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Helmuth Schönauer
Ruhekleber
Stichpunkt

1.
Dieser Tage haben die Klimakleber das Ende ihrer Aktivität angekündigt. Sie mussten das mit einer seriösen Presseaussendung tun, weil sonst im Urlaub niemand ihre Nachricht ernst genommen hätte.

Und noch am gleichen Tag erschienen die ersten Kommentare: Aus dem Klebstoff, aus dem Sinn!

2.
Erst im Herbst werden manche von uns merken, dass wir wieder im Stau stehen, ohne dass die Aktivisten daran schuld sind. Wir werden den jungen Leuten womöglich noch nachtrauern, dass kein Feuer mehr auf den Straßen ist, das für die Klimarettung brennt.

In der idealen Revolution erhalten die Verlierer wenigstens ein gutes Narrativ, damit sie unter Wahrung des Gesichtes in den revolutionären Ruhestand treten können.

Unser tröstendes Narrativ heißt also: Es waren einmal begeisterte Kids, die waren so überzeugt, dass sie bald sterben müssten an der Klimaerwärmung, dass sie sich samt dem Thema festklebten, damit andere vielleicht ihr Leben änderten. Als dieser Funken nicht auf die Bevölkerung übersprang, war die Revolution gescheitert.

Jetzt ist ein Haufen Schulden und Gerichtsverfahren abzuarbeiten, so dass die Reißleine wohl just in time gezogen worden ist. Wir Bewohner des Carbon-Zeitalters zollen den Asphaltheldinnen vollen Respekt!

3.
Für die Resignierten ist es eine schmerzhafte Erfahrung, dass die Klimarettung nicht ins Laufen gekommen ist. Aber die Gesamtlage hat sich einfach anders entwickelt.

Das sogenannte 1,5-Grad-Ziel wird gerade ad acta gelegt, jetzt geht es darum, das 3-Grad-Faktum (prognostizierte Erwärmung bis zum Jahr 2100) allmählich unter die Leute zu bringen. Diese Slogans werden übrigens auf Wikipedia ständig upgedatet, was ihnen einen gewissen Grad von Schwarm-Faktizität verleiht.

Und die greifbaren Sommergewitter mit Flurschäden werden auch dieses Jahr wieder vor Ort mit der Feuerwehr aufgeräumt, da braucht es keine Erklärung der Klimalage dafür. Sobald eine Mure vom Hang gerutscht ist, gibt es sofort ein Interview mit einer Geologischen oder Klimatologischen Person, die Entwarnung gibt: Es ist das Wetter, nicht das Klima.

4.
Taucht bei den Vermurten doch noch einmal ein schlechtes Gewissen auf und sie fragen, ob es sein muss, dass man ungeniert fliegen und kreuzfahren muss, kommt das sympathische Wort wohlverdient ins Spiel.

Familien haben es sich wohlverdient, wegzufliegen und Kräfte zu sammeln, ausgepowerte Rentner haben Anspruch auf die wohlverdiente Kreuzfahrt, auf die sie ein Leben lang gespart haben. Die Vermurten schaffen mit kameradschaftlicher Hilfe den Dreck aus dem Haus und lassen sich guten Mut zureden.

Höchstens ein verbitterter und abgewählter Grüner lässt noch einen bockigen Satz fallen: Wer Kinder hat, produziert mit ihnen ohnehin schon so viel CO2, dass er nicht auch noch fliegen muss.

5.
In einer Gesellschaft, in der sich alle alles wohlverdient haben, passt es nicht, wenn Leute sich festkleben und bockig den anderen Vorschriften machen wollen. Bald werden die Ruhekleber aus unserem Bewusstsein verschwunden sein. Auch sie haben sich ihren Ruhestand wie alle wohlverdient.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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