H.W. Valerian
Das vertrauliche Du
Notizen
Innenminister Karl Nehammer hat also seinem ehemaligen Ministerkollegen und nunmehrigen Opponenten Herbert Kickl das Du aufgekündigt. In Österreich stellt das eine drastische Maßnahme dar, welche nur in den allerschlimmsten Fällen ergriffen wird.
Du und Sie, das sind Pole, zwischen denen sich Respekt, Kollegialität bis hin zur Freundschaft manifestieren, und die insofern eine unverzichtbare Rolle spielen im höflichen Leben. Dass es dabei äußerst kompliziert zugeht, dürfte einleuchten: Ein wahres Minenfeld an mangelhaften Manieren (unter Umständen beabsichtigt) und Beleidigt-Sein! Wie’s die Österreicher, oder zumindest ihre etwas besseren Kreise, eben lieben.
Weswegen Du und Sie auch ihre Blüten treiben: In der österreichischen Armee war es einst üblich, dass höhere Offiziere ihre Untergebenen duzten: Du, Herr Leutnant! Umgekehrt war es nicht so üblich, kam aber doch regelmäßig vor: Du, Herr Oberst! Und ob Sie’s glauben oder nicht, auf eben diesem Fuße stehe ich heute noch mit so jemandem: Wie geht’s dir, Herr Brigadier?
Friedrich Torberg (wer sonst?) berichtet uns von folgender Begebenheit: In einem k. k. Ministerium trat ein neuer Minister sein Amt an. Als ranghöchster Beamter sprach der Vater des Dichters Fritz von Herzmanovsky-Orlando die Begrüßungsworte. Da die beiden in dieselbe exklusive Eliteschule gegangen waren, bediente sich der Redner des in solchen Fällen üblichen Du. Der Neue antwortete, hielt sich jedoch durchgehend ans Sie – was einer öffentlichen Ohrfeige gleichkam. Als er geendet hatte, trat Herzmanovsky-Orlando erneut ans Rednerpult. „Lieber Freund‟, sagte er. „Gestatte mir noch einmal das vertrauliche Du. Leck mich am Arsch.“
Sprach’s und ging in Pension.
Bei uns an der Schule spielten Du und Sie beinahe die umgekehrte Rolle. Als ich zu unterrichten anfing, machte mich der Abteilungsvorstand darauf aufmerksam, dass es üblich sei, die Schüler mit Sie anzureden. Mir kam das entgegen. Als ich selbst noch die Schulbank drückte, waren mir Lehrer zuwider, die glaubten, sie müssten sich kumpelhaft anbiedern. Ich hatte nicht vor, so was zu versuchen. Im Gegenteil. Das Sie etablierte eine gewisse Distanz, erzwang eine gewisse Höflichkeit. Schon bald fand ich jedoch heraus, dass selbige bei mir zu Magengeschwüren führen würde – zu viel musste ich da hinunterschlucken. Was tun?
Ich begann, meinem Unmut lauthals Luft zu machen, allerdings in ironisch gebrochener Weise. Und natürlich immer per Sie:„Oh, Sie Blüten des österreichischen Schulwesens! Zierde der österreichischen Ingenieurskunst!“
Das funktionierte insofern, als die Schüler die Ironie verstanden und goutierten. Dabei spielte das Sie eine wichtige Rolle. Wenn ich ernsthaft böse wurde, dann verwendete ich das Du. Da wussten die Schüler, dass es gefährlich wurde.
So viel zur komplizierten, um nicht zu sagen delikaten Angelegenheit des Du und des Sie hier bei uns in Österreich. Eine weitere Episode darf ich Ihnen in diesem Zusammenhang nicht vorenthalten. Auch sie stammt – wie könnte es anders sein – von Friedrich Torberg. Sie spielt im Prag der Zwischenkriegszeit und hat den roten Krasa zum Gegenstand. Den Beinamen verdankte er der Farbe seiner Haare.
Er war berühmt für seine Potenz, sein Erfolg bei Frauen war legendär. Aber wie’s so kommen musste, früher oder später, erreichte ihn eine Vaterschaftsklage. Wie sollte er ihr begegnen? Der Rat seiner Freunde: Er musste sich seine Zeugungsunfähigkeit bestätigen lassen.Dazu machten sie einen eher zwielichtigen Amtsarzt ausfindig, in einem schäbigen Viertel weit draußen.
Torberg erklärte sich bereit, Krasa auf seinem schweren Gang zu begleiten. Die Praxis wirkte ebenso heruntergekommen wie die ganze Umgebung. Der Arzt nahm verschiedene Untersuchungen vor, stellte eine Menge Fragen, bis er schließlich ein Kondom hervorholte und Krasa aufforderte, eine Samenspende abzugeben.
Da saß er nun auf der verschlissenen Couch in der Ordination und versuchte sein Bestes. Aber unter diesen ungewohnten Umständen fiel ihm das schwer. Der Doktor wurde ungeduldig. „Also was ist, Herr Krasa? Sind Sie bald fertig?“
Mit waidwundem Blick sah der rote Krasa zu ihm empor:
„Herr Doktor“, flüsterte er gequält, „könnten Sie nicht wenigstens Du zu mir sagen?“
Friedrich Torberg, Die Tante Jolesch oder: Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten (München: dtv, 1977). Die Anekdote um den roten Krasa findet sich auf S. 100–102. Ich hab’ sie teilweise wörtlich wiedergegeben.
Friedrich Torberg, Die Erben der Tante Jolesch (München: dtv, 1981). Die Hermanovsky-Episode auf S. 210–11.
Ausgezeichnet.