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Kurt Schmidinger
Massentierhaltung als Petrischale für besonders gefährliche Viren
Essay

Der erste Corona-Lockdown ist vorbei, in einigen Ländern oder Landkreisen erfolgt gerade der zweite – und wer denkt, Menschen und Politik würden daraus lernen, wird desillusioniert. Nimmt man das in der Wissenschaft kaum bestrittene Szenario der COVID-19-Entstehung auf einem Wildtiermarkt in Wuhan als Basis, wird klar: In einer „veganen Welt“ ohne Konsum von Tieren hätten wir uns dieses wirtschaftliche und teilweise humanitäre Desaster weltweit erspart, ebenso wie HIV ohne den Verzehr von Affen. Auch vor Vogelgrippe, Schweinegrippe, Ebola und vielen anderen Krankheiten wären wir Menschen durch eine „vegane Menschenwelt“ sehr wahrscheinlich verschont geblieben.

Zurück zur Gegenwart: Die Restaurants, die den Lockdown wirtschaftlich mit Ach und Krach bald überstanden haben, servieren sicherlich wieder Schnitzel und Schweinebraten ans dankbare Publikum. So, als wollten wir uns nach COVID-19 gleich in die nächsten Pandemien und Lockdowns stürzen und die letzten noch wirksamen Antibiotika der Massentierhaltung opfern. In Supermarkt und Kantine das gleiche Bild: Einzelne Menschen haben die logischen Konsequenzen gezogen, die große Mehrheit will von Ursachenbekämpfung nichts wissen, auch die Politik nicht. Zarte Ansätze von Ursachenbekämpfung sind bestenfalls in der EU im Zuge des „Green Deals“ erkennbar und in den Verordnungen 2019/4, 2019/5 und 2019/6  zur Reduktion von Antibiotika in der Landwirtschaft.

„Homo sapiens“, „verständiger Mensch“ nennen wir uns sehr unbescheiden, man könnte sagen selbstüberschätzend! Angesichts der Klimakrisen, Pandemien, Antibiotikaresistenzen, Zerstörung der Regenwälder oder des unfassbaren Leids von Tieren und Menschen ist unsere rasche Entwicklung zu einem wahren „homo sapiens“ aber existentiell nötig.


Drei Viertel unserer neuen Krankheitserreger kommen aus dem Tierreich

Etwa drei Viertel der neu auftauchenden Krankheitserreger beim Menschen stammen aus „zoonotischen Quellen“. Sie werden also von Tieren auf Menschen übertragen. Dies bestätigen auch die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO und die Weltorganisation für Tiergesundheit OIE. Sogenannte RNA-Viren aus dem Tierreich machen den größten Teil der neu entstehenden Krankheitserreger für Menschen aus. Immer neue Wellen von Vogelgrippe sowie Schweinegrippe, zudem Nipah-Virus, Ebola, HIV usw. haben einen zoonotischen Ursprung.

Dass dabei Wildtiermärkte eine Brutstätte für neue Erreger und damit potentiell Pandemien sind, ist unbestritten. Auch COVID-19 hatte dort laut Stand der Wissenschaft seinen Ausgangspunkt. Jagd und Entwaldung bergen ebenso massive Pandemierisiken.


Industrielle Nutztierhaltung als Brutstätte neuer Pandemien

Gut 80 Prozent des zerstörten Amazonas-Regenwaldes sind heute Rinderweiden und weitere Flächen fallen dem Anbau von Futtermitteln zum Opfer. Dieses Vordringen in die Tiefen der Regenwälder bringt den Menschen mit gestressten Wildtieren in Kontakt, die für unser Immunsystem völlig fremde Viren übertragen. Das ist ein vielleicht indirekter, aber unbestrittener Zusammenhang der Massentierhaltung mit neuen Pandemien.

Umstritten ist hingegen die Frage, ob Massentierhaltungen selbst auch Brutstätten für tödliche Pandemien sein können. Renommierte Organisationen wie die FAO beispielsweise bejahen diese Frage klar. Skeptiker wenden allerdings gerne ein, warum dann die besonders industrialisierten Haltungen in Norddeutschland und den Niederlanden bisher noch nie eine globale Pandemie ausgelöst haben. Ähnlich könnten auch chinesische Wildtiermarkt-Befürworter bis in den Herbst 2019 „argumentiert“ haben – und dann kam COVID-19.

Nachfolgend eine Analyse der Bedingungen, die nötig sind, damit aus der industriellen Nutztierhaltung gefährliche Pandemien entstehen.

1. Viren gelangen von außen in die Tierfabriken
Das Gerede von „Biosecurity“ in industriellen Nutztierhaltungen soll Sicherheit suggerieren, in der Realität sind diese offen wie ein Scheunentor: Täglich kommen Millionen Tiere aus anderen Zuchtbetrieben, Brütereien und Nutztiermärkten in die industriellen Tierhaltungen, Abertonnen an Futter und Wasser werden hineingeschleust, Personal geht rein, und Insekten fliegen von außen in die schmutzigen Hallen. Durch all das werden Viren von außen eingeschleppt. Die Trennung in Zucht- und Mastbetriebe in der Schweinehaltung beispielsweise erhöht zusätzlich den Austausch der Tiere und ihrer Viren zwischen industriellen Tierhaltungen.

2. Ideale Ausbreitungsmöglichkeiten für Viren
Speziell diverse Influenza-Viren, aber auch Corona-Viren kursieren immer wieder in Massentierhaltungen und haben dort ideale Voraussetzungen, sich zwischen tausenden geschwächten Schweinen oder zigtausenden geschwächten Hühnern oder Puten, die alle untereinander genetisch ident sind, auszubreiten. „Social distancing“ ist ja unsere zentrale Maßnahme bei COVID-19 und anderen Pandemien. Das krasse Gegenteil davon ist die industrielle Nutztierhaltung mit Tieren, die Körper an Körper im eigenen Dreck vegetieren. Hohe Besatzdichten von Schweinen oder Geflügel sind Faktoren, die Viren bei ihrer Entstehung fördern. Weltweite Untersuchungen zeigen, dass Betriebe mit über 10.000 Hühnern etwa viermal so anfällig sind für HPAI H5N1-Ausbrüche (Vogelgrippe) wie kleinere Betriebe.

3. Sehr tödliche Viren haben in der Natur keine Chance, in der Massentierhaltung sehr wohl.
In der Natur sind sehr tödliche Mutationen von Viren kurzlebig, da sie ihre Wirtstiere schnell töten. Sterbende Tiere haben keine Sozialkontakte mehr, womit auch das Virus selbst ausstirbt.
In der industriellen Nutztierhaltung ist dieser Schutz ausgehebelt, dort sterben Tiere inmitten von abertausenden anderen Tieren Körper an Körper. Auch sterbende und verendete Tiere sind somit Überträger. Potentielle Killerviren haben hier im Gegensatz zur freien Wildbahn leichtes Spiel sich rasant zu vermehren und auf Mensch und Umwelt überzugehen.

4. Wirtswechsel der Viren auf den Menschen möglich
Wie bereits erwähnt, sind etwa drei Viertel der neu beim Menschen auftauchenden Krankheitserreger zoonotisch. Dass Viren von Tieren auf uns Menschen übertragen werden und bei uns Krankheiten auslösen können, passiert laufend.

5. Viren gelangen aus den Tierfabriken nach außen
Industrielle Nutztierhaltungen sind wahre Virenschleudern. Virenbelasteter Feinstaub gelangt ungefiltert in die Umwelt und Insekten tragen Viren hinaus. Millionen Tonnen belasteter Exkremente werden auf die Felder gespritzt, wodurch sich wildlebende Tiere infizieren können. Und egal ob tot oder noch lebend, alle Tiere verlassen den Betrieb, und mit ihnen ihre Viren. All das wäre in Labors mit Schutzstufe 4, die z.B. bei Viren wie H5N1 nötig ist, völlig undenkbar. Massentierhaltungen arbeiten auf Schutzstufe 0, die Übertragungsmöglichkeiten nach außen sind massiv.

6. Mensch-zu-Mensch-Übertragbarkeit
Ein Schritt fehlt noch zu einer Pandemie: Die Viren müssen leicht von Mensch zu Mensch übertragbar sein. Vogelgrippeviren vom Typ H5N1 sind wahre Killerviren mit über 50% Sterblichkeit beim Menschen. Die Kriterien 1 bis 5 hat H5N1 bereits erfüllt. Zum Glück für uns ist die Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch kaum gegeben, sodass H5N1 bis jetzt keine Pandemie verursacht hat. Die letzte Barriere hat standgehalten. Zahlreiche andere Viren haben hingegen eine starke Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch, wie diverse Grippewellen jedes Jahr zeigen.

Könnte HPAI H5N1 durch Mutationen die letzte Hürde überspringen und plötzlich gut von Mensch zu Mensch übertragbar sein, zusätzlich mit langer Inkubationszeit, sodass Menschen vor dem Ausbruch der Krankheit und folgender strengster Quarantäne noch unbemerkt andere Menschen anstecken können, dann wäre eine Ultra-Pandemie Realität. Die Wirtschaft käme komplett zum Erliegen, selbst ein Supermarkteinkauf würde zum russischen Roulette, dem vielleicht letzten Ausgang vor dem Tod. Aber so ein Einkauf würde sich ohnehin erübrigen, weil sich auch das Supermarktpersonal nicht mehr an den Arbeitsplatz wagen würde. Die Lebensmittel-, Wasser- und Stromversorgung, die Müllentsorgung und das Gesundheitswesen würden rasch kollabieren.
Ein dystopisches Bild einer möglichen Zukunft!


Die nächsten Viren lauern schon – zum Beispiel in der Schweinemast

Wenig verwunderlich gibt es schon weitere bekannte und sicher noch weit mehr unbekannte Viren, die in den Startlöchern stehen, um möglicherweise die nächste globale Pandemie in der Menschheit auszulösen. Eines davon ist das Schweine-Coronavirus SADS-CoV, das auch menschliche Zellen infizieren kann, wie kürzlich am 12. Oktober 2020 publiziert worden ist. Wieder ein Virus, dessen Übersprung auf den Menschen vermieden werden könnte, wenn wir die Schweinehaltung, speziell die industrielle Schweinehaltung, endlich hinter uns bringen würden. Die Studien-Hauptautorin Caitlin Edwards wird zitiert mit der Forderung nach einer „kontinuierlichen Überwachung von Schweinen“. Es wird also weiter herumgeeiert, anstatt das Problem an der Wurzel anzupacken.


17 Millionen Nerze in Dänemark getötet, um neue Corona-Welle abzuwenden


Anfang November wurde bekannt, dass eine neue, auf den Menschen übertragbare Form von Sars-CoV-2 in Nerzfarmen entstanden ist und bereits Menschen in Dänemark infiziert hat. Die Nerzhochburg Dänemark ließ daraufhin alle 17 Millionen Nerze töten um eine zweite weltweite Pandemiewelle abzuwenden. Innerhalb von Tagen kollabierte ein scheinbar unantastbarer, übermächtiger Industriezweig und es bleibt zu hoffen, dass die unsäglichen Nerzfarmen in Dänemark nie wieder aufsperren werden!


Industrielle Tierhaltung – die Hauptursache für Antibiotikaresistenzen

Abseits der viralen Pandemien steuern wir auf ein weiteres, in Kliniken heute schon gefürchtetes Gesundheitsfiasko zu, das uns die industrielle Nutztierhaltung beschert. Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnte bereits mehrfach, unter anderem 2017, eindringlich vor dem Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung und der Gefahr der Bildung von Keimen, die gegen alle Antibiotika resistent sind. Schätzungen gehen davon aus, dass weltweit 70 bis 80 Prozent der Antibiotika in der Nutztierhaltung eingesetzt werden, der kleinere Rest in der Humanmedizin. Zudem wird in der Nutztierhaltung zwischen 2010 und 2030 weltweit auch noch ein Anstieg des Verbrauchs von Antibiotika von 70 Prozent erwartet. In vielen Regionen der Welt werden Antibiotika als Wachstumsförderer eingesetzt. Die Exposition von Bakterien zu dieser permanenten Gabe von geringen Mengen an Antibiotika begünstigt Anpassungen und Resistenzen der Bakterien. Die nicht resistenten Bakterien sterben weg, die resistenten überleben und nehmen den Platz der abgestorbenen, nicht resistenten Bakterien ein.

Selbst für die Humanmedizin wichtigste Reserveantibiotika wie Colistin werden fürs billige Schnitzel oder den Schweinebraten verschleudert. Resistenzbildungen sind schon weit fortgeschritten.


Homo sapiens‘ simple Lösung

Kein Tier müsste heute mehr in Massentierhaltung dahinvegetieren und sterben, damit wir saftige Burger und knusprige Nuggets essen können. All das gibt es mittlerweile auf pflanzlicher Basis. In naher Zukunft werden wir zudem sicheres Fleisch aus Tierzellen in Fleischbrauereien herstellen – ohne Massentierhaltung, ohne Tiertransporte, ohne Schlachthöfe und ohne Wildtiermärkte. Statt von einer Pandemie zur nächsten zu taumeln und multiresistente Keime zu züchten, sollten wir rasch die Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts nutzen – und besser heute als morgen der industriellen Nutztierhaltung und den Wildtiermärkten ein Ende setzen! Tierschutz, Weltklima, Regenwald und auch unsere eigene Gesundheit sagen danke!

Links:
• Webinar vom Autor zum Thema: https://www.vegan.at/pandemien
• Präsentations-PDF vom Autor zum Thema: http://futurefood.org/pandemien.ppt
• Beeindruckender Report von ProVeg (mit 465 wissenschaftlichen Quellen!): https://proveg.com/de/wp-content/uploads/sites/5/2020/07/PV_Food_and_Pandemics_Report_Digital.pdf

Kurt Schmidinger: Lebensmittelwissenschafter und Geophysiker


Kurt Schmidinger

Dr. Kurt Schmidinger hat einen Master in Geophysik und einen Doktor in Lebensmittelwissenschaft und beschäftigt sich mit Alternativen zu Tierprodukten, sowohl in seinem Projekt futurefood.org als auch in Zusammenarbeit mit vielen Organisationen weltweit . Er ist zudem IT-Softwareentwickler und Tierschutz- und Umweltaktivist.

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