Helmuth Schönauer
Mit Übernachtungseuro im Schlaf kassieren
Stichpunkt

Der Landwirtschaftskammerpräsident fordert einen Übernachtungseuro für Bergbauern, die vom alpinen Gelände allein nicht leben können.

1.
Weltweit gelten die Tiroler als Menschen mit den besten Lebensträumen. Und tatsächlich verwirklichen sie ihre Träume eiskalt und saisonübergreifend, damit sie glücklich werden wie im Märchen. 

In den 1950ern besteht ein kluger Nachkriegstraum darin, tagsüber ein Bett zu zimmern und es nächtens einem Fremden anzubieten, statt sich selbst hineinzulegen. Die Idee, an der Nächtigung eines anderen zu verdienen, indem man selbst etwas härter schläft, während der andere weich eingelullt wird, hat sich über Jahrzehnte weiterentwickelt und ist dann zum großen Tourismuswunder geworden.

Später sind die Kassierenden dann selbst in weiche Betten gewechselt und wundern sich mittlerweile, dass die jüngeren Generationen die Verwirklichung ihres Nachkriegstraums oft heimtückisch als Fluch bezeichnen, der das Land quält.

2.
Dieser Tage wurde der alte Traum wieder aus der Schublade geholt, wonach die Einheimischen durch Kassieren am Schlaf der anderen reich und glücklich werden sollten. Der Präsident der österreichischen Landwirtschaftskammer trat vor die Presse und forderte: Wir brauchen einen Übernachtungseuro für die Landwirte!

Die Gewinne aus der Tourismuswirtschaft sollen mit den Landwirten bestimmter alpiner Regionen geteilt werden. Es gibt eben Gegenden, da könnten die Landwirte ihr Einkommen nicht über den Verkauf der Produkte erwirtschaften – und auch öffentliche Subventionen würden den Betrieb nicht retten. Im Paznauntal in Tirol beispielsweise.

Und wenn die Bauern nicht überleben, dann gibt es auch keinen Tourismus in dieser Region, sagt der aus Vorarlberg stammende Präsident. (red, vorarlberg.ORF.at/Agenturen 25/07/24)

3.
Der Ruf nach einem Übernachtungseuro für die Hinterbliebenen des Tourismus ist insofern berechtigt, als diese über die Tourismusabgabe ohnehin schon zur Kasse gebeten werden.

Die Tourismusabgabe müsste als Schadensversicherung eingehoben werden, nicht als Bonus an Lebensqualität. Denn längst hat der normale Tiroler außer den sprichwörtlich touristischen Preisen kaum mehr einen Nutzen vom großen Traum, bei dem man durch Schlafen reich wird. Der Übernachtungseuro könnte außerdem ausgeweitet werden. Alle, die zum Beispiel am Innsbrucker Flughafen bis in die Nacht hinein gequält werden, sollten ebenso einen Nächtigungseuro als Schadenersatz bekommen.

4.
Jenseits der Diskussion der touristischen Spitzenfunktionäre, bei denen es in Tirol beispielsweise darum geht, ob der eine noch einmal in den Nationalrat darf und der andere vielleicht den Landeshauptmann beerben könnte, rumort es an vielen Fronten.

Wer dieser Tage mit dem Verkehrsdesaster rund um Zirl, im Wipp- oder Zillertal zu tun hatte, wird sofort die Hand ausstrecken und einen Stau-Euro vom Tourismus verlangen.

5.
Manchmal beginnt sich das gequälte Volk schon gegen die zum Alptraum gewordenen touristischen Träume zu wehren. Im Trentino zum Beispiel setzt man vermehrt auf Bären, die den Overtourism bekämpfen, indem sie es sind, die die Menschen aus der Gegend vergrämen und nicht umgekehrt.

In subversiven Werbefilmen wird auf TikTok durch kluge Analogien von Glücksbildern die offizielle Werbelinie des Landes Tirol konterkariert.

In einem Clip über die Maya-Grotten im mexikanischen Tulum dürfen Touristen um drei Euro in das klare Wasser einer Grotte springen, die den Einheimischen als Trinkwasserquelle dient. Nach einem Cut sieht man Skifahrende auf einem Gletscher die Notdurft verrichten. Hier ist es wenigstens amtlich, dass die Ausscheidung ins Trinkwasserreservoir abgeleitet wird.

Nach diesem klandestinen Werbefilm verlangt man sofort nach einem Trinkwasser-Euro! Jeder sollte ihn erhalten, wenn er den Wasserhahn aufmacht, um daraus die vom Tourismus veredelte Flüssigkeit zu zapfen.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Robert Muskat

    Ich darf eines zu diesem Kommentar dazugeben: Mir geht der Hut hoch, sobald ich irgendwas von KAMMERN höre oder lese! Diese verstaatlichten Meister des Kassierens und der Selbstdarstellung haben immer neue Melkideen. Sollte tatsächlich dieser Übernachtungseuro kommen, was unter Federführung der ÖVP denkbar ist, dann werden ganz sicher nicht die Bergbauern davon profitieren! Die haben nämlich keine Lobby in der Landwirtschaftskammer. Wer den Euro kassieren wird, sind wieder die industriellen Landwirte, die alle drei Jahre sich einen neuen Riesentraktor gönnen mit eingebauter Aufstiegshilfe, da man die ja nicht auf normalem Weg entern kann. Und die bei Protesten gut einsetzbar sind. Der Euro wird ihnen bei der Bedienung der Kredite helfen, während die echten Bergbauern sich nach wie vor händisch abrackern dürfen. Denn kein Kammerfunktionär kommt mit seinem Dienst-Mercedes oder -BMW dorthin.
    Daher ist diese neue Belastung abzulehnen! Sollen die Tourismusverbände was von ihrem Budget abgeben, die speichern Millionen!

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