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Elias Schneitter
Dame am Yppenplatz
Gedicht

Was würde wohl passieren,
wenn wir uns kennen lernen würden
und es nicht nur bei diesem Augenspiel
über die Tische hinweg bleiben würde.

Du bist genau der Typ Frau,
auf den ich stehe,
äußerlich:
ein breites weiches Gesicht
mit einem ruhigen Ausdruck
um den Mund herum.

Was könnte ich dir noch bieten,
wenn wir jetzt Kontakt aufnehmen würden,
uns näher kämen
und es nicht nur bei diesem Spiel der Blicke
bleiben würde?

Was könnte noch aus uns werden,
aus uns beiden – ich über sechzig,
du um einige Jahre jünger.

Ich schau dir nach wie du im Lokal
verschwindest. Leicht füllig,
genauso wie ich es mag,
ebenso wie deinen federnden Gang.

Was würde passieren, wenn ich dich
beim Zurückkommen ansprechen würde,
wir ins Gespräch kämen,
uns die nächsten Tage wieder treffen würden,
auf einen Kaffee, auf einen Hugo,
auf einen Aperol oder was auch immer
und wie würde es mit uns weiter gehen,
sofern auch du ein wenig Zuneigung
für mich verspüren würdest?
und du – ebenso wie ich – in keiner Beziehung
stecken würdest.

Nur wir beide mit unserer Vergangenheit –
sonst nichts,
was ohnehin schon ein gewaltiger Rucksack wäre.
Wie könnte eine gemeinsame Zukunft aussehen,
wenn dem so wäre?

Was könnte ich dir bieten?
Spaziergänge, Gespräche, Besuche im Kino
und im Theater, gemeinsame Abende
vor dem Fernseher und Zärtlichkeiten
ohne den üblichen Sex,
der ohnehin
nicht mehr so richtig funktioniert,
wegen des Alters,
wegen der Medikamente.

Was könnte ich dir sonst noch bieten
in meinem Alter, wo man jederzeit
mit allem rechnen muss.
Sicher keine stundenlangen Wanderungen,
oder auch keine Pilgerreisen nach Santiago de Compostela.

Was bleibt noch von einem Mann
in meinem Alter, der schon so ein langes
Leben hinter sich hat, zwei gescheiterte Ehen
mit zwei tollen Frauen, zwei wunderbaren,
erwachsenen Kindern…

Was könnte ich dir also noch bieten?
Zuwendung, Nähe, ruhige Stunden,
Verständnis, viele Kleinigkeiten,
denn noch nage ich nicht am Hungertuch.

Viel ist es nicht,
was ich bieten könnte,
in meinem Alter,
mit meinen Möglichkeiten,
ja viel ist es nicht mehr.

Diese Gedanken beschäftigen mich,
während unser Augenspiel
noch immer läuft, sogar mit einem
kleinen Lächeln um deine Mundwinkel.

Welche Gedanken hegst du?,
geht es mir durch den Kopf.
Vielleicht bilde ich mir dieses Augenspiel
und dein weiches Lächeln nur ein.
Alles möglich,
alles wahrscheinlich.
Egal.

Du bist in einem Gespräch
mit einer Dame vertieft,
die mir den Rücken zuwendet.

Was würde geschehen,
wenn aus uns doch was werden würde,
über diesen Blickkontakt hinaus?

Du gefällst mir.

Über all diese Gedanken
zwischen unseren Tischen am Yppenplatz hinweg,
bleibt die Frage,
wenn es nicht nur bei diesem Augenspiel
geblieben wäre, etc…,
aber natürlich ist es dabei geblieben,
denn du und deine Gesprächspartnerin
haben ihre Weißgespritzten ausgetrunken,
haben bezahlt und ihr seid verschwunden
und habt mich
mit meinem Gedankenspiel zurückgelassen.
Beim Aufstehen lächelst du noch
einmal kurz in meine Richtung.
Aber vielleicht bilde ich mir das nur ein.

Cafe Drei Linden, Yppenplatz, Wien

Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. dr.eibel

    so ein schönes gedicht und außerdem freud über: elias LEBT

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