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Helmuth Schönauer
Sätze in Isolationshaft
Wenn sich das Recht selbständig macht.
Stichpunkt

1.
Eine ordentliche Beschäftigungspolitik – als im vorigen Jahrhundert Jörg Haider diese Wortgruppe verwendete, wurde sie sofort desinfiziert und unter Quarantäne gestellt. Und mit ihm sein Produzent, der als Landeshauptmann von Kärnten zurücktreten musste. Seither ist diese Wortgruppe tabu, oder muss kursiv gesetzt werden wie hier, als Zeichen, dass sie gefährlich ist.

Diese Wortgruppe wurde nämlich von den Nazis sprachlich verwendet und physisch angewendet, sodass das abermalige Aussprechen dieser Wortgruppe leicht als Wiederbetätigung ausgelegt werden kann.

Viele, die mit der Umgangssprache gutgläubig aufgewachsen sind, fragen sich bis heute, warum man das Wort ordentlich im Haider’schen Sinn nicht verwenden darf, spricht man doch sonst unbekümmert von einem ordentlichem Gewitter, einem ordentlichen Fahrradsturz oder einem ordentlichen Schmerz.

Wenn in der Öffentlichkeit besonders wertend und moralisierend berichtet wird, gibt es plötzlich keine Unschuldsvermutung mehr, ordentliche Beschäftigungspolitik ist ein Nazi-Sager, und alles andere ist Majestätsbeleidigung der Geschichtsschreibung. Richtig wäre gewesen, Herrn Haider nachzuweisen, dass sein Satz ein Unsinn ist und die Beschäftigungspolitik der Nazis keineswegs ordentlich war. Hat man aber nicht!

Zwei Generationen später weiß mindestens die Hälfte der Bevölkerung nicht mehr, was es mit diesem Tabu rund um den Haider-Sager 1991 auf sich hat, weil diese Generationen ziemlich Nazi-unbekümmert aufgewachsen sind. Sie reagieren klug mit einem Reflex, sie lassen Wörter einfach weg, die einem Schwierigkeiten bereiten können. Ordentlich ist eines davon.

2.
Ähnliches dürfte sich später einmal mit dem Kickl-Sager vom Jänner 2019 zutragen, wonach das Recht der Politik folgen muss und nicht umgekehrt. Natürlich kann man aus dieser Wortkonstellation Putsch, Verfassungsuntreue und Verächtlichmachung der Menschenrechte herauslesen, wenn man die entsprechende semantische Brille aufhat. Zumal diese Überlegung ja damals von einem amtierenden Innenminister geäußert worden ist.

Der Kickl-Sager könnte aber auch so gelesen werden, dass man zwischendurch einfach einmal ganz nüchtern demokratisch reflektieren sollte, ob das Recht noch uns Rechtsinhabern folgt, oder ob es sich schon verselbständigt hat.

Im Hintergrund dieser Überlegung steckt die Aporie, dass sich Menschenrecht, Asylrecht und Aufenthaltsrecht Tag und Nacht im Kreis herum jagen und die souveränen Bürger darin zum Narren halten. Auch hier wird die Tabuisierung der Überlegung und die Dämonisierung des Kickl nicht viel bringen, außer viel Speichelfluss in Talkshows, wenn moralisierende Juristen ihren Geifer abladen.

3.
Die Tabuisierung der Sätze und die Isolationshaft ihrer Bedeutung bringt das gleiche Desaster hervor, in dem die einen mit Dogmen und die anderen mit Gottesrecht agieren. Die Demokratie wird dabei zu einer Staatsreligion, die man mit Züchtigung ihrer Abweichler zu schützen versucht. Der Paragraph Demokratiebeleidigung liegt an manchen Tagen schon ganz vorne auf der Zungenspitze diverser Antragsteller.

Am simplen Beispiel der Strafmündigkeit lässt sich zeigen, wie aufgewühlt das offizielle und das geheime Rechtsverständnis aufeinander treffen.

Die einen sagen, dass man entgegen der Meinung aller Fachleute die Hausnummer 12 in der Biographie erreicht haben muss, damit man strafmündig wird. Die anderen fragen dazu mit Recht, warum man dann nicht auch Bandenkriminalität bis zu einer Mitgliederzahl von 12 straffrei stellt.

4.
Ehe diese Fragen in Isolationshaft genommen und zum Tabu erklärt werden, sei hier für die Erinnerung notiert:

– Ist es noch ein Rechtsstaat, wenn der Zugang zu ihm nur noch über Rechtsgelehrte stattfindet?
– Kann es sein, dass die gefeierten Menschenrechte immer mehr freie Menschen in Geiselhaft nehmen und sich mit Gelächter vom juristischen Acker machen?
– Wer spricht es als erster aus, dass wir uns in der EU auch um manche Neu-Formulierungen in den Menschenrechten kümmern müssen?

Natürlich können wir auch den ganzen Kontinent juristisch in Geiselhaft nehmen und jene Menschen einfliegen, die uns als Wärter im eigenen Systemgefängnis bewachen, wir haben ja für alles Facharbeitermangel.


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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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