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Franz Tschurtschenthaler
Südtirol ohne Maske
Fünfter Brief

Liebe Leserinnen und Leser!

Es wird wieder (str)eng in Italien: Per Dekret hat Ministerpräsident Giuseppe Conte weitgehende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus verordnet, die zum Großteil auch für Südtirol gelten sollen. Darunter etwa ein „Coprifuoco“ („nächtlicher Lockdown“), der nicht nur eine frühzeitige Schließung der Bars und der Restaurants, sondern auch eine nächtliche Ausgangssperre und Feierverbote vorsieht – im Land der Sauf-  pardon Southtyroler ein Schreckgespenst (wobei Südtirol hier wieder einen Sonderweg geht und die Öffnungszeiten länger hinauszieht als der Rest Italiens). All das erinnert an die vorübergehende Schließung der Grenzen, die das geliebte Wochenend-Shoppen im Innsbrucker DEZ und Ikea für einige Monate absolut unmöglich machte.

Ich sehe schon wieder die patriotischen Wogen hochgehen, die im Frühjahrs-Lockdown gar seltsame Blüten getrieben haben. Da wärmte etwa der Bezirkssprecher der Süd-Tiroler Freiheit Pustertal, Bernhard Zimmerhofer, aus praktischen Gründen wieder die Südtiroler Doppelpass-Story auf. Er meinte, mit dem italienisch-österreichischen Doppelpass hätten die Südtiroler „einen bedeutenden Trumpf in der Hand, um auch in Krisenzeiten unsere existenziellen Verbindungen zu unseren nördlichen Nachbarländern einzufordern und aufrechtzuerhalten“. Würde den Südtirolern endlich die ihnen selbstverständlich zustehende doppelte Staatsbürgerschaft gewährt, hätten sie in dieser außergewöhnlichen Krise ein „bedeutendes Druckmittel gegenüber Wien und Rom“, um ihre Interessen zu vertreten.

Zimmerhofer bezog sich bei seiner Wortmeldung auf eine Forderung, welche die Süd-Tiroler Freiheit, die Freiheitlichen und die Schützen bereits seit geraumer Zeit an das Vaterland, die „Schutzmacht Österreich“, und an die SVP als prädestinierten Antrag-Einbringer stellen: Verlangt wird neben der italienischen auch die österreichische Staatsbürgerschaft für alle „echten“ SüdtirolerInnen. Wobei eine der großen Herausforderungen dabei wäre, genau zu definieren, welches denn nun die „echten“ Südtiroler sind. Nur die deutschsprachigen Südtiroler? Oder auch die Ladiner? Oder doch etwa zudem noch handgeprüfte und besiegelte Nachkommen von österreichischen „Welschtirolern“? Allein aus dieser Frage würde sich enormes Konfliktpotenzial für das ohnehin in vielerlei Hinsicht brüchige Zusammenleben der Volksgruppen ergeben.

Vor ziemlich genau einem Jahr schlossen sich dennoch 51 Persönlichkeiten, darunter Vertreter von Politik, Gewerkschaften, Verbänden, der Wirtschaft und der Kirche, zur Initiative „Österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler“ zusammen und schickten auf Betreiben des Südtiroler Schützenbundes einen Brief nach Wien. Darin forderten sie von Innenminister Wolfgang Peschorn und von Außenminister Alexander Schallenberg, „das weitere Vorgehen bei der Umsetzung der Wiedererlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft zu besprechen“. Wobei der Gesetzestext zuerst mit Südtirol geklärt werden sollte und man Rom dann vor vollendete Tatsachen stellen wollte. Mit unterzeichnet hat auch SVP-Obmann Philipp Achammer, nicht aber Landeshauptmann Arno Kompatscher, der betonte, dass für ihn in der Frage des Doppelpasses nur der institutionelle Weg sinnvoll sei. Und ebenso nicht Landesrat Arnold Schuler. Letzterer begründete sein Njet damit, dass er kein „Schönwetter-Österreicher“ sei: „Beim Doppelpass fordern wir die Rosinen; wenn es um die Pflichten geht, wie den Wehrdienst, wollen wir nichts davon wissen“.

Ja, das mit dem Rosinenpicken und den Südtirolern ist so eine Sache: Denn was den fordernden und unterzeichnenden Südtirolern in dieser Doppelpass-Story so vorschwebte, ist leider ein Volkscharakter-Zug, den ich hierzulande immer wieder feststellen kann. Und nicht nur ich. Wie formulierte es vor kurzem ein Südtiroler Freund (übrigens ein DOC-Südtiroler mit Weingut und typisch Südtiroler Nachnamen)? – „Wir Südtiroler picken uns überall nur das Beste raus. In der Hinsicht sind wir sehr italienisch: Wir schlagen uns immer auf die Seite, wo für uns das Maximum rausschaut. So sind wir eben einmal Italiener, dann wieder Österreicher. Aber fühlen tun wir uns in Wirklichkeit nur als Südtiroler.“ Italiener seien die Südtiroler immer dann, wenn es um die Autonomie und die den Südtirolern zustehenden Befugnisse und Sonderrechte gehe, auf die vehement gepocht werden müsse; Österreicher, wenn es gelte, die Sonderbehandlungen und finanziellen Zuwendungen zu beanspruchen, die Südtiroler dort genießen, oder auch in jenen Fällen, in denen das Vaterland angerufen werden müsse. Wobei sich die Welt selbstverständlich in all diesen Fällen nach den Südtirolern zu richten habe. Deshalb müsse Galilei auch einem Irrtum aufgesessen sein, so mein Freund weiter: „Die Erde dreht sich keineswegs um die Sonne, sondern wie alles andere um Südtirol und um uns Südtiroler“.

Was den Doppelpass betrifft, wird das allerdings wohl länger nicht der Fall sein; auch wenn die Schützen verlauten haben lassen, dass sie in dieser Causa optimistisch bleiben würden und neue Aktionen zum Doppelpass planten: Im Programm der derzeitigen österreichischen Regierung ist der Doppelpass für Südtiroler kein Thema mehr.

Ihr Franz Tschurtschenthaler

Franz Tschurtschenthaler

Franz Josef Tschurtschenthaler wurde 1980 im Schweizer Kanton Appenzell Ausserrhoden geboren und studierte Agrarwirtschaft. Zunächst war er als Agronom in Hundwil tätig, bis ihn sein Schicksal ereilte und es ihn auf den Spuren seiner Urahnen nach Südtirol verschlug. Schuld war nicht etwa die Liebe, sondern ein sehr interessantes, wenn auch nicht wirklich lukratives Arbeitsangebot. Seither wirkt Tschurtschenthaler im Spannungsfeld zwischen Bozen, Kaltern und Meran, wo er bei seiner Arbeit viel Gelegenheit hat, die Seele und Gepflogenheiten der Südtiroler zu studieren. Wenn er nicht seinem studierten Beruf nachgeht, frönt er seinem Hobby – dem Verfassen von Kommentaren, bei denen er sich selten ein Blatt vor den Mund nimmt. Selbstverständlich schreibt er genau deshalb unter Pseudonym, um dem Los seines Vorgängers im Geiste Carl Techet zu entgehen. Solange ihm dieses erspart bleibt, lebt Tschurtschenthaler mit Frau und Kindern irgendwo in Südtirol.

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