Walter Klier
Meine Preise
Essay

Schriftsteller reden, wenn sie nicht gerade von der Kunst reden, meistens vom Geld. Fangen wir also mit dem Geld an.

Ich habe in meinem Schriftstellerleben bisher fünf literarische Preise bekommen. Statistisch lässt sich folgendes feststellen: nach einer anfänglichen Häufung nimmt die Frequenz dann später stark ab (1975, 1980, 1985, 1996, 2012); mit der nächsten derartigen Ehrung wäre demnach in ungefähr zwanzig Jahren zu rechnen, und das wäre nach menschlichem Ermessen auch schon die letzte. Es sollte sich also möglichst um den Literatur-Nobelpreis handeln, damit das Gesamtergebnis einigermaßen hinkommt.

Bei der Höhe der Preisgelder zeigt sich eine ähnliche Tendenz. Nummer eins war ein Anerkennungspreis, vergeben von der Tiroler Arbeiterkammer. Er bestand aus einem kräftigen Händedruck des damaligen AK-Präsidenten und einem Exemplar von Egon Friedells Kulturgeschichte der Neuzeit, ein wunderbares Buch, wo ich gerade dran denke, darf ich nicht vergessen, es einmal herauszusuchen und auf meine alten Tage doch noch zu lesen. Ich schätze Friedell sehr und habe schon etliches von ihm gelesen, nur in die Kulturgeschichte der Neuzeit habe ich nie hineingefunden, und das seit dem Herbst 1975. Ich weiß nicht einmal genau, weshalb.

Preis Nummer zwei wurde von der Südtiroler Künstlerschaft vergeben, oder war es die Südtiroler Autorenvereinigung, so etwas ähnliches jedenfalls. Es war ein geteilter dritter Preis, und das Preisgeld betrug, in heutiger Währung, knapp vierzehn Euro dreißig. Danach gab es im Waltherhaus in Bozen ein Buffet mit Keksen und dem damals noch sehr, sehr sauren Kalterer, das ich nicht lang genießen konnte. Nach zwanzig Minuten mußte ich los zum Bahnhof, um nicht auch noch dort im Süden übernachten zu müssen. Durch Finsternis und einen veritablen Schneesturm kämpfte sich der Zug zum Brenner hinauf, wo alle auszusteigen und über einige Schneewehen nach Österreich zu klettern und dort in einen anderen Zug einzusteigen hatten. In Innsbruck angekommen, lud ich meine Schwester, die mich begleitet hatte, ins Filou auf Rippelen und ein Glas Wein ein, womit das Preisgeld auch schon wieder aufgebraucht war.

Der Preis Nummer drei war dann viel besser. Zum ersten Mal gab es echtes Geld. Die Stadt Innsbruck machte für den dritten Platz in der Sparte Erzählende Dichtung 5000 Schilling locker, davon konnte man damals bequem einen Monat leben. Zu jener Zeit, ich war ja noch jung, lehnte ich alles Bürgerliche ab, und dazu gehörten selbstredend auch literarische Preisverleihungen. Also ging ich nicht hin. Gegen das Geld selber hatte ich natürlich nichts, das kam auch ohne weitere Umstände auf mein Bankkonto geschneit. Meine Mutter genierte das. Zunächst versuchte sie, ohne Erfolg, mich zu besseren Umgangsformen zu bekehren. Dann besuchte sie an meiner statt die Zeremonie und nahm auch die Urkunde in Empfang, die ich seither aber leider verloren habe, vermutlich, als ich in unserer Wohnung wieder einmal von einem Zimmer in ein anderes übersiedelt bin. Wie meine Bekannten wissen, wohne ich seit dem ersten Tag meines Lebens an der selben Adresse, aber immer wieder in einem anderen Zimmer. So bleibt man auch in Bewegung.

Bei diesen ersten drei guten Dingen handelte es sich um ausgeschriebene Preise. Dafür wurde ich allmählich zu alt; es war an der Zeit, dass nun Würdigungen anfingen, unverlangt auf mich herunterzuprasseln.

Und tatsächlich! Preis Nummer vier war die Krönung meiner literarischen Laufbahn. Er hieß Förderungspreis für noch zu wenig geförderte Hochbegabte, die genügend gute Freunde in Wien haben oder so ähnlich, es war dabei auch von Nachwuchs die Rede; so wie die Hecken, das Gemüse, ja die Vegetation ganz allgemein wächst ja auch die Literatur ununterbrochen nach, zumindest bisher. So ein Nachwuchsförderpreis entspräche dann etwa dem Dünger, den der Bauer aufs Feld streut, damit das Nachwachsen schneller geht und die Erdäpfel größer werden.

In der Jury saß ein damals noch wenig bekannter Schriftsteller, mit dem ich befreundet war, und der mich mit dem unschlagbaren literarischen Argument, ich hätte noch nie einen nationalen österreichischen Literaturpreis bekommen, in die Endrunde hievte. Seither ist er ein bekannter Schriftsteller geworden, und wir sind nicht mehr befreundet. Ich habe keine Ahnung, ob das zusammenhängt.

Vergeben wurde die Nummer 4 vom Bundeskanzler höchstpersönlich, der auch die Urkunde unterfertigte, allerdings, weil ein Bundeskanzler immer sehr viel Arbeit hat, nur seinen Familiennamen hinschrieb. «Klima» stand da, kurz angebunden, auf einem merkwürdig reinweißen Papier, das von Geschmacksunsicherheit des Amtes zeugte, ebenso wie die zu groß gewählte Schrifttype. Aber sonst, werden sie sich gedacht haben, schaut der Zettel allzu leer aus: also machen wir die Schrift größer!

Die Preisverleihung war irgendwann im Sommer, es war affig heiß und mir war schon vorher im Kaffeehaus schlecht vor Aufregung. Das Leben insgesamt schien mir plötzlich sinnlos und nicht wert, gelebt zu werden, was mir sonst kaum je vorkommt, und ich erwog allen Ernstes, der Festivität in letzter Sekunde doch noch fernzubleiben, aber nun waren wir schon bis Wien gereist… Es war dann alles gar nicht so schlimm. Der Kanzler hatte wegen einer Terminschwierigkeit kurzfristig abgesagt, und ich bekam eine schöne Lobrede von einem anderen wiener Schriftsteller, mit dem ich noch immer befreundet bin. Bloß hatte mir niemand gesagt, dass von den Preisgekrönten in der Regel einige Dankesworte erwartet wurden. Von selber war ich nicht draufgekommen, schließlich war es die erste Ehrung dieser Art.

Außer mir gab es noch zwei hoffnungsvolle nachwachsende Schriftstellerinnen, die da geehrt wurden. Also improvisierte ich, während die beiden nacheinander dankten, in aller Eile die einzige frei gehaltene Ansprache meines Lebens.

Die dergestalt in kürzestmöglicher Frist konzipierte Preisrede wurde, wie ich in aller Bescheidenheit behaupten darf, gar nicht schlecht. The prospect of being hanged wonderfully concentrates the mind, wie Dr Johnson seinerzeit so richtig bemerkte. In der Rede erläuterte ich, wofür ich das Preisgeld, beachtliche 70.000 Schilling, auszugeben gedächte. Ich rechnete dem geneigten Publikum kurz vor, wie viele Dosen vom besten Katzenfutter für unseren Kater Franz Ferdinand ich von diesem Geld würde anschaffen können: Ferdls Gourmet-Ernährung war auf diese Weise bis an sein seliges Ende gesichert. Dann war es auch schon wieder vorbei. Mit großer Erleichterung stolperten meine Frau und ich dann hinaus auf die immer noch glühend heiße wiener Innenstadtstraße, wo wir uns in einem Gastgarten den wohlverdienten ersten Gespritzten gönnten. Sie hat dann später ein schönes Buch über unseren Kater geschrieben, was allerdings eine andere Geschichte ist, die an dieser Stelle zu weit führen würde.

Sechzehn Jahre zogen ins Land, und meine Verbindungen zum literarischen Leben sind während dieser Zeit so ziemlich eingeschlafen. Ich brachte, bei immer kleineren Verlagen, noch ein paar Bücher heraus, die ich im großen und ganzen schon früher geschrieben hatte. Ich widmete mich jetzt mehr der Malerei und zusammen mit meiner Frau unserem inzwischen auf drei Kinder, zwei Katzen und vier bis neun Hühner plus Hahn angewachsenen Haushalt. Zwischen Ostern und Allerheiligen wohnen wir in unserem Sommerhaus ein Stück weit über der Stadt. Das Leben dort im Wald ist herrlich; man hat keine Nachbarn und gelangt deshalb zunehmend zu der Ansicht, daß die Welt im großen und ganzen doch in Ordnung sei, zumal wir auch unseren Fernseher nicht mehr benützen. Mit einem Wort, man bekommt kaum noch etwas von der Außenwelt mit, was im fortgeschrittenen Alter der erstrebenswerteste denkbare Zustand ist.

Um diese Zeit übergab mein Vater mir das Haus und die dazu gehörenden landwirtschaftlich nutzbaren Flächen. Die eineinhalb Hektar große Wiese wird weiterhin von Pepi, dem Bauern, bewirtschaftet, der sie seit etwa fünfzehn Jahren gepachtet hat. Vollzeitbauer ist er erst seit zwei Jahren, da ist sein Vater gestorben, der es zu seinen Lebzeiten nicht übers Herz brachte, den Hof zu übergeben. Jetzt ist Pepi 61, in Pension (er war Mechaniker bei den IKB) und hat endlich Zeit, sich in Ruhe um die Landwirtschaft zu kümmern. Außerdem gehören uns noch gut zwei Hektar Wald, da bin jetzt ich der Chef. Auf meine alten Tage werde ich noch Chef von etwas! Die ersten sechzig Jahre habe ich das nicht geschafft, wohl auch nicht angestrebt. Es ist nun ein bißchen wie bei Baga, dem Helden des gleichnamigen Romans von Robert Pinget: «Je suis roi de mon cul…»

Umso überraschter und erfreuter war ich natürlich, als mir im Frühjahr 2012, gewissermaßen aus heiterem Himmel, ein weiterer Preis zuerkannt wurde. Er war vom Land Tirol ausgelobt und nach Otto Grünmandl, dem bedeutendsten Dichter der kleinen Stadt Hall in Tirol, benannt. Als Literat nicht direkt ein Welthit, dafür als Humorist und Kabarettist bekannt und beliebt geworden, – Grünmandl selber hätte es wohl ziemlich amüsiert, dass nun ein Literaturpreis nach ihm benannt worden ist. Und zu meiner eher halbseidenen Position im literarischen Leben passte das auch ganz wunderbar.

Die für die Kultur zuständige Landesrätin gratulierte mir telefonisch, und eine Frau Berger aus der Kulturabteilung der Landesregierung fragte bei mir an, ob ich am 31. Oktober abends Zeit hätte. Dann gab es noch eine Frau Thaler aus Hall, die mit dem Organisatorischen befaßt war. Für den Festakt sei eine musikalische Umrahmung geplant. Sie bat mich, Musiker meines Vertrauens hiefür zu benennen, aber nicht mehr als fünfe, und das Honorar würde pro Person 100 Euro betragen.

Ich helfe ja gern, wo ich kann. So fragte ich unsere langjährige Freundin Martina, eine brillante Hackbrettspielerin, ob sie Lust habe, mit ein, zwei Leuten aus ihrer Band aufzutreten. Sie hatte. Dann dachte ich mir, 100 Euro, das ist auch nicht die Welt, die Musiker haben zwar nicht viel zu spielen, aber deswegen müssen sie trotzdem anreisen, ihr Gewaff auspacken, vor Ort noch einmal kurz proben, die Akustik austesten, müssen in Form sein, jedenfalls den ganzen Abend in den Auftritt investieren usw. usf., also 150 Kröten wären als Honorar nicht übertrieben, zumal der im Budget vorgesehene Gesamtbetrag von 500 damit noch gar nicht erreicht wäre. Dies teilte ich Frau Thaler mit, die ganz meiner Meinung war; die Sache müsse aber dem Kulturabteilungs-Chef, einem Hofrat Kraut oder Kren oder wie er hieß, unterbreitet werden. Von dem bekam ich dann, was man als verwaltungstechnische Backpfeife bezeichnen könnte. Er schrieb: «Was das Honorar der Musiker betrifft, ist für die Preisverleihungen der Abteilung Kultur ein Betrag von € 100,- pro Person festgelegt, was durchaus dem Umfang der musikalischen Umrahmung angemessen ist. Eine Abweichung von dieser einheitlichen Vorgangsweise ist leider nicht möglich.»

Die Veranstaltung auf den 31. 10., den Weltspartag, anzusetzen, war also durchaus stimmig gewesen. Ich beschloss, dem Hofrat einen Brief zu schreiben, des Inhalts, ich verstünde seine Sorge um die Budgetdisziplin in Kunstdingen. Um ihn darin zu unterstützen, schlüge ich vor, die ganze Veranstaltung überhaupt abzusagen, damit würden wir uns auf einen Schlag eine Menge Geld ersparen. Aber gerade da rief mich Martina an, die sich auf den Auftritt freute, um das Programm mit mir zu besprechen. Plötzlich dachte ich mir wieder, dass es eigentlich nett werden könnte, diesen Abend mitsammen zu bestreiten. So schrieb ich dem Hofrat keinen Brief.

Da in dem mir mitgeteilten Programmablauf, wie üblich, auch eine Laudatio, zu deutsch Lobhudelei vorgesehen war, bat ich meinen alten Freund Alfred, selbige zu halten. Er versteht von Literatur eine Menge, aber nicht nur von dieser, nach der Weisheit, dass, wer nur von der Literatur etwas versteht, auch von dieser nichts verstehe, aber schmähohne, wie man in meiner Jugend sagte, Alfred ist eine Singularität, nämlich ein echter, heute lebender Universalgelehrter (was wiederum eine andere Geschichte wäre), und im übrigen sagte er gerne zu. Ich teilte dies am 9. Juli der Frau Thaler mit und hielt die Sache damit für erledigt. Am 4. September erreichte mich eine E-Mail von seiten der Frau Berger, betreffend den Versand der Einladungen, der ein Ablaufplan der Preisverleihung angefügt war. Diesem war zu entnehmen, dass die Laudatio von R. R. gehalten werden würde. Das ist ein weiterer alter Freund, so weit man noch Freunde hat, sind sie freilich fast alles alte. Aber vielleicht, dachte ich mir, ist es ein Irrtum, vielleicht haben sie den Namen bloß von einem Musterformular so stehen lassen. Sonst hätte mir schon längst irgendwer etwas davon gesagt.

Ich schrieb an Frau Berger: «Auf dem beigelegten Ablaufplan steht R. R. als Laudator genannt. Ich habe der Frau Thaler schon länger Herrn A. T. genannt, von R. R. war nie die Rede, auch von Ihrer Seite nicht. Ich bitte diesen Irrtum noch zu korrigieren.»

Am 10. September schrieb mir Frau Berger: «Bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom 7. 9. teile ich mit, dass es sich beim Laudator um keinen Irrtum handelt. Wie mir Frau Dr. R. am 11. Juli mitgeteilt hat, wurde in der Kulturbeiratssitzung für Literatur, Darstellende Kunst und Film Herr R. R. als Laudator für den Otto Grünmandl Literaturpreis festgelegt. Herr R. R. wurde von der Abteilung Kultur bereits im Juli davon in Kenntnis gesetzt und er hat sich bereit erklärt, die Laudatio zu halten.»

Jetzt hatte ich unverhofft zwei Lobredner, von denen ich nur einen gebrauchen konnte. Der, den ich eingeladen hatte, war praktisch hinter unserem Rücken und schon bevor ich ihn einlud, amtlicherseits wieder ausgeladen worden. Ich kam mir verraten und verkauft vor und in einer Zwickmühle von ausgesuchter Blödsinnigkeit. Zum zweiten Mal überlegte ich ernsthaft, die Sache noch abzublasen, aber inzwischen freuten sich schon zu viele Leute drauf, nicht zuletzt ich selber, wenigstens die meiste Zeit. Es ging nicht mehr, jedenfalls nicht für jemanden wie mich, der das Gefühl, ja die Gewißheit hat, in seinem Leben schon genug Leute brüskiert zu haben, und ohne Not niemanden mehr brüskieren will. Also Augen zu und durch. Erstens Alfred anrufen. Wenigstens hatte er noch nicht angefangen, etwas zu schreiben, und zeigte sich fast ein wenig erleichtert darüber, dass der Kelch dieses öffentlichen Auftritts an ihm vorübergegangen war.

Der große Tag, also der Abend des Weltspartags rückte näher und näher. Da kam wieder ein Anruf von der Kulturabteilung. Ob es mir gleich sei, dass der auf 18 Uhr angesetzte Beginn nun auf 19 Uhr verlegt werde, denn man habe der Frau Landesrätin, die mir den Preis überreichen würde, unerwartet einen Flug umgebucht, sie könne sonst nicht rechtzeitig hier sein. Die Einladung habe man halt neu drucken müssen. Das sei auch schon geschehen. Natürlich machte es mir nichts aus. Ich verkniff mir eine Bemerkung hinsichtlich der allgemeinen Kostenexplosion, der wir da beiwohnten. Ich wurde stündlich härter im Nehmen.

Krethi, Plethi und auch sonst alle (insbesondere alle alten Freunde, siehe oben) sahen dem Abend mit gespannter Erwartung entgegen. So freute auch ich mich, denn viele von diesen alten Freunden sehe ich eigentlich nie mehr, was ich nie lebhafter bedaure als an solchen Abenden, wenn dann wieder keine Zeit bleibt, ein wenig über die früheren und auch die gegenwärtigen Zeiten zu plaudern.

So zogen wir uns also ein ordentliches Gewand an, auch die Kinder wurden nach Maßgabe des Möglichen herausgeputzt, geschneuzt und gekampelt, und wir stiegen ins Auto und fuhren nach Hall. Wir kamen gerade rechtzeitig, die für Zwischenfälle aller Art eingeplante Reserve-Viertelstunde hatten wir mit fruchtloser Parkplatzsuche vertan. In einer Stadt, die man selten besucht, mag sie auch noch so klein sein, findet man nie einen Parkplatz. Erst ganz zuletzt kamen wir drauf, daß ein solcher sich direkt vor dem «Salzlager», dem Veranstaltungsort, befand.

Es war dann alles wie gehabt, zunächst wenigstens, also halb so schlimm. Der Kulturstadtrat von Hall zeigte sich sehr stolz, dass diese bedeutende Veranstaltung in seinen bescheidenen Räumlichkeiten abgehalten werde, wo doch der Landhaussaal in Innsbruck viel schöner sei. Die Landesrätin sagte dann, dass dieser Saal hier in Hall doch auch sehr schön sei, und dann zu mir respektive über mich, dass ich in meiner schriftstellerischen Tätigkeit nie jemandem nach dem Mund geredet hätte. Hieß das im Umkehrschluß, dass alle anderen das dauernd taten? Und hieß es im Klartext: Dreißig Jahre haben wir unser bestes getan, auf dass du endlich den Mund hältst, und jetzt bist du immer noch nicht still? Oder vielmehr: Dreißig Jahre usw., jetzt kriegst Du dafür einen Preis, dass Du so brav gegen uns durchgehalten hast? Dann gab sie noch der Hoffnung Ausdruck, dass das Preisgeld, 5000 Euro, steuerfrei, weil für Lebenswerk, mich zu weiteren poetischen Aufschwüngen und Höchstleistungen aller Art beflügeln möge.

Es folgte die Lobrede von R. R., der seine Sache gut machte, wenn auch klar ist, dass Alfred das Publikum von meiner großen Bedeutung noch mehr überzeugt hätte, weil er nämlich nicht nur ein Universalgelehrter ist, sondern auch ein rhetorischer Perfektionist, einer von der Sorte, die die Rede frei hält, von dem einstudierten Text dann extemporiert und am Ende ein längeres lateinisches Zitat fehlerfrei in den bereits ehrfurchtsstarren Saal schmettert.

Daraufhin dankte ich mit einer kleinen Rede (ungefähr dem ersten Teil dieser Geschichte entsprechend), dann überreichte die Landesrätin mir die Urkunde, in Blitzlichtgewittern, versteht sich. Zwei oder gar drei Fotografen waren gekommen und dokumentierten, wie die Landesrätin und ihr Preisträger hochkonzentriert in die Kameras lächelten. Sie (die Urkunde) hatte das Format A3 quer, war in rotes Lederimitat gebunden und hatte innen eine mit großen kalligrafierten Pseudofrakturlettern beschriebene Seite, eine einzige, mehr braucht es für eine solche Urkunde natürlich nicht. Unsere Kinder klassifizierten sie deshalb unter «Speisekarte». Neben dem Landeswappen prangte auf dem Deckel der Schriftzug TIROL – UNSER LAND.

Dann durften wir zum Buffet, danach durfte ich noch eine kleine selberverfasste Geschichte vorlesen, und wiederum danach ging es erst richtig los. Wir alle hatten das Programm gelesen, aber niemand hatte es ernst genommen. Denn jetzt unternahm es das kulturelle Hall in Tirol, uns mit Otto Grünmandl bekannt zu machen, und zwar von Grund auf, von der Wurzel her, also im Wortsinn radikal. Ich habe Otto Gründmandl gern gemocht, unzählige Male haben wir uns in seinen Programmen halb schiefgelacht und kannten sie am Ende fast auswendig. Aber nun, viele Jahre später, musste ich unfreiwillig das ganze Ausmaß seiner literarischen Ambition kennenlernen, seine, wie man so schön sagt, Neigung zur ernsten Literatur, oder sagt man hier besser schöne? Nein, ernste, schrecklich ernste, schreckliche, mit diesem Schönen waren wir nicht bei des Schrecklichen Anfang gelandet, sondern schon mitten darin. Eine Stunde lang. Oder eineinhalb. Auch die lustigen Sachen, die die zwei zu dem Anlass engagierten Schauspielerinnen vortrugen, kamen aus ihrem Munde nicht so lustig heraus wie damals aus dem des seither Verstorbenen. Aber vorallem war es nun neun Uhr, es wurde halb zehn, und es nahm kein Ende.

Hinten hörte ich Leute aufstehen und gehen, alte Freunde, denn das ganze Publikum bestand aus alten Freunden, die meinetwegen gekommen waren, ein paar davon hatte ich noch nicht einmal begrüßen können, so kurz war die Pause ausgefallen, weil wir ja wegen des umgebuchten Flugtickets der Landesrätin schon eine Stunde später angefangen hatten. Frau und Kind waren nach meinem Auftritt entschwunden, die Kinder mußten schließlich irgendwann ins Bett, das sah jeder ein. Die Landesrätin war längst weg, sie hatte noch woanders anderes zu eröffnen gehabt. Bloß ich war noch hier, hier in der ersten Reihe, ich konnte nicht gut aufstehen und gehen, normalerweise hätte ich das jederzeit getan, aber hier?

Schließlich war es mein Abend, oder? Nein, es war eine Grünmandl-Groteske aus dem Nachlass, die hier von seinen größten Verehrern in Szene gesetzt wurde, mit mir und meinen ohnehin nicht übermäßig zahlreichen Fans als ahnungslos in die Falle gegangenen Geiseln. Die Grünmandl-Agenten, also der Moderator und die zwei Schauspielerinnen (aber die organisierende Frau Thaler steckte mit denen sicher unter einer Decke) saßen ungerührt auf dem Podium und spulten eine Nummer nach der andern herunter. Es wurde dreiviertel zehn, es wurde zehn, kurz vor zehn wurde die letzte Nummer angesagt, die kurz nach zehn endete. Kurzer Beifall, ich stand auf, es war vollbracht, ich war geschafft, ich war mit den Nerven am Ende, ich war nach einer langen Tauchfahrt auf dem Grunde des Literatur-Mahlstroms angekommen. Aber wenigstens war es endlich aus. Doch halt! Der Moderator, dieser Rundfunkmensch, der seine literarische Leiste immer mit diesen italienischen Erzählern der Gegenwart vollstopft, rief heiter-beschwingt ins Stühlerücken, ohne eine kleine Zugabe würde er uns nicht gehen lassen.

Es gab also noch eine kleine Zugabe. Vielleicht erinnern Sie sich an diesen Text, der irgendwann Ende der siebziger Jahre die Runde machte, ein wirklich oder angeblich der deutschen Bundespost entstammendes Schriftstück, das für den Amtsgebrauch den Unterschied zwischen Wertsack und Wertbeutel erklärt und damals, also zirka 1978, sehr lustig gewesen war. Jetzt, in dieser angespannten, ja verzweifelten Lage war er, abgesehen davon, dass er gar nicht von Grünmandl war, nur eines: lang. Provozierend lang. Man kann sich nicht vorstellen, wie lang ein paar Zeilen unschuldigster deutscher Amts-Prosa werden können. Ungefähr so: man muss schon äußerst dringend aufs Klo, welches besetzt ist, und der Zug fährt wegen einer Baustelle immer langsamer in den Bahnhof ein, wo man wird umsteigen müssen, immer noch langsamer, und bleibt am Ende knapp vor demselben, noch auf freier Strecke, stehen und fährt nie wieder weiter.

Irgendwelche für Wohlverhalten zuständige Synapsen in meinem Hirn, beziehungsweise tragende Elemente in meinem Ätherleib verschmorten. Ich war plötzlich innen ganz leer und kalt, zu allem entschlossen wie ein Tyrannenmörder vor der Tat. Ich stand auf, ich ging aus der ersten Reihe nach hinten, während die zwei leeren Biergläser, die ich trug, weithin hörbar aneinander klangen, und blieb ganz hinten immerhin stehen, bis die zwei endlich fertig waren mit ihren Wertbeutelsackfahnen und dem ganzen Unsinn, und dann ging ich als erster die lange Stiege hinunter ins Foyer, wo das restliche Buffet noch auf Verzehrer und Austrinker wartete, die Pause war ja so kurz gewesen, dass nicht einmal das Buffet leergefressen worden war, was das mindeste gewesen wäre, alles nur, um diese, man wird ja schon bernhardartig, bernhardinerisch geradezu, um diese Publikumsniederschmetterung durchziehen zu können, doch es half nichts, alle hatten genug, flüchteten (womöglich war draußen beim Eingang noch eine Spontanlesung mit Otto Grünmandls Frühwerk vorbereitet, nichts wie weg), ich stand wie ein Kondolenzempfänger da und alle sausten schnell händedrückend an mir vorbei.

Wenigstens drei, vier sehr alte Freunde blieben noch da. Wenigstens ein kleines Bier tranken wir noch in diesem ungastlichen Foyer, wenigstens wurde meine Lesung extra honoriert, sogar 50 Euro mehr bekam ich als vereinbart, und ganz am Schluss, als Martina und Stefan sich netterweise bereit erklärten, mich noch nachhause zu uns in den Wald hinauf zu führen, hätte ich beinahe die Urkunde und den Blumenstrauß liegen lassen. Die Blumen hatten mir Roswitha und Franz mitgebracht, eine besonders nette Geste. Vom Amt bekommen bei solchen Gelegenheiten ja nur weibliche Künstler einen Blumenstrauß. Weibliche Künstlerinnen muss man heutzutage sagen, was mir aber immer noch nicht locker über die Lippen kommt.

Es war auch praktisch, dass Martina und Stefan mich in ihrem Auto nachhause fuhren; sie hatten die versprochenen zwei Kisten Äpfel im Kofferraum, die ich somit gleich vor dem Haus ausladen konnte. Sie bekamen als Gegengeschenk ein mittelgroßes Prachtexemplar (ca. 12 kg) aus der aktuellen Kürbis-Rekordernte. Dann fuhren auch sie heim, und ich setzte mich noch für ein paar Minuten auf den Balkon und schaute auf die schwarze Reihe der Fichten vor dem Haus und sinnierte über das Anstrengende im Leben, bevor ich mich endlich zu Bette begab.

Das Preisgeld werde ich diesmal in die Ernährung unserer Kinder stecken, in erster Linie in den Kauf von Laugenbrezen. Wenn wir davon ausgehen, dass wir pro Jahr und Kind ungefähr 170 Laugenbrezen brauchen, dann haben wir zumindest auf diesem Gebiet für die kommenden zehn Jahre ausgesorgt. Und dann kriege ich sowieso den Nobelpreis. Über die dort in Stockholm herrschenden Modalitäten werde ich Sie zu gegebener Zeit informieren.

Soviel zur finanziellen Seite des Dichterlebens. Über die künstlerische reden wir dann ein andermal.

Walter Klier

Walter Klier (* 5. Juli 1955 in Innsbruck) ist ein österreichischer Schriftsteller, Kritiker, Herausgeber, Autor von Berg- und Wanderführern und Maler. Klier war von 1980 bis 1984 Mitherausgeber der satirischen Zeitschrift „Luftballon“ und von 1989 bis 1997 Mitherausgeber der Kulturzeitschrift Gegenwart (Innsbruck). Unter dem Pseudonym Luciana Glaser publizierte er 1990 gemeinsam mit Stefanie Holzer die Erzählung „Winterende“. Publizistisch trat er auch als Literaturkritiker in der Feuilletonbeilage „extra“ der Wiener Zeitung und als Kolumnist der Tiroler Tageszeitung hervor. Zahlreiche Buchveröffentlichungen. Als Maler beschäftigt sich Klier vor allem mit der Berglandschaft, die er sich schon als Autor von Berg- und Wanderführern erschlossen hat.

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