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Reloaded
zum 75. Geburtstag des Dichterfürsten
Literarische Korrespondenz:
Alois Schöpf an Felix Mitterer
Betrifft:
Die Ischgl-Saga!

„Wie ich höre, werden Bars in Ischgl verantwortlich gemacht. Das ist lächerlich. Schuld ist die kommunistische Regierung (Chinas), die uns das Ausmaß der Epidemie verheimlicht hat.“
Peter Palese, amerikanisch-österreichischer Virologe, Profil 17. Mai 2020

Lieber Felix!

Wenn man als geübter Medienkonsument zwischen den Zeilen von deiner feierlichen Rückkehr nach Tirol in eine Schwazer Gemeindewohnung liest, überkommt einen unwillkürlich der Verdacht, du müsstest in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten geraten sein. Nicht einmal diese rechtfertigen jedoch deinen über die Medien lancierten Plan, noch rasch ein schnelles Geld zu verdienen, indem du über den Corona-Hotspot Ischgl und die damit zusammenhängenden Ereignisse einen weiteren Teil deiner Piefke-Saga zu schreiben gedenkst.

Du erzählst in deinen Stücken und Fernseh-Tatorten bevorzugt von armen Opfern und der bösen Welt, die sie zu solchen gemacht hat. Dein Publikum, das offenbar frustriert darüber ist, es im Leben nicht weiter gebracht zu haben, identifiziert sich mit ihnen und erklatscht sich damit das Privileg, durch schwarzen Kitsch in den Genüssen des Selbstmitleids zu baden.

Diese Dramaturgie für Passionsspiel-Besucher und simple Gemüter, weshalb du dich auch Heimatdichter nennen darfst, glaubst du nun im Paznaun Tal bei den Infizierten, Erkrankten und Verstorbenen einerseits und den geldgierigen Hoteliers, Wirten,  Seilbahnkaisern, gekauften Politikern und unfähigen Beamten in idealer Konstellation wiedergefunden zu haben. Ja, der Plot erscheint dir in einer Weise perfekt, dass du darüber sogar den Grundsatz des einfachsten menschlichen Anstands vergisst, der besagt, dass man sich über das Unglück und den Tod anderer Menschen nicht lustig machen sollte.

Denn lustig muss es ja zweifelsfrei sein, wenn es sich um eine Fortsetzung der Piefke-Saga handelt, deren ursprünglicher Witz sich mitnichten aus der Tourismus-Kritik ergibt (du begreifst offenbar im Alter nicht einmal mehr deine eigenen Stücke), sondern aus dem uralten Problem der Herausbildung der Deutschen Nation. Nichts anderes als die Zurückweisung der Großdeutschen Lösung durch Bismarck und die Dominanz der preußischen Militärdiktatur als Gegenpart der Habsburger-Monarchie ist nämlich der Quell der Antipathie zwischen Deutschen und Österreichern. Sie findet in Kapellmeister Gottfried Piefke, der 1866 die Wiener an der Spitze seines Musikkorps durch besondere Zackigkeit beeindruckte, ebenso ihren Ausdruck wie in der Operette „Ein Walzertraum“ von Oscar Straus, in der durch den Einsatz schleimigen Wiener Schmähs aus Deutschen erst zur Liebe taugliche Menschen gemacht werden. Von dieser Spannung lebt denn auch deine Piefke-Saga, in der schlitzohrige Tiroler ihre dumm-arroganten Deutschen Gäste um den Finger wickeln, um zuletzt festzustellen, dass sie, zumindest in ihrer weiblichen Ausformung, dann doch recht akzeptabel, wenn nicht gar liebenswert sind.

Eine ähnliche Spannung zwischen Einheimischen und Gästen vor dem Hintergrund der Covid19-Pandemie aufzubauen ist nicht nur, wie schon gesagt, aus Gründen des simplen Anstands schäbig. Eine Dramaturgie, die auf die Guten, die Opfer, und die Bösen, die Täter, nicht verzichten kann und diese Spannung zudem satirisch verzerrt, um witzig zu sein, kann im konkreten Fall nur in der Selbstüberhebung eines Autors enden, der, um sich finanziell zu sanieren, anderen Gier und durch den Tourismus induzierte Amoral vorwirft.

Das Wesen eines Unglücks, und um ein solches handelt es sich bei der Corona-Pandemie trotz aller Unkenrufe der Obskuranten zweifelsfrei, ist dadurch gekennzeichnet, dass man es unterschätzt.

Dies gilt vom Untergang Pompejis über Tschernobyl bis hin zu Fukushima. Es gilt aber auch für all jene Einzelpersonen, die eine ärztliche Untersuchung hinauszögern oder ein an sich alarmierendes Symptom zu lange ignorieren und dann schwer erkranken. Und es gilt auch für Ischgl, wobei erschwerend hinzu kommt, dass ohne gesetzliche Grundlagen, im konkreten Fall also das in der Kompetenz des Bundes liegende Epidemie-Gesetz, in einem freien Staat Tourismuszentren mit Tausenden von Gästen und Angestellten nicht auf Zuruf einer untergeordneten Instanz, eines Bürgermeisters etwa, oder nur auf Verdacht hin geschlossen werden können.

Schwerwiegende Entscheidungen benötigen jedoch Zeit und stoßen, wie alle Entscheidungen, auf verständlichen Widerstand, was nicht bedeuten soll, dass hier nicht auch Fehler, vor allem in der wissenschaftlichen Einschätzung der Gefahr seitens der Landessanitätsdirektion, gemacht wurden. Diese Fehler können jedoch niemals, ohne obszöne Vorverurteilungen zu riskieren, als Motor einer dramaturgischen Spannung zwischen Gut und Böse eingesetzt werden. Sie können berechtigterweise nur Gegenstand einer international besetzten Untersuchungskommission und, sofern dies geboten erscheint, Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen sein.

Aus alldem gibt es nur eine Folgerung: Dich, geschätzter Felix Mitterer, zu bitten bzw. aufzufordern, darauf zu verzichten, einen mit der Corona-Katastrophe in Ischgl zusammenhängenden neuen Teil der satirischen Piefke-Saga zu schreiben.

Um zu verdeutlichen, was mit dieser Aufforderung gemeint ist, sei daran erinnert, dass dein Publikum über einige schwere Schicksalsschläge, die du in deinem Leben zu bewältigen hattest, informiert ist. Was würdest du sagen, wenn jemand auf die Idee käme, sie zu instrumentalisieren, um daraus eine Satire über einen Volksdichter zu machen, der für seine Karriere und für ein fettes Honorar alles zu opfern bereit ist?

Eine ähnliche Bitte bzw. Aufforderung, über das Unglück in Ischgl keine Satire in Auftrag zu geben, richtet sich jedoch auch an den ORF und seine fast ausschließlich als Abstimmungsautomaten fungierenden, von Parteien berufenen Kuratoriumsmitglieder. Denn es kann doch wohl nicht Aufgabe einer staatlichen Fernsehanstalt sein, unter dem Motto Freiheit der Kunst durch pietätlose Verhöhnung ganzer Branchen und Regionen Einschaltquoten zu generieren.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Alois Schöpf

PS aus 2023: Bitte lieber Felix, bleib, wo der Schilcher wächst!



Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. HELMUT LEISZ

    LIEBER HERR SCHÖPF –
    Herzlichen Dank für ihren aufklärenden Artikel –
    75. Geburtstag des Dichterfürsten
    Literarische Korrespondenz:
    Alois Schöpf an Felix Mitterer

    Da kommt mir eine Episode aus der Arbeitsstätte meiner Frau in Erinnerung!
    Eine circa 85-jährige Dame erklärte bei einer Diskussion über die Unverschämtheit gewisser Leute und Würdenträger unseres Landes:
    „DIE GIER ISCH A LUADA –
    DA NEID ISCH IHR BRUADER ….
    DIE GEILHEIT A G´NAD!“

    Damit ist schon ALLES gesagt!

    Liabe Griass – Helmut Leisz

  2. Otto Riedling

    Abgeblasen! Siehe Interview in der TT vom 04.02.2023!

  3. c. h. huber

    lieber alois,
    möglich, dass du den ischgl-text von felix mitterer bereits gelesen hast – ich kenne ihn nicht, werde auf jeden fall abwarten bei seiner beurteilung. und vielleicht hast du etwas vergessen: humor ist, wenn man trotzdem lacht! – was moralisch nicht immer astrein ist, dennoch seit jeher auf viele satiren zutrifft

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