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Egyd Gstättner
Femizid
Überalterung. Anerkennung. Wertschätzung
Ein Gerichtssaalbericht

Erschütternde Szenen unlängst im Gerichtssaal und auf Seite 15 der Regionalausgabe der Zeitung: Eine zierliche Rumänin war von ihrem Lebensgefährten in ihrer gemeinsamen Wohnung in Arnoldstein zu Tode geprügelt worden – mit einem Besenstiel, einem aus dem Bett gebrochenen Lattenrost und mit einem wuchtigen Vierkantholz.

Die neunundzwanzigjährige Frau flehte den Mann an aufzuhören, verlor dann aber das Bewusstsein und starb kurz darauf auf der Rückbank seines Autos. Ihren leblosen Körper legte der Mann vor der Bezirkshauptmannschaft Villach ab.

Mit gesenktem Kopf saß der Urheber dieses Martyriums nun im Schwurgerichtssaal des Landesgerichts in Klagenfurt. Die Anklage: Mord. No na!

„Sie hat mich beleidigt und gesagt, ich soll zum Teufel gehen“, versucht sich der Neunundzwanzigjährige in seiner Muttersprache mit weinerlicher Stimme zu rechtfertigen. In seiner Muttersprache? No na! Der Mann war also der Meinung, die Frau soll den Mann nicht beleidigen. Die Frau soll dem Mann nicht sagen, er soll zum Teufel gehen.

„Es tut mir alles furchtbar leid, das mit dem Lattenrost und das mit dem Vierkantholz und das mit dem Besenstiel, auch für ihre Familie.“ Sagte der Mann in seiner Muttersprache. Der Mann und die Frau waren fünf Jahre lang ein Liebespaar, sie stammten aus derselben Stadt in Rumänien.

Das bestätigt die bekannte These, dass die meisten Morde innerhalb der eigenen Familie passieren und der Täter und das Opfer einander gut kennen, auch in Arnoldstein, der kleinen Kärntner Grenzstadt im Süden des Einwanderungslandes Österreich, wohin Männer wie Frauen in der Hoffnung auf ein besseres Leben kommen.

(Ohne Migration überaltert die Bevölkerung. Österreichs Bevölkerung wächst nur durch Zuwanderung. Ohne diese würde die Bevölkerungszahl bis 2080 auf das Niveau der 1950er Jahre sinken, so die Statistik Austria. Ab Mitte der 2020er Jahre fällt Österreichs Geburtenbilanz zudem negativ aus, während das durchschnittliche Alter der heimischen Bevölkerung weiter steigt.)

Der Mann, jetzt Mörder, handelte mit Autos. Wieviel er damit verdiente, wusste er nicht. Aber was die Frau verdiente, wusste er: Etwa dreitausend Euro im Monat. So viel? Ja! Die Neunundzwanzigjährige arbeitete als Sexarbeiterin in Villach. „Ich wusste aber nicht, was sie da genau tut“, erklärte der Mann dem kopfschüttelnden Richter in seiner Muttersprache. Der Richter konnte nicht glauben, was er gehört hatte, und mahnte in seiner Muttersprache: „Wir sind hier nicht im Kindergarten!“

Am Tag des Mordes hatte das Paar wieder einmal gestritten. Warum der Mann so brutal auf die Frau eingeschlagen hatte, konnte der Mann dem Gericht in seiner Muttersprache nur unzureichend erklären: „Es ist in dieser Woche so viel los gewesen. Sie ist zu spät nach Hause gekommen, hat Kokain genommen und meine Eifersucht“.

Der Mann drückte sich auch in seiner Muttersprache grammatikalisch nicht ganz korrekt aus, es sei denn, die Redakteurin ist für das Kauderwelsch mitverantwortlich. Der Mann war der Meinung, die Frau soll kein Kokain nehmen. Der Mann war der Meinung, die Frau soll nicht zu spät nach Hause kommen. Der Mann war der Meinung, er habe ein Recht auf Eifersucht.

Der Mann wollte mit der Frau zum Reifenwechsel nach Rumänien fahren. (Leider gibt der Artikel der Redakteurin keine Auskunft darüber, warum man zum Reifenwechsel von Arnoldstein nach Rumänien fahren muss, immerhin ist die Distanz von Arnoldstein nach Rumänien ca. eine ungeheuerliche, und es ist sattsam bekannt, dass viele Arnoldsteiner ihre Reifen in Arnoldstein wechseln lassen. Aber Platz ist in der Zeitung knapp, Papier ist teuer, man muss sich in der Zeitung kurz fassen, so lang es sie noch gibt.)

Doch die Frau – sie hatte sich schon gut eingelebt – wollte nicht zum Reifenwechsel von Arnoldstein nach Rumänien fahren, sondern stattdessen lieber nach Villach sexarbeiten gehen. Das war ihr Todesurteil. „Ich habe ihr gesagt, dass ich das nicht will“, sagte der Mann dem Richter in seiner Muttersprache. Der Mann war der Meinung, der Wille des Mannes geschehe – in Rumänien wie in Arnoldstein.

Der neunundzwanzigjährige Mann war laut Gutachten zur Tatzeit zurechnungsfähig. Er sei gefühlskalt und es fehle ihm an Empathie gegenüber anderen. Er gestand die Tat. Das Urteil, nicht rechtskräftig: Neunzehn Jahre Haft plus 15.000 Euro Schadenersatz für den Bruder des Opfers.

Schon wieder ein Femizid. Schon der 29. Femizid in Österreich in diesem Jahr. Fast alle laufen nach demselben Muster ab: Ein Mann bringt seine Frau um, weil er sie als sein Eigentum betrachtet. Was läuft in Österreich schief? Was ist bloß mit den Männern los?


PS:

Der Mann ist nun eine jener 260 Personen, die gerade in der Justizanstalt Klagenfurt in Untersuchungshaft sitzen oder eine Haftstrafe verbüßen. Mit einem Blick hinter die Gefängnismauern – sozusagen einem Tag der offenen Gefängnistür – will der interimistische Anstaltsleiter Oberstleutnant Josef Gramweckerl den Menschen draußen den Strafvollzug näher bringen.

Im Gefängnis gehen die Insassen und Insassinnen einer Arbeit nach. Die rund 130 Arbeitsplätze in den hauseigenen Werkstätten und Betrieben wie der Schlosserei, der Küche oder der Tischlerei seien begehrt. Das ganze Jahr über stellen die Insassen und Insassinnen Produkte her, die im hauseigenen Jailshop unter dem Motto Handwerk, das sitzt zum Kauf angeboten werden.

Die Insassen werden nach Eignung eingesetzt, erklärt der Oberstleutnant in seiner Muttersprache. In vielen Fällen hätten die Inhaftierten nichts gelernt oder verkaufen Autos. Anerkennung und Wertschätzung seien für diese Menschen wichtig. Auch im Sinne der Reintegration in die Gesellschaft. Vogelhäuser und Stehtische werden ebenso hergestellt wie Schmuckkästchen und Grabkreuze.

Letztere seien bei Kunden besonders beliebt, unterstrich der interimistische Anstaltsleiter in seiner Muttersprache. Derzeit werde auch Weihnachtsschmuck gebastelt, unter anderem Christbaumkugeln, Krippen oder Schwemmholzengel aus wuchtigem Vierkantholz.

Das sozialpädagogische Lern- und Arbeitstraining sei für Insassen (und Insassinnen!) gedacht, die nicht in einem Betrieb arbeiten können. So lernten sie, dass es eine geregelte Tagestruktur gäbe und erwürben auch Sozial- und Handlungskompetenz, erläutert die Sozialpädagogin. Und der interimistische Anstaltsleiter ergänzte, oft sei es hier das erste Mal, dass die Menschen ein Erfolgserlebnis haben. Einem Mann aus Arnoldstein sei beispielsweise ein wunderschönes Grabkreuz gelungen.

(Material: Kleine Zeitung Kärnten 1. Dezember 2022)


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Egyd Gstättner

Egyd Gstättner (* 25. Mai 1962 in Klagenfurt) ist ein österreichischer Publizist und Schriftsteller. Egyd Gstättner studierte an der Universität Klagenfurt Philosophie, Psychologie, Pädagogik und Germanistik. Schon während des Studiums begann er mit Veröffentlichungen in Zeitschriften wie manuskripte, protokolle, Literatur und Kritik oder Wiener Journal. Seit seiner Sponsion 1989 lebt er als freier Schriftsteller in Klagenfurt, wo er zahlreiche Essays u. a. für die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, Die Presse, Falter, Kurier und Die Furche verfasste. Besonders bekannt wurde er im Süden Österreichs mit seinen Satiren in der Kleinen Zeitung. Darüber hinaus schrieb und gestaltete er Features für die Österreichischen Radioprogramme Ö1 und Radio Kärnten sowie für den Bayerischen Rundfunk.1993 wurde er zum Dr. phil. promoviert. 1990 erschien die erste eigenständige Buchpublikation („Herder, Frauendienst“ in der „Salzburger AV Edition“). Bis 2018 wurden insgesamt 34 Bücher Gstättners bei Zsolnay, Amalthea, in der Edition Atelier und seit 2008 im Picus Verlag Wien publiziert. Seit 2016 hat er einen zweiten Wohnsitz in Wien. Gstättner ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter.

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