Print Friendly, PDF & Email

Helmuth Schönauer
Spruchschnitzer
Stichpunkt

In klassischen Klischees über Tirol hocken zu gewissen Jahreszeiten die Aborigines im Trachtengewand in dunklen Stuben und schnitzen ununterbrochen Schafe für die Weihnachtskrippe.

Unter ihnen soll es schwarze Schafschnitzer geben, die aus Hass auf die Mitbewohner Wölfe schnitzen, welche die fertig geschnitzten Schafe des Nachbarn auffressen. Das führt zu Weihnachten oft zu Unmut rund um die Krippen.

Wie jedes Klischee ist natürlich auch das Schafklischee falsch, aber ein Kern Wahrheit liegt darin, dass das Schnitzen weit verbreitet ist.

Die Tirolernden pflegen nämlich nicht wie andere Aborigines auf der Welt zu sprechen, sondern  „schnitzen“ ihre Sätze aus Gründen der Tourismuswerbung.

Nirgendwo wird man so schön-geschnitzte Floskeln finden wie im herrlichen Alpenland, dabei bedient auch im Gebirge das „Herumfloskeln“ die drei Hauptaufgaben: Einlullen – Aufregen – Dampf ablassen.


1. Einlullen

– Bleibts zu Hause, damit die anderen kommen können!
– Gehts Schi foahrn, wenn die Gäste noch schlafen!
– Steckts euch Watte in die Ohren, wenn die Motorradln zu laut sind!
– Machts die Fenster zua, wenn der Transit kimmt!

Ach, wie haben wir unseren Landesspruchmeister geliebt, als er uns zu jedem Problem eine schlichte Lösung angedreht hat. Jede Woche eine neue Parole. Wir sind ein von Volksweisheiten durch-getwittertes Bergvolk geworden!

Und jetzt hat er seinen Rücktritt verkündet und wir wissen nicht mehr, wie weiterleben. Es wird wohl eine Weile dauern, bis wir die Einlull-Parolen eines neuen Landesspruchmeisters akzeptiert haben werden. Das Problem beim Einlullen liegt nämlich darin, dass das Publikum oft schon einschläft, bevor der Einluller den Mund aufmacht.


2. Aufregen

Ganz anderes haben Spruchmeister im Sinn, wenn sie oft mit einem einzigen Satz das Publikum von null auf hundert bringen.

Als großer Könner auf dem Gebiet der Erregung gilt schon seit Jahren der sogenannte Seilbahnkönig, der monatelang den verschmitzten Wissenden gibt, dann aber mit einem einzigen Satz die halbe Bevölkerung auf die Palme bringt.

Aus dem Zusammenhang gerissen sagte er neulich etwas wie: die Seilbahnen werden bei Not den Strom vor ihrer Haustüre sicher nicht an die Städter weitergeben und dadurch das Schifahren abwürgen.

So ein Wort-Schnitzwerk lässt natürlich ganze Städte aufjaulen, die noch nicht geschnallt haben, dass Schifahren wie Atmen, Essen und Urinieren zur Grundausstattung eines Tirolernden Körpers gehört.

In Oppositionskreisen gilt der Seilbahnmeister als unverzichtbar. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, in den neu zu wählenden Landtag einzuziehen. Jedes Mal, wenn er nämlich den Mund aufmacht, kostet das die Einheitspartei tausend Stimmen, sagen Wählerstromanalysten.

Die Opposition hofft, dass er noch lange solche Sätze von sich gibt.


3. Dampf ablassen

Die dritte Aufgabe des öffentlichen Schön-Redens besteht im Dampf ablassen.

Da die Diskussionskultur in einem Land mit Eingottglaube und Einheitspartei nicht gerade hoch entwickelt ist, müssen Enttäuschte, Unterlegene oder Überraschte einmal kurz den rhetorischen Stöpsel ziehen dürfen und sich verbal austoben.

Ein markantes Beispiel dieses Dampf-Ablassens liefert dieser Tage ein Pitztaler TVB-Funktionär, als er in einem TT-Interview seiner Enttäuschung über die verlorene Abstimmung zur Gletscherehe freien Lauf lässt.

Obwohl das Projekt schon abgesagt ist, sind seine Sätze noch nicht auf die neue Sachlage zugeschnitzt.

Der Multifunktionär beginnt jede Antwort mit dem Hinweis, dass er im entsprechenden Gremium sitzt. Er ist also für den öffentlichen Verkehr im Pitztal genauso zuständig wie für das Mountainbiken, für das Hotelwesen genauso wie für die Generation sechzig Plus. Die Gegner verstehen nichts von der Sache, weil sie einem von ihm vertretenen Gremium angehören.

Es ist viel Schmerz in diesem Interview, und die Fassungslosigkeit ist nicht gespielt. So viel Dampf kann der Funktionär gar nicht ablassen, wie in ihm durch den heurigen Gletscherschwund entstanden ist. Das Argument, man müsse der Jugend ein Schigebiet hinterlassen, auch wenn es schmilzt, verfestigt sich zu einer rhetorischen Schleife.

Das Zuhören tut weh, nicht nur weil die Argumente schmerzhaft danebenliegen. Hier wird jemand Opfer einer landesweit geübten Rhetorik, die auf flapsige Art mehr auskotzt als ausspricht.

Vielleicht sollte man die Betrachtung über die drei Arten von Spruchschnitzern mit dem Hinweis abschließen, dass es eine Fülle von Kursen, Curricula und Coachings gäbe, wie jemand für das angestammte Metier reden sollte.

Manchmal liegen freilich auch Grundvoraussetzungen daneben. Wenn sich ein Frächter, der sich euphemistisch Logistiker nennt, in der gegenwärtigen Transitlage Tirols aufmacht, Landeshauptmann zu werden, kann er reden was er will, er ist ein No-Go.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Schreibe einen Kommentar