Print Friendly, PDF & Email

Franz Tschurtschenthaler
Südtirol ohne Maske
Vierter Brief

Liebe Leserinnen und Leser!

Als ich vor nunmehr einigen Jahren hier in Südtirol mit klopfendem Herzen zu meiner ersten Arbeitssitzung antrat, eröffnete sich mir ein recht merkwürdiges Schauspiel. Die Gruppe der Teilnehmer bestand zunächst aus rein deutschsprachigen Südtirolern, die sich in der Sprache Goethes (oder vielmehr in einer Abart davon) unterhielten, wovon sie natürlich mein Erscheinen nicht abhielt. Dann aber stieß ein Italienischsprechender zu der Gruppe – auch er ein Südtiroler. Und augenblicklich switchten alle Anwesenden sofort auf Italienisch um. Dabei stand es eins zu zehn, und ich wusste genau – weil ich mich an ebendiesem Tag mit ebendiesem Italiener unterhalten hatte -, dass er des Deutschen sehr wohl mächtig war. Als ich – bass erstaunt – im Nachgang der Sitzung einen Deutsch-Südtiroler nach dem Sinn dieser Vorgangsweise befragte, zuckte er nur mit den Achseln und meinte lapidar: „Ja woasch, de Walschn kennen oanfach net Deitsch“.

Ein Missverständnis? Ein klassisches Vorurteil? Eines von vielen, musste ich im Laufe der Jahre lernen. Denn das von der Politik gern beschworene ach so problemlose Zusammenleben zwischen den Volksgruppen findet leider so nicht statt. Auch wenn Südtirol die Zeit der Bombenjahre und des BAS (Befreiungsausschuss Südtirol) hinter sich gelassen hat, gibt es im täglichen Zusammenleben noch immer allerlei Zündstoff. Italiener sehen die deutschen Südtiroler oft als überheblich, anmaßend und i-Tüpfchen-reitend an, Südtiroler erkennen in den Italienern gerne nur die Eigenschaften, die man in banalsten Allgemeinplätzen wiederfindet: Italiener seien ineffizient, unzuverlässig und chaotisch.

Rund 520.000 Menschen leben in Südtirol, etwa 69 Prozent davon gehören der deutschen Sprachgruppe an, 26 Prozent der italienischen und an die 5 Prozent der ladinischen. Dabei ist die Verteilung der Sprachgruppen eine sehr inhomogene. Kurz gesagt: Die Deutschen mögen’s lieber zünftig-ländlich und wohnen vorwiegend in den Tälern und in Dörfern, die Italiener sind eher Städter – die Landeshauptstadt Bozen ist mit 73 Prozent Anteil an der Bevölkerung die Hochburg der Italiener. Ein „komplexes und ausdifferenziertes Rechtssystem, Ämterrotation, paritätische Gremienbesetzung und die proportionale Vertretung aller Sprachgruppen“ sollen laut Landesverwaltung das friedliche Miteinander zwischen Deutschen, Italienern und Ladinern garantieren. Aber das mit dem Frieden will nicht so recht gelingen; denn waren es in der Vergangenheit die Deutschen, die sich (zu Recht) benachteiligt gefühlt hatten, so sind es jetzt die Italiener.

Als vor einigen Jahren eine österreichische Freundin ihren italienischen Gatten dazu bewegen wollte, ins Überetsch zu ziehen, weil sie sich von den malerischen Weinbergen (und vielleicht auch von deren Produkten) magisch angezogen fühlte, winkte dieser entsetzt ab: „Sei pazza (bist du verrückt)? Aber sicher nicht! Das ist mir viel zu deutsch, da werden ja nicht mal die Geschäftsbezeichnungen übersetzt!!“ Tatsächlich wird man etwa in Kaltern kaum einen „macellaio“, sondern vielmehr einen „Metzger“ finden, und auch keine „cartoleria“, sondern nur ein „Schreibwarengeschäft“. Nun kann man ob solcher Spitzfindigkeiten müde lächeln. Tatsache ist aber auch, dass die Sensibilität des italienischen Teils der Bevölkerung für solche vermeintlichen Kleinigkeiten enorm hoch ist. So hoch, dass sie sogar einen eigenen Namen hat: „il disagio italiano“ – das Unbehagen der Italiener im eigenen Land.

Schlägt man die größte italienische Tageszeitung auf, springt einem dieses „disagio“ in Form von angeblichen und tatsächlichen Gemeinheiten und Ungerechtigkeiten, die von der deutschen, herrschenden Klasse grad wieder mal begangen wurden, fast täglich ins Gesicht. Wobei der eben zitierte italienische Ehemann ganz im Trend liegt. Denn vielfach geht es hierbei um unterlassene oder „falsche“ italienischsprachige Bezeichnungen. Etwa auf den Wegweisern bei Wanderwegen, die der Alpenverein Südtirol (AVS) aufstellen hatte lassen: ein klassischer Glücksfall für die italienischen Medien, die damit ganze Seiten im Nu füllen konnten und sofort mit der ungeteilten wütenden Aufmerksamkeit ihrer Leser rechnen konnten.

Ein weiterer Höhepunkt des „disagio“ wurde vor etwa einem Jahr aus einem anderen Grund erreicht. Da wurde vom Landtag über das sogenannte Europagesetz abgestimmt; dieses regelt eine Reihe von Bestimmungen zur Erfüllung der Verpflichtungen Südtirols, die sich aus der Zugehörigkeit Italiens zur Europäischen Union ergeben. Auf Initiative der „Süd-Tiroler Freiheit“ und mit Unterstützung von SVP und Freiheitlichen wurde dabei in der italienischen Version des Gesetzes der Begriff „Alto Adige“ mit „Provincia di Bolzano“ („Provinz Bozen“) ersetzt. Der Aufschrei der Empörung war enorm und schallte bis nach Rom, das mit der Anfechtung des Gesetzes drohte. Angefochten wurde übrigens auch vor Jahren die – vom damaligen Bürgermeister Giovanni Salghetti Drioli – angeordnete Umbenennung des „Piazza della Vittoria“ („Siegesplatz“) in „Piazza della Pace“ („Friedensplatz“). Das ist jener Platz, wo das Siegesdenkmal thront mit der noch heute weit sichtbaren (lateinischsprachigen) Inschrift: „…hierhin brachten wir den Anderen Sprache Gesetze und Kultur“ – eine klare Message der Faschisten an die Südtiroler. Die italienische Rechte forderte ein Referendum, das klare „Nein“ der italienischsprachigen Bürger beförderte die neuen Straßenschilder flugs wieder auf den Müll. Und den Ansatz des Bürgermeisters für ein friedliches Zusammenleben gleich mit.

Sensibel ist aber auch die deutschsprachige Seite – vor allem die junge und ländliche Bevölkerung zeigt sich sehr empfänglich für die separatistisch angehauchten Botschaften der deutschen Heimatparteien wie der „Süd-Tiroler Freiheit“ und der Freiheitlichen und stemmt sich gegen alles, was italienisch ist. Kein alter Zopf, sondern ganz aktuell ist etwa die Plakataktion der „Süd-Tiroler Freiheit“ unter dem Motto „Tirol in Trauer“, in der „100 Jahre Teilung Tirols“ thematisiert werden und über die sich die ehemalige Partei-Mitstreiterin und ewige Zopfträgerin Eva Klotz sicher sehr freuen wird. Der Wahlspruch der Partei „Südtirol ist nicht Italien“ ist natürlich so wie diese Plakatinitiative nicht unbedingt dazu angetan, Frieden zwischen den Volksgruppen herzustellen.

Hoffnungsträger ist wie immer die Liebe – und die vielen zweisprachigen Sprösslinge, die es inzwischen gibt und die den Liaisonen gemischtsprachiger Paare entsprungen sind. Sie wechseln mit größter Selbstverständlichkeit sowohl zwischen den Kulturen als auch zwischen den Sprachen hin und her. Und sie haben laut einer wissenschaftlichen Studie der Uni Bozen nicht nur den Vorteil, dass sie im linken, unteren Parietallappen des Gehirns mehr sogenannte graue Masse entwickeln, deren Dichte sowohl mit vermehrter Hirnaktivität und verbesserter Sprachkompetenz (nicht unbedingt einem größeren Wortschatz) korreliert als auch mit einer besseren Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen. Sondern sie sind vielleicht auch die Hoffnung für das Land, dass die ewigen Hakeleien zwischen Deutsch und Italienisch sich irgendwann mal in einigen hundert Jahren erledigt haben werden.

Ihr Franz Tschurtschenthaler

Franz Tschurtschenthaler

Franz Josef Tschurtschenthaler wurde 1980 im Schweizer Kanton Appenzell Ausserrhoden geboren und studierte Agrarwirtschaft. Zunächst war er als Agronom in Hundwil tätig, bis ihn sein Schicksal ereilte und es ihn auf den Spuren seiner Urahnen nach Südtirol verschlug. Schuld war nicht etwa die Liebe, sondern ein sehr interessantes, wenn auch nicht wirklich lukratives Arbeitsangebot. Seither wirkt Tschurtschenthaler im Spannungsfeld zwischen Bozen, Kaltern und Meran, wo er bei seiner Arbeit viel Gelegenheit hat, die Seele und Gepflogenheiten der Südtiroler zu studieren. Wenn er nicht seinem studierten Beruf nachgeht, frönt er seinem Hobby – dem Verfassen von Kommentaren, bei denen er sich selten ein Blatt vor den Mund nimmt. Selbstverständlich schreibt er genau deshalb unter Pseudonym, um dem Los seines Vorgängers im Geiste Carl Techet zu entgehen. Solange ihm dieses erspart bleibt, lebt Tschurtschenthaler mit Frau und Kindern irgendwo in Südtirol.

Schreibe einen Kommentar