Helmuth Schönauer
2030 - Die Lügenformel
Stichpunkt

Wenn du einer Lüge den Anschein von Wahrheit geben willst, musst du in der Politik sagen, dass es 2030 passieren wird.

1.
Der Koalitionspakt der neuen Stadtregierung Innsbruck ist schwammig und aufgedunsen, wie alle seine Vorgänger in den letzten Jahrzehnten. Üblicherweise entsteht so ein Pakt dadurch, dass man aus den Wahlprogrammen der Akteure die allgemeinsten Sätze herauskopiert und zu einer unverbindlichen Floskel zusammenfasst.

Die Politträumer halten diese Floskelei sogar für realistisch, insofern ja die diversen Wahlversprechen tatsächlich realistisch geklungen haben. Die Flaneure dieser unverbindlichen Semantik beachten freilich nicht, dass das Wahlvolk sehr wohl imstande ist, zwischen Wahlprogramm und Arbeitsprogramm zu unterscheiden.

2.
Die Gewählten sind ja nicht wegen des Programms gewählt worden, sondern nach dem Ausschlussverfahren.
Von aufgehängten Programm-Gesichtern wird jeweils die erträglichste dazu passende Person gewählt. Und dieser Person wird es auch nachgesehen, dass sie sich zur Wahl ein Illusionsmäntelchen umgehängt hat.

Immerhin sollten aber zumindest danach Fakten im Mittelpunkt des Polit-Sprechs stehen.

3.
Der neue Koalitionspakt glüht aber vor Illusionen, Vertuschungen und Aufschiebungen.

Die drei Hauptmethoden für Illusion treten aufgedunsen aus dem verkaterten Gesicht der Koalitionsvereinbarung hervor wie Furunkel.

a) – Zukunft
b) – Arbeitskreis
c) – wird 2030

zu a)
Das ganze Papier wird einfach Zukunftsvertrag genannt, wodurch das Blabla aus der Wahl in Blabla für Magistratsvorlagen gegossen wird.

zu b)
Tempo 30 etwa bleibt ein Reizthema und soll es auch bleiben. Denn gelöste Probleme bringen später einmal keine Stimmen. Nur aufgeschobene Themen zählen, über die man das Feindbild von Blockierern stülpen kann. Tempo 30 geht also deppensicher in den Arbeitskreis.

Zu c)
2030 schließlich wird es das geben, was es nicht geben wird, gratis Öffi-Tickets für Innsbrucker nämlich. Einmal abgesehen davon, dass nicht einmal der Hauch einer Finanzierungsvorlage herumgeistert, wird diese Gratisaktion mit völliger Ignoranz von Fakten unterlegt.

– Wer soll mit diesem Gratisticket fahren, der das nicht schon jetzt tut? Es gibt keinen einzigen Innsbrucker, der zu Hause oder am Friedhof sitzen muss, weil er kein Ticket hat, um daraus fortzufahren.

– Wenn wir bei Gütern predigen, dass unnötige Fahrten unterlassen werden sollen, warum generiert man dann plötzlich Personentransporte durch Öffi-Tickets?

– Und glaubt wirklich jemand, dass nur ein einziger Hobby-Biker, der in der Saison seine sechzig Stunden auf seiner Maschine absolviert, jetzt plötzlich in Motorradausrüstung mit den Öffis fährt, weil es gratis ist?

4.
Der Koalitionspakt für Innsbruck ist enttäuschend, weil er die Sprache der Realität nicht gefunden hat.

Liebe Stadtregierung, kommt heraus aus der Schmähkiste, sagt uns die Wahrheit, wir halten es aus. Und verwendet vor allem nie mehr die Lügenformel 2030. Die enttarnt euch nämlich auf Lebenszeit.


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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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