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Helmuth Schönauer
Tipp-Puppen
Stichpunkt

Gemessen am Anspruch, stündlich neue Nachrichten zu präsentieren, passiert für die Medien zu wenig. Darauf reagieren sie aber nicht, indem sie mehr recherchieren, sondern im Gegenteil mit der Einsparung, vorhandene Texte einfach neu zu verwerten.

Manche erschrecken, dass sie sich dadurch gerade selbst wegrationalisiert haben. So wie neulich das Profil, das gerüchtehalber plötzlich in einer entvölkerten Redaktion aufgewacht ist und einen Zettel vom Besitzer (RAIKA) vorgefunden hat, sie sollen zwar weiterhin kritisch schreiben, aber nicht gegen eine gewisse Partei.

Oder auch die Wiener Zeitung. Sie hat nichts mehr zu berichten, seit man ihr das Amtsblatt zum Verlautbaren weggenommen hat. Daher will man sie in eine Akademie im Bundeskanzleramt ummodeln, in der dann Tipp-Puppen für den Journalismus ausgebildet werden.

(Für Sternchensammler: Tipp-Puppen sind wie Sprech-Puppen geschlechtsneutral.)

Aber vom guten Ausbildungs-Ruf allein kann später die Leserschaft nicht leben. Sie will stündlich etwas vor den Sehschlitz gehalten bekommen, das zumindest wie eine Nachricht aussieht.

Die fünf gängigsten Nullnachrichten, die täglich neu aufgemischt werden, sind etwa:

1. Ausrufung des Welttags

Eine beliebte Methode, von Nichts zu erzählen, ist die Ausrufung eines Welttages. Dabei werden alte Nachrichten über Zahnstocher, Gletscherwasser oder Buchcover neu arrangiert.

Und auch das Publikum ist begeistert. Endlich gibt es den Tag des Buchcovers, wodurch man gezwungen ist, auch das darin eingewickelte Buch kurz in Erinnerung zu rufen, ehe man Cover, Tag, Umschlag und Buch zum Bauhof karrt.

Endlich wird über den Zahnstocher geredet, der ausgestorben ist, seit er nur mehr einzeln verpackt angeboten werden darf.

Und endlich spricht jemand über das Gletscherwasser, das unten herauskommt, während Tausende, die auf den Gletscher hinauffahren, über die Klimaerwärmung reden.


2. Leere Schlagzeile

Manchmal tauchen im Head der Nachricht Zahlen auf, die sich weigern, gelesen zu werden, weil sie nicht einmal als Ziffernfolge für ein Losungswort einen Sinn ergeben.

Kindergärten: Bis 2030 könnten bis zu 13.700 Fachkräfte fehlen! (ORF 22/12/22)

Eine Studie der Uni Klagenfurt zeigt Sensationelles. Bei zweitausend Gemeinden in Österreich, über sieben Jahre hochgerechnet bis 2030, fehlt in jeder Gemeinde pro Jahr gerade mal eine Kindergärtnerin.

Manche haben schon Petitionen unterschrieben, die Letzte Generation möge sich beim Zeugen zurückhalten, weil ihre Kids später kein Kindergartenpersonal zu Gesicht bekämen. So wie wir Alten uns demnächst ins Jenseits absetzen müssen, weil wir kein pflegendes Personal für den Hintern abkriegen.


3. Harry und Meghan

Manche Zeitungen haben das Royale im Titel und sind deshalb gezwungen, täglich einen Fachaufsatz über das Leben am englischen Königshof zu veröffentlichen.

Seit dem Tod der Queen haben das jetzt die Comedians Harry und Meghan übernommen.


4. Chirurgen als Wunderheiler

Esoterik und Medizin sind zwar in der wissenschaftlichen Berichterstattung verfeindet wie Fressfeinde, im alpinen Winter freilich finden sie zu seltsamen Allianzen zusammen.

Wenn es um das zerbrochene Knie einer Abfahrer-Person geht, wird dieses sofort von jedem Punkt der Welt aus eingeflogen, um den chirurgischen Kniegurus einer Tiroler Privatklinik vorgestellt zu werden. Die operieren mit Methoden, die nicht von dieser Welt sind, und beweisen, dass in der Medizin das möglich ist, was beim Schifahren oft schiefgeht: Der Sieg über das Knie!

Tag für Tag wird auf einer eigenen Seite von diesen Heilungen berichtet, manche ehemaligen Rennfahr-Personen geben unumwunden zu, dass es immer schon ihr Lebensziel war, nicht zu gewinnen, sondern sich das Knie reparieren zu lassen.


5. Lifestyle der Woche

Es gibt sie noch, diese Berichte über Bücher, wo drinsteht, dass man sie kaufen soll, weil die Autoren von Preisen allein nicht leben können.

Freilich werden in diesen Aufsätzen nur jene Klappentexte abgehandelt, die sich gestylte Lesepuppen bereits in Talkshows gegenseitig vortragen haben. Überhaupt ist das Vorlesen von Klappentexten en vogue.

Während man früher in der Hauptsache für sich selbst gelesen hat, gilt es jetzt, einer fiktiven Escort-Puppe etwas vorzulesen. Wie in einem Porno flüstert der User dabei geheime Wünsche herunter, wie er früher vielleicht einmal etwas den Kids vorgelesen hat.

Im Online-Handel werden bereits passende Lesepuppen angeboten, die sich mit dem gleichen Atem aufblasen lassen, mit dem man anschließend vorliest.


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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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