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Friedrich Hahn bespricht:
Alfred Paul Schmidt
FERNWEH
Roman

Ein alternder Schriftsteller kommt ins Sinnieren. Zum Beispiel über die Natur, den Menschen, die Natur des Menschen. Und damit es nicht zu gedankenlastig wird, schlüpft das Fernweh-Ich in die Person einer neunundvierzigjährigen, arbeitslosen Apothekerin.

Alfred Paul Schmidt ist Grazer des Jahrgangs 1941. Er wuchs bei verschiedenen Pflegeltern auf und absolvierte mit 26 die Matura an der Arbeitermittelschule. Schon seine frühen literarischen Texte sind gegen den Strich gebürstet. Herkömmliche, lineare Handlungen wird man vergeblich suchen. Schmidts Thema ist das Chaos. In ihm. In der Welt. Aber er kann auch anders, wie er als Drehbuchautor von fünf Tatort-Krimis bewiesen hat.

Als Literat machte er die typische Karriere eines österreichischen Schriftstellers. Erste Werke erschienen zwar bei Fischer oder Residenz, aber AP Schmidt galt seit jeher als Geheimtipp und Außenseiter der heimischen Literaturszene. Denn er ist auch immer sein eigenes Rätsel, wenn er schreibt. Ein Rätsel, dem er in und mittels der Sprache nachspürt. 

Die Titel seiner zuletzt veröffentlichten Bände unterstreichen das. Alles bleibt im Vagen. Da ist vom Grenzenlosen die Rede. Vom Anderswo, vom Anderen Gestern und der Logik des Schattens. Sämtliche dieser Titel sind übrigens in der Edition keiper erschienen, der dies nicht hoch genug anzurechnen ist, sich des Spätwerks von AP Schmidt anzunehmen.

Zurück zu Fernweh. Auffällig ist nicht nur das Mäandernde von Schmidts Denken, sondern auch der Ductus, der eher dem Gesprochenen, denn dem Geschriebenen verpflichtet ist. So heißt es auch gleich zu Beginn (Seite 15): Das Erzählen gibt nicht das Leben, sondern das Interesse für dasselbe wieder.

Stellt sich die Frage: Interesse am Leben? Oder Interesse am Erzählen? Wahrscheinlich ist beides gemeint, bedingt eines das andere. Bedingt das Verschriftlichte das Mündliche. Da kann man dann auch schon mal in die Ferne abschweifen.

Stetes Grundthema also: AP Schmidts eigene Fabulierlust und -kunst. Ob Utopie, ob Liebesgeschichte, ob Pandemie, Mord oder Bemerkungen über das Wetter: AP Schmidt kommt vom Hundertsten ins Tausendste. Hauptsache, die Abschweifungen bieten lohnenden Stoff zum Sinnieren: Wir reden da so hin und her, als ob wir was wüssten, in Wahrheit wissen wir gar nichts, anders kann man nicht überleben. 

Aber das, was wir von AP Schmidt über das Nichtwissen erfahren, bringt schon mehr Erkenntnisgewinn, den ich sonst in manch anderen Neuerscheinungen, sogenannten Bestsellern, vermisse…

Alfred Paul Schmidt: FERNWEH. Roman. Edition keiper, Graz 2023, 216 Seiten, 24€.


Hahn Friedrich

Geboren 1952 im Waldviertel / NÖ, schreibt und veröffentlicht seit 1969. 54 Bücher mit Lyrik, Prosa sowie 20 Arbeiten für den Rundfunk und für die Bühne (zuletzt „im rücken des schattens“, die rampe, Stuttgart 2004). Performances (u. a. im Centre George Pompidou/Paris im Rahmen der Polyphonix), Ausstellungen und Kataloge (u. a. „remakes“: Museum Moderner Kunst/Wien, „unterm strich“: Galerie Eichgraben, „allerhand hahn“: CA-Galerie im TZ). Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung und des Literaturkreises "Podium". Lebt in Wien/Alsergrund. www.literaturhahn.at

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