlichen und somit auch weltlichen Ordnung verscharrt. Der Begriff „Selbstmord“ ist somit ein christliches Erbe, das in einer Zeit, in der sich immer weniger Menschen zu den weltanschaulichen Grundlagen von Religionsgemeinschaften bekennen, mitnichten für alle Bürger eines Staates moralisch verbindlich sein kann.
Aber nicht nur für die Religionen ist es ein höchstes Ziel, im Sinne ihrer Doktrinen den Menschen seiner selbst zu enteignen. Auch für den Staat gibt es keine effizientere Methode, die Herrschaft über seine (!) Untertanen anzutreten, indem ihnen der letzte Ausweg, die radikalste Freiheit, das selbstbestimmte Lebensende moralisch diskreditiert und gesetzlich unter Strafe gestellt wird. Wem es gelingt, die letztgültige Kündigung der Lebensverhältnisse oder die Flucht vor dem Unerträglichen zu verhindern, schafft sich also damit die Möglichkeit, Qual und Folter zuerst als Drohkulisse aufzubauen und, im Falle, dass dies nichts nützen sollte, durch rücksichtslosen Vollzug zu verwirklichen.
Dies gilt in besonderem Maße für das Preußen unter Friedrich dem Großen, eine Ära, die unter dem verharmlosenden Titel „Aufgeklärter Absolutismus“ in die Geschichte einging und die aufgrund ihrer Bedeutung für die Entstehung der Deutschen Nation niemals rücksichtslos genug auf ihre wahre Blutrünstigkeit und diktatorische Struktur hin untersucht wurde. So verfügte Preußen unter Friedrich dem Großen über ein stehendes Heer von 193.000 Soldaten, die unter der bäuerlichen Bevölkerung meist durch Alkoholisierung und üble Tricks, ja geradezu durch Menschenhatz akquiriert wurden und im Falle von Ungehorsam oder gar Desertion grausamste Züchtigungen zu gewärtigen hatten. So dürfte den meisten Zeitgenossen auch heute noch der Begriff des Spießrutenlaufs geläufig sein, eine Praxis, bei der der Delinquent durch seine eigenen Kameraden qualvollst zu Tode geprügelt wurde.
„Im Zeitalter des Absolutismus wurde der Spießrutenlauf zum festen Bestandteil der Disziplinargewalt. Unter Aufsicht von Offizieren bildeten ein- oder mehrere hundert Soldaten mit vorgestelltem Gewehr eine etwa zwei Meter breite Gasse, die der bis zum Gürtel entblößte Verurteilte mit auf der Brust zusammengebundenen Händen mehrmals langsam bei Trommelschlag durchschreiten musste. Hierbei erhielt er von jedem Soldaten mit einer Hasel- oder Weidenrute (Spieß- oder Spitzrute) einen Schlag auf den Rücken. Bei der preußischen Kavallerie wurden bis 1752 statt der Ruten Steigbügelriemen (daher Steigriemenlaufen) verwendet. Um den Verurteilten am schnellen Gehen zu hindern, schritt ein Unteroffizier voraus, der ihm eine Säbelspitze vor die Brust hielt.
Ein sechsmaliges Spießrutenlaufen durch 300 Mann an drei Tagen mit Überschlagen je eines Tags wurde der Todesstrafe gleich geachtet und hatte auch gewöhnlich den Tod zur Folge. Konnte der Verurteilte nicht mehr gehen, so wurde er auf Stroh gelegt und erhielt dann die festgesetzte Anzahl von Streichen. Um „sich den Schmerz zu verbeißen“, hielt der Verurteilte beim Spießrutenlaufen eine Bleikugel zwischen den Zähnen.“ (Wikipedia)
Das ausführliche Zitat soll anschaulich verdeutlichen, in welcher Zeit ein Immanuel Kant lehrte und Maßnahmen zu gewärtigen hatte, die unter anderem auch in der Androhung bestanden, ihm die Lehrbefugnis, also die Grundlage seines Lebensunterhalts zu entziehen. Es ist daher nur zu verständlich, dass der große Philosoph den Begriff „Selbstmord“ in kluger Anbiederung an das Regime aufgriff, um den seiner sonstigen Genialität absolut unwürdigen Zirkelschluss zu tätigen, dass Mord unter allen Umständen verwerflich sei, was daher auch für den Selbst-Mord zu gelten habe. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, als gesetzt sei, dass der Mensch nicht selbst Eigentümer seines Lebens ist, sondern, wie schon gesagt, Gott oder eben auch der drakonisch strafende Staat, dem es angelegen sein musste, seine Bürger daran zu hindern, vor seinen Grausamkeiten in den Tod zu flüchten.
Bei aller Hochachtung, die einem großen Denker gebührt, der abgesehen von seiner bis heute nicht ganz geklärten sexuellen Orientierung lebenslänglich mit der Zensur und der Gefahr zu kämpfen hatte, bei Unbotmäßigkeit im Gefängnis zu landen, sollte sein schlauer Opportunismus doch nicht ganz außer Acht gelassen werden. Für selbigen plädiert Kant übrigens ganz offen in seinem wohl berühmtesten Essay „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“, wenn er zwischen der beruflichen Verpflichtung, die jemand zu erfüllen hat, und der Rede als Gelehrter, welche die Grundlagen dieser beruflichen Verpflichtung radikal kritisieren kann, unterscheidet. Für Opportunismus spricht auch die Tatsache, dass der Philosoph sehr wohl in der Lage war, klar und verständlich zu schreiben, jedoch seine revolutionären Thesen im Hinblick auf die Abschaffung der Metaphysik in seinen „Kritiken“ vernünftigerweise hinter wahren Satzungetümen verbarg, um von der Zensur nicht belästigt zu werden.
Der Kniefall des Philosophen vor dem Regime ist an dieser Stelle deshalb von großer Bedeutung, weil der von den österreichischen Medien zum Staatsphilosophen hochstilisierte und daher durchaus meinungsmächtige Konrad Paul Liessmann sich nicht zu schade ist, den Zirkelschluss Kants mehr als 200 Jahre später bei jeder sich bietenden Gelegenheit als Argument gegen eine Liberalisierung der Sterbehilfe ins Feld zu führen. Bewehrt mit Gottes Wille und Kants Einwilligung ist es also durchaus verständlich, wenn ein Kaliber wie Waltraud Klasnic über das 116 Seiten starke Urteil des Deutschen Bundesverfassungsgerichtes wenig erbaut ist und sich befähigt fühlt, seine Argumentationen infrage zu stellen. Und so sehr ihr dies aufgrund mangelnder philosophischer und juristischer Bildung zuzubilligen ist, so unverständlich ist der Rest des Satzes, zu dem sie sich hinreißen ließ. Denn gerade ihr als ehemaliger Politikerin und nunmehriger Honorarbürovorsitzender zur Abgeltung unfreiwillig geleisteter sexueller Dienste dürfte nicht entgangen sein, dass jegliche Leistung, vor allem jedoch medizinische Leistungen professioneller, also gewerblicher Grundlagen bedürfen, für die derjenige, der sie leistet, auch eine faire Entlohnung zu erhalten hat. Die plötzliche Lobpreisung des Dilettantismus durch die Abwertung einer „gewerbsmäßig bezahlten Hilfe“ ist also wiederum nichts weiter, als eine gerade in kapitalismuskritischen katholischen Kreisen sehr beliebte Denunziation des sogenannten Kommerzes.
Bewusst nicht hinterfragt wird dabei die Tatsache, dass ein selbstbestimmtes und möglichst leidensfreies Lebensende nur dann gewährleistet ist, wenn innerhalb einer liberalen Gesetzgebung Institutionen und Personen zu Verfügung stehen, die fachlich dazu in der Lage sind, das Sterben eines Menschen zu begleiten. So steht denn auch ausgerechnet bei der schweizerischen Sterbehilfeorganisation „Dignitas“ weniger die eigentliche Sterbehilfe im Vordergrund der Bemühungen, als vielmehr die Suizideversuchsprävention. Zu groß sind nämlich die körperlichen und seelischen Schäden, die durch dilettantische und nicht fachgerechte Versuche, sich das Leben zu nehmen, verursacht werden. Auch in diesem Punkt würde eine Liberalisierung der sogenannten Sterbehilfe zur Verringerung des Leids und zu mehr Humanität beitragen.
Bestehe auf meinen eigenen Abgang!
Sehr vernünftig, ist auf jeden Fall gratis, kostet nur s’Leben.
Bestehe auf meinen eigenen Abgang
Jede gewerbsmäßig bezahlte Hilfe würde eine Gewerbeausübung voraussetzen, welches ohne Bedarf nicht existieren könnte, egal ob Handwerksgewerbe, Handelsgewerbe oder horizonzales Gewerbe.
Ich wünsche weder mir noch sonst jemandem in die Lage zu kommen, sich für eine Hilfe durch das thematisierte Gewerbe entscheiden zu müssen.
Allerdings wäre ein diesbezügliches Verbot den dafür Verantwortlichen unter die Nase zu halten, wenn sie diese Entscheidung vielleicht eines Tages für sich selbst treffen müssten.