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Helmuth Schönauer
Weitwinkel für den Sommer

1.
Sommer ist, wenn die Zeitung drunten im Garten liegt und du oben vom Balkon aus in die Landschaft schaust. Diese Beschreibung aus dem vorigen Jahrhundert muss heutzutage ergänzt werden durch den Hinweis, dass man von dieser Idylle am besten zuerst mit dem Handy ein Foto macht und dieses anschließend auf dem Klapp-Display anschaut und wegwischt.

Nach wie vor gibt es drei Wege, um zu einem Sommer zu kommen, Klimawandel hin oder her.

a) wegfahren
b) zu Hause abtauchen
c) magisch inszenieren

Das Eingangsbild von der Zeitung, die man weit von sich weg und in einen aufgeräumten Kontext schiebt, ist eine so simple Inszenierung, dass sich nur die wenigsten darüber trauen. Unter der Hand wird diese Methode Projekt Weitwinkel genannt, indem man einfach auf die Größenverhältnisse zwischen seiner eigenen Identität und der Welt achtet.

2.
Am Beispiel der Nachrichtenlage lässt sich beurteilen, wie der Sommer in diesem Jahr ausfallen wird. In der Tiroler Presse gibt es dabei deutliche Hinweise, dass er heuer eher flach ausfallen dürfte, da das ganze Land abflacht, was den intellektuellen Hintergrund der dargebotenen Nachrichten betrifft.

So verkündet das für Innsbruck zuständige Bezirksblatt, dass sein umtriebiger Chefredakteur nach Jahrzehnten in Pension geht und die Zeitung jetzt Mein Bezirk heißt.

In der ORF-Nachrichtenleiste sticht vor allem die Nachricht hervor, dass man es dem Sportlandesrat Dorni übel nimmt, dass er mit Dienst-Tickets vom Tiroler Fußballverband offiziell zur EM nach Deutschland gefahren ist. Wahrscheinlich lautete der Dienstauftrag, dort Daumen zu drücken und endlich einmal ein volles Stadion zu betreten, nachdem das heimische Tivoli schon seit Jahren ohne Publikum vermodert.

Augenzwinkernd wurde auch spekuliert, dass er vielleicht gar nicht zum Österreich-Spiel, sondern zu den Italienern ins Stadion gefahren ist, um seine Presse-Partnerin für Herzensangelegenheiten zu treffen. Eine gelungene Scheinfrage dazu lautet: Wäre Dorni auch übel nachgeredet worden, wenn er dienstlich statt ins Stadion zur Frankfurter Buchmesse gefahren wäre?

Eine dritte kleine Sommernachricht handelt von den Grünen, über die politisch der Klimawandel schon längst hinweggerollt ist. Unter einem Haufen an sinnlosen Woke-Meldungen piepst es in dieser Woche heraus: Wir haben  viele Nazikennzeichen auf Tiroler Autos! HH am Kennzeichen heißt womöglich Heil H., weshalb wir solche Codes bekämpfen müssen.

Deutschlandaffine Menschen weisen freilich darauf hin, dass HH Hansestadt Hamburg heißt und von Tirol in Ruhe gelassen werden soll.

3.
Sommernachrichten in den Medien bringen oft keine helle Stimmung. Die gute Stimmung muss man sich wie immer selbst machen. So lassen sich für jeden einzelnen Tag positive Sommer-Kleinigkeiten finden, welche beweisen, dass unsere Welt viel besser und aufgeräumter funktioniert, als es in der Zeitung steht.

Ein Reisepass, am Mittwoch im Magistrat bestellt, kommt am Freitag ins Haus. Das Innsbrucker Passamt funktioniert perfekt.

Das Pflaster der Altstadt „wird schneller verlegt als geplant“. Vielleicht ist es nur eine überglückliche Formulierung, die da im Amtsblatt Innsbruck verbreitet wird, aber es geht in der Altstadt wirklich was weiter.

BIG soll MCI bauen! – Na also, es gibt doch noch vernünftige Leute in Stadt und Land, die fast immer das zusammenbringen, was sich die Menschen von ihnen erwarten.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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