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Susanne Preglau bespricht:
Vom Sehen zum Hören – Vom Licht zur Musik
Premiere von "Sunset Boulevard"
am Tiroler Landestheater

Die Entstehung

Sunset Boulevard, ein Musical-Klassiker von Andrew Lloyd Webber, 1993 uraufgeführt in London, basiert auf Billy Wilders legendärem Film noir Boulevard der Dämmerung aus dem Jahr 1950 über eine vergessene Hollywood Stummfilmdiva nach der Ära des Übergangs zum Tonfilm Anfang der 1930er Jahre.

Die Hauptrolle im Film wurde von Gloria Swanson, einem der größten Stars der Stummfilmära, übernommen. Cecil B. DeMille, Produzent und Regisseur der Ära, spielte sich selbst. Glenn Close brillierte im Musical am Broadway 1993/94 und wiederum 2016 im Londoner Westend.

In der deutschsprachigen, von Michael Kunze übersetzten Fassung, wurde Sunset Boulevard im Jahr 2019 von den Vereinigten Bühnen Bozen unter der Intendanz der nunmehr am Tiroler Landestheater tätigen Irene Girkinger aufgeführt. Die glamouröse Hauptrolle wurde Maya Hakvoort anvertraut, die viele Jahre lang die legendäre Rolle der Elisabeth im Theater an der Wien geprägt hatte (1994-98 und 2003-2005). Diese Inszenierung wurde nun für das Tiroler Landestheater übernommen.

Die Handlung beginnt, als Kriminalfall, mit der Rekonstruktion eines Tathergangs: Joe Gilles, erfolg- und mittelloser Drehbuchautor in Hollywood, wurde erschossen und ist in den Swimmingpool gestürzt. Nun entsteigt der Tote dem Pool und erzählt seine Geschichte:

Auf der Flucht vor seinen Gläubigern ist er zufällig auf das Anwesen der gealterten, vergessenen und isoliert lebenden Stummfilm-Diva Norma Desmond am Sunset Boulevard geraten. Sie lebt hier mit ihrem Butler Max von Mayerling, erträumt sich eine großartige Rückkehr auf die Leinwand durch ein selbstverfasstes Drehbuch zur Geschichte der Salome und erfreut sich an Fanpost, die aber von Max von Mayerling – wie sich herausstellt, ihrem ehemaligen Regisseur und Ex-Mann – geschrieben wurde, um sie in ihrem Wahn vom unvergänglichen Ruhm zu bestärken.

Andrea De Majo (Joe Gilles), Erwin Belakowitsch (Max von Mayerling), Maya Hakvoort (Norma Desmond)
© Birgit Gufler

Gilles gerät immer mehr in Normas Abhängigkeit, zieht bei ihr ein und verlässt erst nach einer von ihr inszenierten bizarren Silvesterfeier für zwei zum Auftakt des Jahres 1950, in dem Billy Wilders Film herauskam, das Anwesen.

Er trifft die junge Produktionsassistentin Betty Schaefer wieder, mit der er ein eigenes neues Drehbuch für Hollywoods Filmbetrieb verfassen will – worauf sich Norma die Pulsadern aufschneidet und Joe damit zwingt, zu ihr zurückzukehren.


Andrea De Majo (Joe Gilles), Julia Taschler (Betty Schaefer)
©Birgit Gufler

Bei einem Besuch im Paramount Filmstudio will Cecil B. DeMille, tatsächlich Regisseur und Produzent der Stummfilmzeit, sie überzeugen, dass ihre Karriere definitiv beendet sei, was sie in ihrem zunehmenden Wahn aber nicht zur Kenntnis nimmt.

Schließlich kommt es zur Begegnung von Norma und Betty auf dem Anwesen und Norma, zerbrochen durch Eifersucht und Größenwahn, erschießt Joe, als er sie endgültig verlassen will. Als Reporter mit Kameras eintreffen, um über das Verbrechen zu berichten, glaubt Norma, ihrem Wahn endgültig verfallen, an den Beginn der ersehnten Dreharbeiten und küsst als Salome den toten Joe Gilles als Jochanaan.

Die Aufführung

Andrew Lloyd Webber hat das 1993 uraufgeführte Musical 2016 zu einer symphonischen Fassung erweitert, die vom musikalischen Leiter Hansjörg Sofka mit dem Tiroler Symphonieorchester Innsbruck umgesetzt wird.

Die Musik spiegelt die Ära Hollywoods um 1950 und liefert große Songs für die Hauptdarsteller.

Maya Hakvoort gibt die alternde und vergessene Stummfilmdiva Norma Desmond sehr überzeugend, exzentrisch emotional und immer mehr ihrem Wahn der Rückkehr zum Ruhm verfallen.


Maya Hakvoort (Norma Desmond)
© Birgit Gufler

Durch ihren – in zwei Stunden Spielzeit – zehnmaligen (!) Wechsel von opulenter Garderobe und Perücken in allen Farben wirkt sie jedoch viel jünger, als sie sein soll.

Für Andrew Lloyd Webbers mitreißende Songs, die die dramatische Wendung vom Stummfilm zum Tonfilm thematisieren, bekommt sie wiederholt Szenenapplaus:
Sie singt davon, dass früher in der Stummfilmära Filme Träume aus Licht waren und nur ein Blick genügt hat, um eine Handlung voranzutreiben, die später in der Tonfilmära durch Gespräche und vor allem durch Musik bis hin zum Musical neue Dimensionen hinzugewann.

Andrea De Majo gibt den gescheiterten Drehbuchautor Joe Gilles, hin- und hergerissen zwischen der alternden, ihn mit Geld und Luxusleben versorgenden Diva und der jungen, lebensnahen Autorenkollegin Betty Schaefer (Julia Taschler).

Erwin Berlakowitsch schließlich ist Max von Mayerling (in Billy Wilders Film gespielt von Erich von Strohheim), der als geheimnisvoller Butler alle Fäden in der Hand hält und Norma in ihrem Wahn bestärkt und manipuliert.

Warum er in einer Szene völlig unmotiviert und unverständlich als Transvestit in High Heels und Abendkleid auftreten muss, ist ein Beispiel, wie sich exzellente Darsteller von übers Ziel schießenden Regisseuren quälen lassen müssen.

Dem Regisseur (Rudolf Frey) gelingt es aber durchaus, zwischen der gespenstisch wirkenden Einschichtigkeit von Norma Desmonds Anwesen und der quirligen Glamourwelt Hollywoods mit großem Ensemble zu wechseln. Wie schon der Film Billy Wilders ist auch Webbers Musical eine sarkastische Abrechnung mit der Traumfabrik und den Schattenseiten der Filmindustrie.


Ensemble, Jan Schreiber (Cecil B.DeMille)
© Birgit Gufler

Das Bühnenbild (Luis Graninger) ist nicht beschreib- oder kritisierbar, weil es keines gibt, sofern man nicht die mit meist unverständlichen und nicht nachvollziehbaren Videoprojektionen bespielten weißen Vorhänge als ein solches betrachtet.

Lediglich die Projektion am Beginn des Stücks – ein altmodischer Plattenspieler, der sich mit entsprechenden Knistergeräuschen parallel zum Beginn der Musik aus dem Orchestergraben in Gang setzt, ist bemerkenswert.

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Susanne Preglau

Susanne Preglau, geboren 1955 in Wien, Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien, lebt seit 1977 in Tirol. Nach einem Doktoratsstudium bei Prof. Anton Pelinka am Institut für Politikwissenschaft Lehrbeauftragte an der Universität Innsbruck. Neben zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen 2013 Veröffentlichung einer Migrationsgeschichte „Ani – Essay eines Lebens“, Verlag Limbus. Ehemalige Korrespondentin von "Blickpunkt Musical", Berlin.

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