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Norbert Hölzl
Quergestelltes Schiff im Suezkanal
Versuch einer historischen Einordnung

Der Suezkanal ist wieder einmal blockiert. Diesmal ohne böse Absicht durch ein 400 m langes Containerschiff. Die holländische Bergungsfirma hat schon mehrfach ähnliche Monstren im Kanal befreit.

Als Nasser 1956 den Suezkanal verstaatlichte, spielten die Möchtegern-Weltmächte England und Frankreich Krieg gegen Ägypten. Wie rauflustige Buben wurden sie von den USA und der UdSSR zurückgepfiffen. Gesprengte und bombardierte Schiffe machten den Kanal unpassierbar. Dann kam Israels Sechs-Tagekrieg 1967: der Kanal war wieder blockiert, bis 1975. Reeder wie Onassis wurden reich mit ihren Fahrten rund um Afrika.


Erste Verbindung zwischen den Weltmeeren

1869 wurde diese erste Verbindung zwischen den Weltmeeren glanzvoll eröffnet. Davon liest man märchenhafte Geschichten. Es seien alle Mächtigen zusammengekommen wie beim Wiener Kongress. Es kam aber nur ein Herrscher, Franz Joseph. Aber den wollte nach seinen außenpolitischen Glanzleistungen niemand treffen: Todfeindschaft mit Russland und verlorene Kriege gegen Frankreich und Preußen. Von den Auftritten des Kaisers am Kanal künden imposante Darstellungen im Gezira-Palast in Kairo, dem heutigen Marriott-Hotel.
Eine 100 Jahr-Feier war nicht möglich. Der Kanal war unpassierbar. Daher feierte Ägypten anlässlich des 125-Jahr-Jubiläums 1994. Prunkzelte im Stil von 1869 wurden errichtet. Man erwartete den österreichischen Bundespräsidenten, aber Herr Klestil hatte längst einen Staatsbesuch in Israel fixiert. Lediglich Frau Klestil besuchte eine Aufführung der Oper „Aida“, die Verdi zur Eröffnung des Suezkanals komponiert hatte.


Was der Kaiser so anstellte

Ein ähnliches Durcheinander herrschte bereits im Jahre 1869. Der Kaiser wünschte, dass die Einfahrt in den Kanal in Port Said den Namen „Kaiser Franz Joseph-Kai“ erhielt, was die Engländer 1914 sofort wieder strichen. Ebenso wichtig war dem rachsüchtigen Kaiser, dass der gerade in Ungnade gefallene und auf massive Intervention Feldmarschall Radetzkys unwillig rehabilitierte österreichische Planer des Kanals, der Tiroler Alois Negrelli, nie und nirgends erwähnt werden sollte. Generationenlang hat man daher die Schüler belogen: Der böse Franzose Lesseps habe dem Österreicher den Ruhm gestohlen! In Wirklichkeit hat Lesseps großzügig in Erinnerung an Negrelli die Prunkstraße vor dem Sitz der Kanalbehörde in „Ismailia Negrellistreet“ benennen lassen. 1956 allerdings strichen die wütenden Ägypter alles Englische, darunter irrtümlich auch die nach dem Österreicher benannte Straße. 1994, nach meinem Film über Ungereimtheiten rund um den Kanalbau, bat ich LH Weingartner, er möge doch Außenminister Schüssel ersuchen, die Ägypter zu bitten, die „Negrellistreet“ wieder aufleben zu lassen. Sie taten es sofort. Sie haben sogar, weniger vergesslich als die Österreicher, die Nachkommen Negrellis  zu Festlichkeiten 1974 eingeladen.


Wer ist eigentlich Negrelli?

Lesseps, im deutschen Dumont Verlag heute als Schöpfer des Kanals mit Lob überschüttet, war Diplomat und kein Techniker. Seine Glanzleistung war es, die Engländer, die den Kardinal partout nicht wollten, im Osmanischen Reich auszutricksen. England fürchtete um sein Monopol, die Route um Afrika, wo es alle Versorgungshäfen beherrschte. Die großen Gewinner waren Österreich mit Triest und Frankreich mit Marseille. Beide rückten Indien durch den Suezkanal um 8000 km näher, ein enormer Vorteil gegenüber England.

Negrelli erhielt erst im späten 20. Jahrhundert winzige Straßennamen zuerkannt: u.a. in Innsbruck, Bozen und am Stadtrand von Wien draußen bei den Obstbäumen. Einzig und allein sein versteckter Heimatort Primör oder Fiera di Primiero in Welschtirol verfügt über ein Negrellimuseum in der prächtigen alten k.u.k. Berghauptmannschaft. Auch ein großes Standbild an der Durchzugsstraße zum Rollepass darf nicht unerwähnt bleiben.

Negrelli, 1799 – 1858, war der bedeutendste Verkehrsplaner Europas im 19. Jahrhundert. Zum Bauingeneur ausgebildet in Innsbruck, übernahm er die Rheinregulierung in Vorarlberg. Die Schweizer staunten über den jungen Techniker und boten ihm das dreifache Gehalt. Der Tiroler entwarf das erste Eisenbahnnetz der Schweiz. Jetzt erwachte auch Wien, verdoppelte sein Gehalt und übergab ihm den Bau der Nordbahn.

Während Radetzkys Italienkrieg 1848/49 verblüffte Negrelli den greisen Feldherrn mit perfektem Nachschub und blitzartigen Brückenbauten. „Ohne Negrelli hätte ich nie so schnell siegen können“, kommentierte Haudegen Radetzky und vergaß das auch nie. Negrelli war einer der ersten, den der damals 19-jährige Kaiser in den Adelsstand erhob. Dabei machte er allerdings einen kleinen Fehler. Als Adelstitel erwählte er nicht den Ort einer ruhmreichen Schlacht, sondern nannte sich Ritter von „Moldelbe“. Seine Bahnbauten an Moldau und Elbe waren ihm, anders als den Militärs, wichtiger als alle Schlachtereien in Italien.

Negrelli leitete von Verona aus die Bahnbauten von Venedig über Verona nach Bozen, ein Mammutprojekt in den malariaverseuchten Sümpfen von Po und Etsch. Dann ein weiterer kleiner Fehler. Der Techniker wagte es, die österreichische Besatzungspolitik in Italien mit dem Auspeitschen von Frauen und der willkürlichen Erschießung von Männern zu kritisieren. Wer Hass sät, wird Hass ernten, sagte er, und wurde daraufhin fristlos entlassen. Da kramte der 89jährige Feldmarschall Radetzky noch einmal seine Paradeuniform heraus und besuchte das 25jährige Kaiserlein. Angst kannte er nicht, es war ja schon sein fünfter Monarch. Welchen Marsch genau der Held des Radetzkymarsches dem Kaiser geblasen hat, weiß niemand. Jedenfalls wurde Negrelli sofort wieder eingestellt, im höchsten Beamtenrang als Chef aller Bahnbauten. Seine erste Amtshandlung war es, sechs Pläne für die Semmering-Bahn in den Papierkorb zu werfen und das kühne Projekt eines in Wien suspekten Italieners zu genehmigen. Es war der Venezianer Carlo Ghega, Erbauer der ersten Gebirgseisenbahn der Welt.


Totgeschwiegen

Als Negrelli mit nur 59 Jahren starb, erfolgte zum Entsetzen seines Heimatdorfes nicht der winzigste Nachruf. Beileidsbekundungen gab’s aus aller Welt. Aus Wien kam nur die Nachricht: Die Witwenpension wird bezahlt. Nur die Eisenbahner-Zeitung meldete ganz kurz den Tod ihres obersten Chefs. So ging’s zu, wenn der Kaiser beleidigt war. Ghega erhielt am Zentralfriedhof in Wien eines der pompösesten Ehrengräber und wurde als „der“ Bahnpionier gehandelt. Erst als der „Totengräber Österreichs“, wie der Psychiater Erwin Ringel Franz Joseph bei jeder Gelegenheit nannte, endlich Geschichte war, erhielt auch Negrelli ein Ehrengrab zu Füßen seines Untergebenen, errichtet von sechs dankbaren Staaten: Österreich, Deutschland, der Tschechoslowakei, der Schweiz, Italien und Ägypten.

Der Bildhauer der Freiheitsstatue, Bartholdy aus dem Elsass, schlug Ismael Pascha vor, in Port Said eine weibliche Figur mit Fackel aufzustellen – wie der Koloss von Rhodos zur Orientierung der Schiffe. An der Stelle, an die dann die Lesseps-Statue kam. Es entstanden allerdings nur Entwürfe. Erst nach dem Ende des Französischen Kaiserreichs kam es 1871zur Ausführung in New York.

Die Freiheitstatue war also ursprünglich für die Einfahrt des Suezkanals bestimmt. Zuletzt beschenkte Frankreich jedoch aus Freude über die eigene demokratische Entwicklung das große Vorbild „Vereinigte Staaten von Amerika“ mit der weltbekannten Großskulptur, welche die Einfahrt in den Hafen von New York dominiert. Da es für den Suezkanal keinen offiziellen Planer gab, stellte man ein Abbild von Lesseps als den „Schöpfer“ des Suezkanals auf dem Franz Joseph-Kai auf. Im Jahre1956 wurde die Protzfigur angeblich von einer französischen Bombe getroffen. Heute steht nur noch der riesige Sockel. Bei meinen TV-Arbeiten 1994 in Ägypten deutete man mir an, dass „Lesseps“ völlig heil, aber tief und für immer im Wüstensand vergraben liege.

1879 glaubte der Diplomat Lesseps angesichts der vielen Lorbeeren, er sei womöglich wirklich ein großer Techniker. Er begann mit dem Bau des Panamakanals. Das Geld kam von Investoren aus der ganzen Welt. Der Triumph von Suez würde sich wiederholen. Im Gegensatz zu den Eisenbahnpionieren hatte der Mann jedoch nicht die geringste Ahnung, wie man Zehntausende Arbeiter versorgt und organisiert. Negrelli-Plan gab es diesmal keinen. Zweiundzwanzigtausend Arbeiter starben an Tropenkrankheiten, die Maschinen verrotteten im Regenwald und der Star stand vor Gericht. Der Nationalstolz war aber dann doch stärker und der Betrüger bekam einen Teil seines Glorienscheins zurück. Bis heute. Die USA stellten den Panamakanal 1914 fertig. Den tatsächlichen Planern erging es übrigens ähnlich wie Negrelli. Der US-Präsident, eine Type wie Trump, war nämlich zornig über die Unbestechlichkeit der Techniker wie einst der Kaiser und verwehrte ihnen jeglichen Anteil am Ruhm. Aber das ist eine andere Geschichte.



Das brauchen wir nicht in Innsbruck

Dem vorletzten Direktor des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum schlug ich vor, das herrliche Panorama, das Negrelli vom Suezkanal hergestellt hatte, doch einmal in Innsbruck zu präsentieren und nicht nur im Depot der Nationalbibliothek in Wien verstauben zu lassen. Es ist so übersichtlich, dass sogar Volksschüler es begreifen würden. Der Direktor fand, dass der Suezkanal, den ein Tiroler geplant hat, so wichtig auch wieder nicht sei. Falls er Recht hat, sollte uns ein querstehendes Schiff im Kanal auch nicht sonderlich beunruhigen. Es wird schon wieder einmal flott gemacht werden und der Plan möge weiter in Wien verstauben.

PS: Ich bedanke mich beim einstigen Handelsdelegierten in Kairo, dem Innsbrucker Dr. Martin Pilser. Er hat mir bei meinen Recherchen in Ägypten viele Türen geöffnet.
Mehr über Suez- und Panamakanal sowie über die Glanzleistungen des Franz Joseph, der in Wien alles nach sich benannt hat, finden Sie in dem Buch „1000 Jahre Tirol“, 7. Auflage bei Tyrolia, 20 Eur.

 

Norbert Hölzl

Norbert Hölzl, Prof. Dr., ehemaliger Referatsleiter im ORF, Radio- und TV-Autor, TV-Regisseur und Buchautor.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Ronald Weinberger

    Hach, welch ein köstlicher V-I-P Artikel! V für vergnüglich, I für informativ und P für polarisierend.
    Polarisierend? Nun, ich habe den Eindruck, dass Sie mit dem seligen Kaiser Franz Josef nicht nur eines, sondern sogar mehrere „posthume“ Hühnchen oder Hähnchen zu rupfen haben. Einige ebenso wie FJ jagdbegeisterte zeitgenössische Bad Ischler (ich bin keiner!) würden Ihnen dafür liebend gerne ein paar Schrotkörner in den … Aber lassen wird das.
    Mir haben Ihre Ausführungen auf jeden Fall zugesagt und ich habe so manches dabei gelernt. Danke!

  2. dr.eibel

    danke für diesen artikel – aufklärung gut geschrieben tut gut!

  3. E. Schneitter

    Großartiger Beitrag. Da macht die Morgenlektüre richtig Freude.

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