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Elias Schneitter
Dann ist ja alles in Ordnung.
Short Story

Hin und wieder drehe ich meine Lokalrunden durch die Innenstadt von Wien und kehre in der Wunderbar, beim Lukas, im Altwien und anderen Lokalitäten auf ein paar Seidel ein. Dabei treffe ich fast immer auf dieselben Stammgäste.
Einer dieser Stammgäste war der Weißgspritzte. Er verkehrte nur im Altwien, zumindest begegnete ich ihm immer nur dort.

Der „Weißgespritzte“ hatte seinen Spitznamen, weil er regelmäßig zehn, zwölf Weißgspritzte und mehr auf der Rechnung hatte. Legendär war sein Spruch: „Ich kann gar nicht sagen, wie mir diese Weißgspritzten auf die Nerven gehen!“ Er wie-derholte das immer wieder und, seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, schien er es auch ernst zu meinen. Unabhängig davon bestellte er einen Weißgspritzten nach dem anderen.

In den letzten Monaten zog sich der Weigspritzte immer mehr zurück. Er wurde schweigsam und stand nicht mehr an der Bar, sondern setzte sich allein an einen Tisch. Man nahm das zwar wahr, aber es wurde weiter nicht wichtig genommen. Erst als er einige Wochen nicht mehr auftauchte, fragte man sich, was mit ihm los sei.

Ein anderer regelmäßiger Besucher der Innenstadtlokale war ein Kunstmaler. Er trug immer ausgewählte Hüte, war sehr gut gekleidet und ein Verschwörungs-theoretiker. Besonders was die Kunstszene betraf, zu deren Opfer er sich zählte. Einmal war ich früh am Abend wieder einmal in der Innenstadt unterwegs und schaute auf einen Sprung im Altwien vorbei. Der Kunstmaler und ein Steirer, der ebenfalls zum Inventar an der Bar gehörte, unterhielten sich über den Weißgspritz-ten.
„Der Weißgspritzte?“ fragte der Kellner etwas entsetzt, während er ein Krügel ins Glas laufen ließ.
„Ja, der Weißgspritzte“, wiederholte der Kunstmaler.
„Wer sagt das?“ fragte der Kellner.
„Aus sicherer Quelle“, meinte der Kunstmaler.
„Jaja, es wird schon stimmen, denn so etwas erfindet man nicht“, meinte der Kellner, während er sich mit dem Krügel auf den Weg machte.
„Der Weißgspritzte“, schüttelte er ungläubig den Kopf, „das ist wirklich sehr schade, er war so ein angenehmer Gast.“
„Da drüben ist er immer gesessen und hat einen Gspritzten nach dem anderen getrunken“, erinnerte sich der Kunstmaler.
„Früher hat er seine Gspritzten immer an der Bar getrunken“, ergänzte der Steirer.
„In letzter Zeit hat er sich abgesondert, hat nichts mehr gesprochen, sondern nur noch Weißgspritzte getrunken.“
„Er wird schon was gespürt haben“, meinte der Steirer.
„Wahrscheinlich! Seinen Spruch, dass ihm nichts mehr auf die Nerven geht als diese Weißgspritzten, werde ich nie vergessen. Dieser Satz wird ihn überleben“, sagte der Kunstmaler.

Ich kannte den Weißgspritzten nur flüchtig, vom Sehen, ohne je ein Wort mit ihm gewechselt zu haben. Mit der Nachricht von seinem Tod machte ich mich auf in die Alte Schmiede, dem Literaturzentrum in der Schönlaterngasse. Es gab eine unterhaltsame Lesung mit Rudi Lasselsberger, der während seines Vortrags Erdnüsse ins Publikum warf. Nachher ging ich auf ein Bier in die Wunderbar, wo der Kunstmaler im Gespräch mit einer Bekannten war, die hier zu den Stammgästen zählte. Erneut war der Weißgspritzte Thema. Er war gar nicht verstorben, sondern lag nach einem Oberschenkelhalsbruch in einer Rehaklinik. Die Frau kannte ihn näher und hatte ihn im Krankenhaus besucht. Es schien ihm aber nicht besonders gut zu gehen, wie sich aus dem Gespräch heraushören ließ. Aber er war zumin-dest noch am Leben.

Der Kunstmaler schien über diese neue Sachlage erleichtert zu sein und fügte hinzu, dass vor kurzem ein ähnliches Gerücht durch die Wiener Kunstszene kursierte. Es hieß, dass Franz Schuh, der Wiener Schriftsteller und Philosoph, gestorben sei. Sogar die Grazer Autorenversammlung habe schon einen Nachruf vorbereitet. Der Kunstmaler berichtete, dass er die Telefonnummer von Franz Schuh gespeichert und diesen sofort angerufen habe. Da habe der Schuh sich ge-meldet.
„Ich habe ihm gesagt, dass in Wien das Gerücht kursiert, er wäre verstorben.“ Daraufhin habe der Schuh gemeint, dass er das auch schon gehört habe.

„Hauptsache der Schuh und der Weißgspritzte sind noch am Leben“, meinte die Bekannte des Kunstmalers, „Dann ist ja alles in Ordnung.“


Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

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