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Literarische Korrespondenz:
Fritz Gurgiser an Alois Schöpf
Betrifft:
„Wenn Salvini Recht hätte?“
Tiroler Tageszeitung, 22. April 2023

Es geht nicht darum, was das Ausland von unserer Autobahn hält. Es ist immer gegangen und wird immer darum gehen, dass der Brenner und Umgebung eine andere Topografie mit engen Tälern nördlich und südlich aufweist. Wo eben Belastungen vielfältiger Art auf diese Region DIREKT und UNGESCHÜTZT einwirken, die es im Flachland nicht gibt. Weil die Alpen eben nicht mit der Po-Ebene zu vergleichen sind.

Ende der 1980-er Jahre hätte Verkehrsminister Rudolf Streicher ohne den Druck der Tiroler Zivilgesellschaft mit Bürgerinitiativen, dem Umweltforum der Uni Innsbruck, Gemeinden, Vereinen etc. keinen Schilling mehr in die Brennerbahn investiert, sondern die Autobahn ausgebaut.

Was wäre passiert?

Die Belastungen hätten noch mehr negative Auswirkungen gehabt (vor allem Luft und Lärm) und das Inntal wäre noch mehr terrorisiert worden. Als damals das Waldsterben thematisiert (ab ca. Mitte 1985) und in Folge aufgehalten wurde (mit einem satten Paket von Schadstoffreduktionen aller Art wie N02, Schwefel, Ruß etc.) haben wir vom Tiroler Forstverein den Grünen Zweig für den Einsatz zum Schutz des Lebensraumes und des Tiroler Bergwaldes bekommen (das damalige Komitee Vomp), weil wir uns voll engagiert haben. Bei der Verleihung habe ich den damaligen Vorstandschef der Hypo gefragt, warum uns der Tourismus nicht unterstützt. Die Antwort habe ich immer noch in meiner Kopf-Festplatte gespeichert: Für den Tourismus ist das Inntal eine tote Region.

Und Salvini? Ein als Verkehrsminister verkleideter Transitlobbyist der italienischen Frächtervereinigungen, dem nicht einmal das Europarecht, Perlenreihe 1 für Anfänger, geläufig ist. Wer die Arbeit von uns kennt oder gar bewertet, der weiß eines ganz genau: Wir haben nie etwas GEGEN Mobilität gehabt, sondern setzen uns mit unseren Mitgliedern seit Jahrzehnten FÜR Verbesserungen der Gesundheits-, Lebens-, Erholungs-, Regionalwirtschafts-, Natur- und Kulturqualität entlang stark belasteter Transitrouten (Straße und Schiene) ein.

Es wird ja hoffentlich niemand unhinterfragt der irrigen Meinung sein, die Bundesregierung habe mit der EU einen Transitvertrag paktiert (später dem EU-Beitritt Ohne Wenn und Aber genauso geopfert wie die Bauern mit ihrem Feinkostladen) oder mit den Alpenstaaten jahrelang das völkerrechtlich verbindliche Übereinkommen zum Schutz der Alpen  – Alpenkonvention – ausverhandelt, nur um uns im alpinen Bürgerrechtszentrum in Vomp einen Gefallen zu tun.

Oder mit der Lkw-Blockabfertigung das zu tun, was bei weiterem Nichtstun – wie bis 2017 – eine Anzeige wegen Amtsmissbrauch nach sich gezogen hätte. Denn es gibt keine einzige Verpflichtung im Europa- oder Nationalrecht, wonach ein Land gezwungen werden könnte, tatenlos zuzusehen, wie immer wieder Hunderte Transitlaster die Inntalautobahn auf Pannen- und Normalstreifen zuparken. Illegal und gesetzwidrig.

Auch die Bayern, die sich nun aufpudeln, hat dies jahrelang nicht interessiert. Es geht also nicht um die Frage, ob ein italienischer Transitlobbyist Recht oder Unrecht hat. Es geht darum, dass sich jeder Verkehr den Bedingungen des Raumes anzupassen hat, wo und wie er fährt, und das ist punktgenau unser auf National- und Europarecht gestützter Ansatz.

Der auch dann gilt, wenn der betrugsanfälligste Bereich des Binnenmarktes, das TEN (Transeuropäisches Straßennetz), betroffen ist. So wurde das TEN von drei EU-Kommissaren im EG-Betrugsbericht 1998 bezeichnet. Das hat sich nicht verbessert, sondern durch zahlreiche Liberalisierungen samt Lenkradlohnsklaventum noch verschlechtert.

Salvini und andere sollten sich besser fragen, warum die LKW-Maut vom Brenner abwärts bei 18 Cent/Lkw-km liegt (ebenso wie in ganz Deutschland), Kufstein-Brenner ca 80 Cent, Schweiz ca 84 Cent, Frejus ca 1,56 € und Mont-Blanc 1,94 €. Alles Deppen wohl nicht, wenn klar ist, dass 95 % der Straßenschäden von den 40-Tonnern stammen.

Die Folge: In Italien werden die Lkw-Schäden von der Pkw-Maut quer subventioniert, in der BRD das Bundesbudget belastet und damit das auch in der EU so hochgelobte Verursacherprinzip mit den Füßen getreten.

Mit den 2,5 Mio Transitfahrten am Brenner, inclusive dem politisch angelockten Umwegverkehr von knapp 1 Mio Transitfahrten (alles pro Jahr) haben die Transitlobbyisten in ihrer Rücksichtslosigkeit wenigstens eines geschafft: Die A13 und A22 rund um den Brenner ist ruiniert.

Fazit: Wer den Verkehr anstelle der Anrainerschaft schützt, wer den einfachen Sachverhalt, wonach begrenzte Täler keinen unbegrenzten Verkehr vertragen, ignoriert, erntet die Missstände, die heute gegeben sind.

Es gäbe noch sehr viel mehr dazu, aber im Kern bleibt der Befund: Es ist höchste Zeit – und Tirol samt der Brennerregion sind Vorreiter – die Ursachen zu beseitigen und das völlig absurde, wirtschaftsfeindliche und wettbewerbswidrige Binnenmarkt-Dumping-System nach den Grundsätzen des Verursacher- und des Vorsorgeprinzips zu ändern.

Anstatt sämtliche geistige und finanzielle Energie wie derzeit auf allen politischen Ebenen mit dem Auspuffblick nur in die Frage zu investieren, wie kann dieses System noch gesteigert werden. Es macht ja auch keinen Sinn, sich den ganzen Tag den Kopf darüber zu zerbrechen und Versuch um Versuch zu starten, in ein randvolles Glas Wasser immer noch Wasser zu gießen und nicht drauf zu kommen, warum das Glas übergeht, obwohl doch so viel Technik und Steuergeld investiert wurde.

Zum besseren Verständnis lege ich noch 3 Grafiken bei.

Transitforum Austria-Tirol

In dieser Grafik stecken Wissen und Erfahrung von mehr als 30 Jahren: abgestimmt mit Profis, die nie stehen geblieben sind wie die Politik, sondern den Mut haben, mit der Zeit zu gehen und sich von niemandem treiben zu lassen.

Alpenweiter Mautvergleich

Denn der größte und schwerste Fehler des Binnenmarktkonzeptes von Cecchini (habe ich schon Ende der 1980-er Jahre gelesen) war und ist, dass es nur auf Liberalisierung setzt und damit den Dumping-Wettbewerb unter den 27 Mitgliedstaaten forciert.

Transitforum Austria-Tirol

Ein sehr gutes Beispiel ist die Verteilung der LKW-Transit-Fahrzeuge am Brenner: Immer weniger Kennzeichen aus NL, BRD, A oder I – die Frächternationen vor dem Beitritt (1995) und vor allem vor der Erweiterung (2004). Dafür heute vor allem aus den EU-Oststaaten, denn dorthin wurden sowohl die gesamten Flotten als auch die Fahrer steuer- und abgabenschonend ausgelagert.

Prinzip: Die Brennerregion trägt die Lasten, die EU-Oststaaten haben die Steuern und Abgaben und die Outsourcing-Industrie ihre billigen Lohn-, Steuer- und Sozialstandorte, während wir gut bezahlte Arbeitsplätze in der Produktion exportieren und stattdessen Billigjobs in int. Handelsketten importieren (brauche nur in der eigenen Gemeinde zu schauen: Geiger weg, Elektra Bregenz weg … und dafür Aus & Raus, Fressnapf, Tedi … und in keinem dieser Shops auch nur ein einziges regionales Produkt).

All das, was ich hier noch zusätzlich beigelegt habe, ist x-fach auch auf EU-Ebene schwarz auf weiß belegt, wird totgeschwiegen, weil das Götzentum der vermeintlichen Freiheiten immer noch an erster Stelle steht und niemand eine Diskussion darüber will, ob sich diese Freiheiten nicht längst zu einem erheblichen Teil in Belastungen verwandelt haben.

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Fritz Gurgiser

Fritz Gurgiser, geb. 1952, ist ein österreichischer Politiker. Neben seiner Tätigkeit als Mitarbeiter einer Stahlbaufirma trat er bei der Landtagswahl in Tirol 2008 für die Liste Fritz Dinkhauser an und zog in der Folge in den Tiroler Landtag ein. Darüberhinaus ist er seit Jahrzehnten ein engagierter Kämpfer gegen den die Umwelt und die Lebensqualität der Bewohner beeinträchtigenden Transitverkehr durch Tirol.

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