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Nicole Staudenherz
Tierqual mit Gütesiegel
Ein Blick hinter die Kulissen
der österreichischen Masthuhn-Industrie
Essay

Etwa 100 Millionen Hühner wurden hierzulande im Jahr 2021 getötet. Tendenz steigend? Vor zehn Jahren waren es jedenfalls noch 25 Prozent weniger. Die große Mehrheit dieser unvorstellbaren Zahl an Individuen sieht nie einen Sonnenstrahl, geschweige denn eine grüne Wiese oder ein Sandbad, sondern vegetiert das ganze Leben in strukturlosen Masthallen dahin. Jüngste Aufdeckungen aus drei steirischen Betrieben zeigen, wie wenig ein Tierleben in der konventionellen Mastgeflügel-Maschinerie wert ist.

Die Aufnahmen sind nichts für schwache Nerven: Ein Video zeigt ein vergessenes Huhn in einer leeren Halle. Der Arbeiter jagt das Tier und erschlägt es brutal mit einem Stock. Mit dem Fuß tritt er auf den bewegungsunfähigen, aber möglicherweise noch lebendigen Körper ein.

Weitere Aufnahmen zeigen Mitarbeiter beim Kontrollgang in einer Masthalle mit kleinen Küken. Ein Mann steigt mit vollem Gewicht auf ein offenbar bewegungsunfähiges Tier und zerquetscht es mit seinem Fuß. Ein anderer schleudert so genannte Kümmerlinge gegen die Gestänge von Tränk- und Futteranlagen und tötet die kranken und schwachen Küken durch Genickbruch.
Wieder andere Aufnahmen zeigen einen Transporter, der wehrlose Tiere eiskalt überfährt.

Außerdem konnte durch das Videomaterial belegt werden, dass zigtausende Hühner in den Hallen rund um die Uhr mit Kunstlicht bestrahlt wurden. Das ist gesetzlich verboten – zumindest eine sechs Stunden durchgehende Dunkelphase muss täglich gegeben sein.

Aus gutem Grund: Die dauerhafte Helligkeit stört den Ruherhythmus der Tiere massiv. Die Folgen sind Stress und Leid. In der Branche ist diese Übertretung aber offenbar nicht unüblich. Denn durch das Dauerlicht sollen die Hühner noch mehr essen und schneller zunehmen.

Das Pikante daran: Alle drei Betriebe trugen zum Zeitpunkt der Videoaufnahmen das schmucke rot-weiß-rote Gütesiegel einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, das unter anderem die Aufschrift geprüfte Qualität enthält. Welcher Aspekt von Qualität wird da eigentlich genau geprüft?


Einzelfälle, zu viele Einzelfälle

Was tun die Verantwortlichen? Wie bei fast jeder Tierschutz-Aufdeckung melden sich die jeweiligen Lobby-Organisationen zu Wort, zeigen sich unglaublich betroffen und betonen gebetsmühlenartig, es handle sich um bedauerliche Einzelfälle.

Glücklicherweise lässt sich die zunehmend kritische Öffentlichkeit nicht mehr mit derlei Platitüden abspeisen. Auch diesmal ist die Entrüstung groß. Zahlreiche Medien berichten kritisch und in der Folge werden von der Gütesiegel-Stelle tatsächlich einige außertourliche Betriebsbesuche durchgeführt. Nicht ohne Konsequenzen: Etliche Betriebe werden aus dem rot-weiß-roten Qualitätsprogramm ausgeschlossen.

Zeitgleich bemüht man sich branchenintern um Schadensbegrenzung. In einem Schreiben, das dem VEREIN GEGEN TIERFABRIKEN (VGT) vorliegt, mahnt eine Interessensvertretung der Tierindustrie ihre Mitglieder dazu, angesichts der Skandalaufdeckung potenzielle verdeckte Aufnahmen in ihren Stallungen möglichst zu unterbinden.

Die in den Aufdeckungen kritisierten Missstände werden hingegen fast vollkommen ignoriert. Statt dringend nötige Verbesserungen einzuleiten, scheint es den Vertretern dieser Branche offenbar wichtiger zu sein, dass der traurige Status Quo in den Ställen möglichst nicht mehr im Rampenlicht der Öffentlichkeit auftaucht.


Brutale Normalität

Neben den geschilderten gesetzeswidrigen Praktiken, die zur Anzeige gebracht wurden, zeigen die Aufdeckungen vor allem eines: die ganz normale, völlig legale Brutalität der industriellen Hühnermast, die fühlende Lebewesen zu Produktionseinheiten degradiert.

Besonders der Einsatz absurd schnell wachsender Hühnerrassen ist aus Tierschutzsicht höchst problematisch. Solche Zuchtlinien sind aufgrund ihrer angezüchteten genetischen Prädispositionen extrem anfällig für Missbildungen.

Speziell gegen Ende der Mast zeigen solche Tiere typischerweise ein sehr geringes Aktivitätslevel. Durch ihr hohes Gewicht sind sie gezwungen, viel auf der feuchten, mit Fäkalien getränkten Einstreu zu sitzen oder zu liegen. Dadurch entstehen kahle Stellen, Dermatitis oder sogar Verätzungen an Füßen, Beinen und Brust. Die Entwicklung von Knochen und Gelenken kann beim Wachstum nicht mithalten.

Daher leiden Masthühner oft unter verschiedenen Fehlstellungen des Skeletts. Das kann so drastisch sein, dass sie nicht mehr aufstehen und sich kaum noch fortbewegen können oder gar hilflos auf dem Rücken liegen. Dadurch wird es für die Tiere schwer bis unmöglich, an Futter und Wasser zu kommen.


Ins Leben gesetzt für den Müll

All das wird in Kauf genommen, um ein möglichst schnelles Muskelwachstum zu erreichen. Auch dass ein Teil der Tiere während der Mast einen langsamen und qualvollen Tod stirbt, ist im Geschäftsplan einkalkuliert. Solange ein gewisser Prozentsatz die rund fünf Wochen bis zum Schlachttermin überlebt, ist die Aufzucht dieser Hühnerrassen trotz allem rentabel.

Tote Tiere sind in den riesigen Mastanlagen somit Alltag. Besonders in der ersten Woche sterben oft hunderte Küken täglich. Bis zur Schlachtreife mit nur 33-40 Tagen sterben fortlaufend Tiere an der Qualzucht oder den schlechten Haltungsbedingungen. Bei täglichen Kontrollgängen werden tote Tiere eingesammelt und entsorgt oder – wie die Aufdeckungen zeigen – mit Brachialmethoden getötet.

Die Liste der möglichen Gesundheitsprobleme ist lang: Herz-Kreislauf-Krankheiten, plötzlicher Herztod, Bauchwassersucht, Muskelerkrankungen, Infektionen, Verletzungen und schwere Beinfehlstellungen. All das ist durch Zucht und Haltungsbedingungen vorprogrammiert.

VGT-Campaignerin Denise Kubala meint dazu:
„Zu sehen, wie grausam diese meist ohnehin schon leidenden Tiere in den Mastbetrieben behandelt werden, ist kaum zu ertragen. Hier werden sie rücksichtslos mit dem Laster überfahren und dabei teilweise schwer verletzt zum Sterben zurückgelassen. Es ist nicht zu fassen, wie sehr besonders die Hühner in unserer Gesellschaft zu Produkten degradiert werden. Sehr deutlich wird das auch, wenn man sich die überzüchteten, extrem schnell wachsenden Hühnerrassen ansieht, die für die Mast eingesetzt werden. Das sind ganz klar Qualzuchten. Laut Tierschutzgesetz ist es verboten, Tiere aus solchen Zuchten zu verwenden, doch die enorme Gier nach massenhaft billigem Hühnerfleisch scheint dieses Gesetz auszuhebeln.“


Ein erster kleiner Schritt

Ein konstruktiver Lösungsansatz existiert schon und wäre auch in Österreich anwendbar: Die Europäische Masthuhn-Initiative ist ein Abkommen zwischen NGOs und Lebensmittelfirmen, das eine Reihe von wirtschaftlich realisierbaren Tierschutz-Maßnahmen auf wissenschaftlicher Basis für Masthühner setzt. Allen voran steht der Einsatz von Hühnerrassen, die weniger schnell wachsen und wesentlich gesünder sind.

Zudem sollen die Tiere natürliches Licht sowie Beschäftigungsmaterial erhalten. Je mehr Handelsketten sich dieser Initiative anschließen, desto eher kann es verbesserte Haltungsbedingungen geben. Das gilt auch für Österreich. Dass die Hühner quasi vor unserer Haustür weiter leiden sollen, nur weil der Handel mit Billigfleisch den maximalen Profit machen will, ist aus tierethischer Sicht weder nachvollziehbar noch legitim.


Konsumwandel durch Transparenz

Ein gängiges Argument der Tierindustrie lautet: Wenn die Menschen mehr Tierwohl bestellen, müssen sie auch bereit sein, mehr dafür zu bezahlen. Und die entsprechenden Produkte kaufen.

Auf die Konsumverantwortung der Einzelperson zu pochen ist grundsätzlich richtig. Interessanterweise kommt es aber immer justament dann zu dieser Trotzreaktion, wenn Missstände in der Tierindustrie an die Öffentlichkeit gelangen. Außerdem lenkt diese Argumentation von einem entscheidenden Detail ab: Genau die Information, die zu anderen Kaufentscheidungen motivieren könnte, nämlich die Wahrheit über Tierfabriken, wird von Akteuren der Branche systematisch zurückgehalten.

Zugleich sorgen schönfärberische Gütesiegel kombiniert mit schwammigen Werbebotschaften und aggressiven Rabatt-Aktionen dafür, dass die Tierqual-Produkte plötzlich viel unschuldiger daherkommen als sie sind. Somit braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Konsumenten auf den Griff ins Billigfleisch-Regal konditioniert sind.

VGT Vize-Obmann David Richter bringt das Problem auf den Punkt:
„Die Motivation der Konsument:innen, etwas tiefer in den Geldbeutel zu greifen, wird erst durch Ablehnung der aktuell vorherrschenden Qualzuchtrassen und damit verbundenem Tierleid entstehen können. Intransparente Werbemaschen der Branche mit fadenscheinigem Eigenlob können das kaum erreichen. Die Menschen müssen wissen, warum und wofür sie mehr bezahlen sollen.“


Den Handel in die Pflicht nehmen

Neben Tierhaltern und Gütesiegel-Organisationen hat vor allem der Lebensmittelhandel die Macht, Verbesserungen für die Tiere zu unterstützen oder aber zu blockieren. Handelsketten müssen stärker in die Pflicht genommen werden. Vor allem muss klar sein, dass die vorherrschenden Zustände in den aufgedeckten Betrieben zum größten Teil der legalen Praxis entsprechen.

Anderswo ist man schon weiter: In Frankreich beispielsweise haben sich bereits alle großen Supermärkte der Europäischen-Masthuhn-Initiative angeschlossen. Auch in Deutschland gibt es bereits eine beachtliche Zahl von Unternehmen, die sich angeschlossen haben, darunter auch Discounter. In anderen Branchen wie der Gastronomie bzw. der Systemgastronomie wird die Initiative ebenso immer mehr angenommen.

Obwohl Österreich die Anforderungen der Initiative in einer Hinsicht, nämlich der Besatzdichte in der Masthalle, bereits erfüllt, wird die Umsetzbarkeit von der Branche bestritten. Jetzt sind Lebensmittelhandel und Landwirtschaft in der Verantwortung, die Initiative zu unterstützen und die Verbesserungen umzusetzen.



Und Bio?

Gerade einmal sechs Prozent beträgt der Bio-Anteil beim Hühnerfleisch im österreichischen Lebensmittelhandel. Konventionelle Hühnermäster halten im Schnitt 20.000 bis 25.000 Tiere, wobei die Anzahl der Tiere pro Stall gesetzlich nicht limitiert ist. Bio-Mäster hingegen dürfen nur 4.800 Hühner pro Stall halten. Der einschlägige Fachverband schreibt seinen Mitgliedern zusätzlich vor, dass sie maximal 9.600 Hühner verteilt auf zwei Ställe halten dürfen.

Immerhin nutzen Bio-Betriebe aber langsamer wachsende Tiere, unterliegen strengeren Auflagen zur Haltung und medizinischen Behandlung und verfüttern biologisch angebautes Futter. Ob die Tiere unbedingt immer gesünder sind, darf jedoch bezweifelt werden. Zu diesem Schluss kommt zumindest ein aktueller Report der NGO Foodwatch:
„Für den Report ‚Tierleid im Einkaufskorb‘ hat foodwatch zahlreiche tiermedizinische Studien ausgewertet. Das Ergebnis ist vernichtend: In allen Haltungsstufen leiden Tiere unter schweren, produktionsbedingten Krankheiten.“

Insgesamt bessere Lebensbedingungen für die Tiere sind sicherlich trotzdem zu begrüßen. Doch man braucht kein Rechengenie zu sein, um zu erkennen, dass es schon allein aus Platzgründen unmöglich ist, jährlich hundert Millionen Hühner in Bio-Haltung zu produzieren.


Genussvoller Verzicht

Daher braucht es Menschen – viele Menschen! –, die bereit sind, den Tieren zuliebe auf (Hühner-)Fleisch zu verzichten. Das war noch nie so leicht wie jetzt. Neben vollwertigen Alternativen wie Kichererbsen-Bällchen, Haferflocken-Schnitzeln oder Bohnen-Bratlingen gibt es heutzutage unzählige knusprige, saftige, würzige Convenience-Produkte auf Erbsen- oder Sojabasis, die sowohl ernährungsphysiologisch als auch kulinarisch überzeugen.

Eine spontane Online-Recherche ergibt, dass pflanzliche Nuggets und Filets von mindestens fünf verschiedenen Anbietern auch im kleinen Österreich zu durchaus erschwinglichen Preisen erhältlich sind. Eines der Produkte wird dem Homo Sapiens wohl hoffentlich munden.

Wer es mit der Tierliebe ernst meint, dem schmeckt die pflanzliche Variante allemal besser.


Quellen:
„Bio Austria Info Geflügel”, bio-austria.at/app/uploads/2021/12/gefluegelinfo-2-2021.pdf
„Anzahl der Geflügelschlachtungen in Österreich von 2007 bis 2021“, de.statista.com/statistik/daten/studie/521654/umfrage/gefluegelschlachtungen-in-oesterreich
„Hühnermast in Österreich“, landschafftleben.at/lebensmittel/huhn/landwirtschaft/huehnermast-in-oesterreich
„Aufgedeckt: Hühner eiskalt überfahren”, vgt.at/presse/news/2022/news20221212mn_2.php
„Hühnermastskandal: Hühnerleichen in Maisfeld entsorgt, illegales Dauerlicht“, vgt.at/presse/news/2022/news20221214mn.php
„Geheimes Schreiben: Verband der Geflügelbranche verteufelt Aufdeckungen“, vgt.at/presse/news/2022/news20221216mn_2.php
“Direkte Folgen der Masthuhn-Aufdeckungen“, vgt.at/presse/news/2023/news20230105ju.php
„Hühnermast-Skandal in zwei weiteren Betrieben!“, vgt.at/presse/news/2023/news20230104ff.php
„Auswirkungen der Qualzucht bei Masthühnern“, vgt.at/presse/news/2023/news20230116mn.php
„Die Lüftungsanlage fiel in einer Hühnerhalle aus: 18.000 Tiere erstickten in Lavanttaler Betrieb“, unterkaerntner.at/chronik/panorama/die-lueftungsanlage-fiel-in-einer-huehnerhalle-aus-18000-tiere-erstickten-in-lavanttaler-betrieb

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Nicole Staudenherz

Nicole Staudenherz, geb. 1976 in Innsbruck, verheiratet, Betreuerin autistischer Kinder, Pflegerin bei den Sozialen Diensten Innsbruck, Pflegehelferin bei Tirol Kliniken, Diplom. Gesundheits- und Krankenschwester Tirol Kliniken, LKH Natters und Hochzirl, inzwischen hauptberufliche Kampagnenleiterin des Vereins gegen Tierfabriken (VGT).

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