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Sylvia Tschörner
Mit der Nazikeule gegen „normal Denkende“
und den PEN-Club
Essay

Anlässlich des Verbots der schwarz-blauen niederösterreichischen Landesregierung, in offiziellen Dokumenten und Veröffentlichungen Gender-Symbole zu verwenden und ihrer Empfehlung an Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, ebenfalls nicht zu gendern, beklagte Alois Schöpf in seinem Blogbeitrag Korrektes Deutsch ist rechtsradikal! (1) die Vereinnahmung des Themas durch die FPÖ. 

Wegen dieser kämen alle jene, die aus ästhetischen Gründen oder um der besseren Verständlichkeit willen gegen das Gendern seien, in den Ruch, FPÖ-Sympathisanten und potentielle rechtsextreme Gefährder zu sein.

Der Aufsatz erntete Widerspruch.Aber der Beweis für die Richtigkeit von Schöpfs Überlegungen folgte auf dem Fuß. Ausgerechnet Vizekanzler Werner Kogler, der die aus den USA importierten Gender-Gebote, Political Correctness, Wokeness usw. als Pseudo-Kultur-Debatten abtut, nannte die Aussage der niederösterreichischen Landeshauptfrau, die Verwendung von Gendersymbolen sei für die normal denkende Mitte der Gesellschaft kein vordringliches Problem, brandgefährlich und präfaschistoid. Das Wort normal sei das Einfallstor für das Böse in der Welt und führe in letzter Konsequenz zu Hexenverbrennungen.(2)

Was Unsinn ist. Gerichts-Protokolle aus jener Zeit belegen, dass die Hexen (übrigens ein generisches Femininum), bevor sie angezeigt wurden, mehrheitlich unauffällig waren. Anzeigen erfolgten meistens aus ökonomischen Gründen (aufgrund von Nachbarschaftsstreitigkeiten oder weil die Denunzianten bis zu einem Drittel des eingezogenen Besitzes ihrer Opfer erhielten), aus Eifersucht oder aus Hass.

In der ZIB 2 am 15. Juli erneut zu dem Thema befragt, ersetzte Kogler die Hexen durch die Opfer von Faschismus und Nationalsozialismus. Seitdem insistieren die einen darauf, dass das Wort normal geächtet werden müsse, und die anderen wollen es sich nicht verbieten lassen. Als Sprachenfrau plädiere ich in solchen Fällen dafür, das inkriminierte Wort unter die Lupe zu nehmen.

Normal ist kein Nazi-Wort. Es steht auch nicht auf den mir zugänglichen Listen ideologisch kontaminierter Wörter. Es kommt von lateinisch normalis, (rechtwinklig, regelkonform, der Norm entsprechend) hat sich in den romanischen Sprachen, bis auf den heutigen Tag (fast) unverändert gehalten und ist im Deutschen seit dem 18. Jahrhundert belegt. Das Gegenteil von normal ist auch nicht nur abnormal, wie der Bundespräsident behauptete, sondern auch:

unnormal, abnormal, anormal, außergewöhnlich, speziell, anders, komisch, besonders, merkwürdig, verrückt, extrem, ungewöhnlich, seltsam, sonderbar, extravagant, spektakulär, abartig, selten, kompliziert, bemerkenswert, eigen, großartig, abstrakt, genial, schwierig, lustig, divers, untypisch, abweichend, neu, ungleich, unterschiedlich, verschieden, phänomenal, einzigartig, herausragend, bizarr, ausgefallen, eigenartig, ulkig, andersartig, außerordentlich viel, witzig, sehr dumm, irre, köstlich, urkomisch, verschwenderisch, stark übertrieben, humorvoll, interessant, durchgeknallt, krass, radikal, übermäßig, bescheuert, von Sinnen, crazy, bekloppt, geistesgestört, wahnsinnig, eklatant, exorbitant, überraschend.(3)

Die Menge der Antonyme belegt, dass normal so viel bedeuten kann, dass seine Aussagekraft gering ist. Wenn X. sagt, dass Y. normal sei, weiß ich nicht mehr über Y. als vorher. Sinnvoll verwendet wird normal nur im Hinblick auf Normalverteilungen (die Gaußsche Glockenkurve), Schwankungsbreiten, gesetzliche Normen, so wie es Naturwissenschaftler, Mediziner oder Handwerker gebrauchen.

Die überzogene Empörung des Vizekanzlers und des Bundespräsidenten, die beide Wirtschaftswissenschaftler sind, stützt sich vermutlich auf die Einschätzung woker Menschen in ihrem Umkreis, die wohl auch keine Linguisten sind und die Standardwerke des Poststrukturalismus, der Gender- und Queer-Studies, also ihre Evangelien, nur unzureichend studiert haben.

Problematisiert wurde der Begriff erst Ende der 90er Jahre, auf dem Umweg über die amerikanische Gender- und Queer-Forschung, die mit zwanzig Jahren Verspätung Michel Foucaults Habilitationsschrift Wahnsinn und Gesellschaft (4) von 1961 entdeckte. Es handelt sich um eine 700 Seiten lange Geschichte der Psychiatrie vom 15. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in der es u. A. um psychiatrische Krankheitsbilder geht. Die Annahme, dass Foucault nicht mit Sprachregelungen einverstanden gewesen wäre, erscheint mir im Übrigen sehr plausibel.(5)

Dass viele woke Menschen offenbar nicht wissen, was Faschismus bedeutet, und Mitmenschen, die gegen ihre Sprach- und Verhaltensregelungen verstoßen – sogar wenn dies unwissentlich und unschuldig geschieht – als rechtsextrem, faschistoid oder gar faschistisch bezeichnen, canceln oder deplatformen (d.h. ihnen Jobs entziehen, ihre Auftritte absagen, sie aus der Gemeinschaft ausschließen, öffentlich mundtot machen), ist ein bedauerlicher Trend, der nicht nur Musikerinnen mit Dreadlocks, holländische Übersetzerinnen und Berliner Biologinnen trifft. Als Präsidentin des Tiroler PEN-Clubs machte ich selbst eine solche Erfahrung.

Der PEN-Club, der weltweit wichtigste Schriftstellerverband, setzt sich für politisch verfolgte Autoren ein. Mitglieder verpflichten sich, mit aller Kraft gegen Rassen-, Klassen-, und Völkerhass und für das Ideal einer Welt aufzutreten, in der alle Menschen in Frieden zusammenleben.

Diese Formulierung in der damals aktuellen Charta führte im September 2015 dazu, dass dem Tiroler PEN-Club die Aufnahme in die Dachvereinigung der Tiroler Kulturinitiativen/IG Kultur (TKI) verwehrt wurde. Der Beitritt war uns vonseiten des Kulturamts nahegelegt worden. Wir reichten also alle verlangten Unterlagen ein. 

Zwei Monate später teilte uns Frau Hannah Crepaz, im Brotberuf Leiterin der Galerie Sankt Barbara, mit, dass die aktive zeitgenössische und politische Kulturarbeit des PEN zu wenig sichtbar und nachvollziehbar sei und dass der Vorstand der TKI es als problematisch empfinde, dass in der Charta des PEN International überholte Begrifflichkeiten wie Rasse und Volk fortgeschrieben würden, weshalb er einstimmig gegen eine Aufnahme […] entschieden habe.

Etwa 120 (heute 164) Tiroler Vereine, elitäre wie das Literaturhaus, aber auch einige, deren Selbstbeschreibungen tief blicken lassen, hatten die Zensur passiert. Beim PEN schlug sie erbarmungslos zu. 

Unsere künstlerische und politische Arbeit, die das Risiko birgt, dass man in Diktaturen auf Proskriptionslisten landet und als Urlauber oder Durch-Reisender Schwierigkeiten bekommt, meine 400-Seiten-Arbeit über den Auschwitzüberlebenden Primo Levi, meine Stücke über einen Homosexuellen und eine Transgender-Person wogen nicht auf, dass der Verfasser der internationalen Charta Rasse, Volk, Klasse, Religion benannt hatte. 

Als ob Rassismus, Nationalismus, Religiöse Intoleranz u.s.w. entstehen würden, weil es die Wörter Rasse, Volk, Jude gibt. Dabei werden diese Wörter in allen Sprachen, in denen ich das überprüfen kann, gebraucht. Israel bezeichnet sich in seinem Grundgesetz von 2018 als Nationalstaat des jüdischen Volkes. Luiz Inácio Lula da Silva, sicher kein Rechtsradikaler, hat in Brasilien ein Ministerium der indigenen Völker (Ministério dos Povos Indígenas) geschaffen. Wem zum Teufel tut das Wort Volk weh?

Ich weiß nicht, ob das Urteil der TKI – mindestens vier Vorstands-Mitglieder gehören dem Beirat für Kulturinitiativen der Kulturabteilung des Landes Tirol an – dazu führte, dass das Land dem PEN-Club die schriftlich zugesagten Subventionen nicht auszahlte. 

Die Beamten waren zu keiner Stellungnahme bereit, denn Förderwerber konnten dem Kleingedruckten auf den Kulturamts-Formularen entnehmen, dass der Fördergeber keine Gründe für Nichteinhaltung des Vertrages mit dem Fördernehmer angeben müsse. Nach einem dreiviertel Jahr sinnloser Korrespondenz mit sechs verschiedenen Sachbearbeitern, von denen ich jedem erneut alle Unterlagen kopieren und schicken musste, tilgte ich im November 2017 das infolge der nicht eingelösten Subventions-Zusage entstandene Minus auf dem Konto des Tiroler PEN selbst, und wir lösten den Verein auf.


Epilog
Warum? sagte ich zu der Person, bei der ich unser Ansuchen um einen Beitritt zur TKI abgegeben hatte.
Ich weiß nicht, ob wir die Festwochen aufgenommen hätten, antwortete sie.
Wie kommst du auf die Festwochen? Ich rede vom PEN-Club. Ich verstand überhaupt nichts mehr.
Dann dämmerte mir. Ich hatte für eine Aufführung der Festwochen der Alten Musik das Libretto von Nicola Porporas Oper Germanico übersetzt… Wollte sie mir sagen, dass die Leiterin der Galerie Sankt Barbara ihr Mütchen an einer vertragslosen freien Mitarbeiterin der Konkurrenz kühlte… Ich beschloss, nicht paranoid zu sein.


1. https://schoepfblog.at/alois-schoepf-korrektes-deutsch-ist-rechtsradikal-notizen/
2. Alle Zitate in Eva Linsinger, „Kogler an Mikl-Leitner: `Ausdrucksweise präfaschistoid´“. Profil, 9. 7. 2023, S. 28.
3. https://gegenteile.net/gegenteil-von-normal
4. Originaltitel: Michel Foucault, Folie et déraison: Histoire de la folie à l’age classique. Paris: Plon, 1961.
5. https://www.derstandard.at/story/2000076074327/waere-michel-foucault-anhaenger-von-metoo-und-political-correctness-gewesen

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Sylvia Tschoerner

Sylvia Tschörner studierte englische, französische und italienische Philologie und Schauspiel. Sie publiziert in Sammelbänden, Fachzeitschriften und Theaterprogrammen. Ihre Stücke wurden in diversen Off-Theatern (Westbahntheater), im ORF Kulturhaus, Congress Innsbruck und im öffentlichen Raum (Schloss Ambras, Glyptothek der Universität), einige mit ihr selbst als Schauspielerin, aufgeführt. Sie übersetzt hauptsächlich für Theater- und Musikverlage sowie Theater- und Festspielproduktionen (u. a. Festwochen der Alten Musik, Theater an der Wien, Salzburger Festspiele).

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