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Friedrich Hahn
Stermanns Mittwoche mit Erika im Imperial
Rezension

Wer sich schon einmal mit Freud beschäftigt hat, wird ihren Namen kennen: Erika Freeman. Und wer schon einmal WILLKOMMEN ÖSTERREICH gesehen hat, wird auch ihn kennen: Dirk Stermann. Hier der Deutsche mit Ambitionen zum Solo-Comedian und Schriftsteller. Da die vielgepriesene Psychoanalytikerin, mittlerweile stolze 96 Jahre alt, die 1939 als 12-jähriges Mädchen von Wien in die Staaten emigrieren musste und es dort mit einer Reihe von Promis zu tun bekam.

Wie das zusammengeht? Knackpunkt ist Erika Freemans Auftritt vom 3.Dezember 2019 in WILLKOMMEN ÖSTERREICH. Übrigens auf youtube noch abrufbar. Die Dialoge haben dann auch 1:1 Eingang in das Buch gefunden. Stermann aber wollte mehr wissen, hat sich mit Erika Freeman angefreundet, hat sie über Wochen immer an einem Mittwoch im Hotel Imperial besucht. 

Soweit die Fakten. Soweit die Ankündigung vom Verlag. Ich war skeptisch. Ein Comedian als Chronist für das wohl heikelste Thema, dessen sich ein Autor annehmen kann. Auch der Verlag scheint sich nicht ganz sicher gewesen zu sein. Groß der Titel. Darüber der Autorenname. Dazu in der unteren Hälfte dann noch ein runder Aufkleber: Erika Freeman EIN JAHRHUNDERTLEBEN. Auffällig: keine Genre-Bezeichnung. Nur auf der U4 wird klein und verschämt das Buch als Roman benannt: Aus dem Gespräch über ein Jahrhundertleben wird ein Roman,…

Ich war bis zur Hälfte des Buches nicht sicher, womit ich es da zu tun hatte. Der Bericht einer Begegnung mit einer faszinierenden Promi-Psychoanalytikerin? Eine Anekdoten-Sammlung? Ein Abriss über jüdisches Leben unter den Nazis? Eine Sprüche-Sammlung einer altersweisen 94-Jährigen?

Es stellt sich schon nach den ersten Seiten heraus: Es ist all das. Wir erfahren, dass man nach Helmut Schmidts Tod 5000 Stangen Mentholzigaretten in seinem Keller gefunden hat. Genauso dass Stermann bei der Nennung von Theodor Reiks Abhandlung über das Dritte Ohr an Niki Lauda denkt, weil sie im Imperial gerade an dem Tisch sitzen, wo auch Niki Lauda immer frühstückte. 

Stermann lässt auch höchst Persönliches einfließen. Dass er zum Beispiel ein langsamer, ein sehr langsamer Geher sei. Stermann spricht von einer negativen Gehgeschwindigkeit. Negativ? Dann müsste er den Zeitsprung beherrschen. Solche sprachlichen Ungenauigkeiten sind ärgerlich. So auch wenn Stermann auch –  nicht nachvollziehbar – vom persönlichen ins auktoriale Erzählen kommt. 

Es dominieren naturgemäß die Dialoge zwischen Freeman und Stermann. Aber auch da ist Stermann nicht konsequent. Einmal spricht Frau Freeman perfektes Deutsch, als hätte sie nicht fast ihr ganzes Leben in den USA verbracht. Im nächsten Dialog aber verfällt sie in einen intersprachlichen Kauderwelsch: …because I am a gut erzogenes Mädchen.

Warum ich das Buch aber trotz handwerklicher Einwände gerne gelesen habe und empfehle: Es sind die Sprüche der Erika Freeman. Hier nur einige Beispiele:

– Ich zittere nicht, weil ich es nicht brauche.
– Nein, mir wurde nie beigebracht, mich zu fürchten.
– Es gibt kein Unmöglich. Es gibt nur ein Unerwartet.
– …, das ist nicht das Schlimmste, solange du sagen kannst, es sei das Schlimmste.
Und zum frühen Tod ihres Mannes:
– Fünfzig. Ich könnte ihn dafür umbringen, dass er so früh gestorben ist.

Das ist WILLKOMMEN ÖSTERREICH auf dem intellektuellen Niveau von GagsGagsGags. So liest sich Erika Freemans Jahrhundertleben auch manchmal wie ein Regenbogenblatt beim Friseur. Manche nennen es auch Namedropping. Aber egal. Wie sagt doch Erika Freeman selbst: Ruhm hat nichts damit zu tun, wie gut du bist. Ruhm hängt davon ab, wie gut deine PR ist. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Dirk Stermannn: „Mir geht’s gut, wenn nicht heute, dann morgen.“ Aufzeichnungen über Erika Freeman. 256 Seiten, Euro 24, Verlag Rowohlt, Hamburg 2023.

Hahn Friedrich

Geboren 1952 im Waldviertel / NÖ, schreibt und veröffentlicht seit 1969. 54 Bücher mit Lyrik, Prosa sowie 20 Arbeiten für den Rundfunk und für die Bühne (zuletzt „im rücken des schattens“, die rampe, Stuttgart 2004). Performances (u. a. im Centre George Pompidou/Paris im Rahmen der Polyphonix), Ausstellungen und Kataloge (u. a. „remakes“: Museum Moderner Kunst/Wien, „unterm strich“: Galerie Eichgraben, „allerhand hahn“: CA-Galerie im TZ). Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung und des Literaturkreises "Podium". Lebt in Wien/Alsergrund. www.literaturhahn.at

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