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Alois Schöpf
Warum Tirol keine Salzburger Festspiele hat.
Drei Empfehlungen

Ausgerechnet an jenem Ort, wo das provinzielle Tirol am ungeniertesten provinziell sein darf, weil das angeblich hohe Kunst ist, bei den Tiroler Volksschauspielen in Telfs, stellte unser politisches Allroundgenie und daher auch Kulturreferent Anton Mattle eine Dame vor, deren Aufgabe es in Zukunft sein soll, Tirols Kultur sichtbarer zu machen.

Auf die Frage, ob dies auch mehr Geld für die Kultur bedeute, hüllte sich der Landeschef mit Verweis auf die kommenden Budgetverhandlungen in Schweigen. Dafür meldete sich die Chefin der Tirol Werbung Karin Seiler zu Wort und bedauerte, wie die Tiroler Tageszeitung vom 2. August berichtet, dass Tirol nicht über Salzburger oder Bregenzer Festspiele verfüge, deren Strahlkraft über Wochen anhalte.

Beiseite gesprochen: Das ist doch die etwas eigenartige Stellungnahme einer Führungskraft, in deren Verantwortungsbereich bekanntlich die Cine Tirol Film Commission fällt, deren Aufgabe genau darin bestünde, wenn sie nur nicht so unterbudgetiert und abgewirtschaftet wäre, Tirol, statt öde Serienprodukte des Staatsfernsehens zu bedienen, am Markt der Filmkunst international sichtbarer zu machen.

Da ich als Publizist das deprimierende Privileg habe, seit einem halben Jahrhundert die Tiroler Kulturpolitik zu beobachten, – und ohne diese Politik gibt es keine Veranstaltung, die auch nur im entferntesten an Salzburger oder Bregenzer Festspiele heranreichen könnte – möchte ich Natascha Müllauer, der von Mattle vorgestellten neuen Dame, drei grundlegende Erkenntnisse mit auf den Weg geben, damit sie nicht zu früh ihren Job hinschmeißt oder sich gar resigniert in den pragmatisierten Dauerschlaf irgendeiner Abteilung des Amtes der Tiroler Landesregierung zurückzieht.


1. Es regieren desinteressierte Dilettanten.

Alle bisherigen Kulturpolitiker, angefangen bei Fritz Prior, dessen Hauptaufgabe darin bestand, den kulturellen Übergang von der braunen zur schwarzen Suppe unauffällig zu managen, über Fritz Astl, der offen zugab, von Kultur nichts zu verstehen, weshalb er auch bei Vernissagen die kürzesten Eröffnungsreden hielt, über den Blasmusikanten Günther Platter, den freundlichen, aber nur schattenhaft regierenden Erwin Koler bis hin zur unsäglichen karenzierten Schuldirektorin Beate Palfrader hatten alle Tiroler Landes-Kulturreferenten zwar das richtige Parteibuch, aber mit Ausnahme des umfassend gebildeten ehemaligen Bürgermeisters von Innsbruck Herwig van Staa keine Ahnung von Kultur, Kulturmanagement und Kulturpolitik.

Dies bedeutet: Sie waren nicht in der Lage, aus den zahlreichen Persönlichkeiten, die etwas von ihnen wollten, und den Ideen, die ihnen unterbreitet wurden, kraft ihres Hintergrundwissens jene auszuwählen, welche das Potential gehabt hätten, überregionale Bedeutung zu erlangen. Daher gaben sie, weil sie nicht einmal dazu fähig waren, etwas begründet als untauglich abzulehnen, allen ein bisschen etwas und verkauften und verkaufen diesen Hungerleider-Pfusch bis heute als kulturelle Vielfalt.


2. Kultur wird einfach behauptet

Da es in Tirol also keine überregional bedeutenden Kulturveranstaltungen gibt, wird einfach, oft zum Erstaunen Restösterreichs, rücksichtslos behauptet, dass es sie gäbe. Man ist etwa von der überregionalen Bedeutung der Festwochen der Alten Musik überzeugt, auch wenn wegen denen schon lang niemand mehr angereist kommt, wie es eine Untersuchung des TVB Innsbruck sogar statistisch nachgewiesen hat. Man kniet vor Bildhauern und Musikern nieder, weil sie in Mailand oder New York arbeiten, wo sie niemand kennt. Man ist stolz auf ein Theater, von dem nichts übertragen wird, und auf ein Orchester, von dem es nicht eine einzige aktuelle CD gibt, und zugleich unfähig, dafür ein geeignetes Führungspersonal zu finden. Man rühmt sich mit Tiroler Festspielen in Erl und übergibt sie auf Steuerzahlers Kosten einem Bauunternehmer, der sie wieder an einen singenden Hobbyintendanten weiterreicht und das für eine gute Idee hält. Man stuft Die sieben Todsünden von Franz Kranewitter und den Kitsch eines Felix Mitterer als Welt- und den Selbstbedienungsladen der Tiroler Volksschauspiele als eine Art alpines Burgtheater ein. Man lacht nicht laut auf, wenn sich Amateurmusiker aus dem Innsbrucker Stadtteil Wilten als die Philharmoniker Tirols bezeichnen und beleidigt sind, wenn sie mangels Qualität nicht mehr zu den Innsbrucker Promenadenkonzerten eingeladen werden.

Man könnte diese Aufzählung noch lange fortsetzen: Tatsache ist, dass nicht nur den Kulturpolitikern die Qualifikationen fehlen, auch großen Teilen des Publikums mangelt es an Qualitätsbewusstsein, weshalb denn auch selbst bei miserabelsten Angeboten, wie etwa bei Musicalauführungen auf der Festung Kufstein, mit Standing Ovations reagiert wird.


3. Wenn man sich kennt, muss man nett sein.

Dass dies alles überhaupt so weit kommen konnte, hängt auch mit der sehr eigenartigen Mediensituation in Tirol zusammen, bei der die Berichterstattung über Kultur fast ausschließlich im Land für das Land erfolgt und somit eine undurchdringliche Blase der eitlen Selbsterhöhung ermöglicht, da kein Kulturredakteur oder keine Kulturredakteurin lange überleben würde, wenn sie sich der international hohen und nicht der landesüblich breitenkulturellen Qualitätskriterien befleißigen würde. Dominant ist dabei die Tiroler Tageszeitung, die außerhalb Tirols kaum wahrgenommen wird. In der Kronenzeitung als dem einzig ernst zu nehmenden Konkurrenzorgan bleibt Tirols Kultur meist im Bundesländerteil isoliert, dies gilt auch für das ORF-Regionalstudio, wie der Name schon sagt, und auch für die auflagenstarken Bezirksblätter, die als Gratiszeitung davon leben, sich auch noch an das letzte Flügelhornduo anzubiedern, um nicht gleich in den Papierkorb geschmissen zu werden.

Dieses Unter-sich-sein und sich daher ununterbrochen Über-den Weg-laufen, dieses mit den meisten Per-du- und Nett-sein führt seit Jahrzehnten zu einem kulturellen Ghetto-Syndrom, bei dem sich die fehlende Wahrnehmung von außen in eine frenetische Selbstüberschätzung nach innen verwandelt.


Fazit:

Politiker, Publikum und Medien sind hierzulande der Überzeugung, dass unser kulturelles Angebot großartig und international ist, dies jedoch von der Außenwelt zu wenig beachtet wird, ein Skandal, weshalb denn auch unser Universalgenie Anton Mattle aus Galtür Frau Müllauer geholt hat, um das der Welt klar zu machen.

Dass angesichts einer solchen Unbelehrbarkeit der Traum von Frau Seiler noch lange ein solcher bleiben wird, ist unausweichlich. Aber als in der Kunst des Nichtanhaftens geübte Buddhistin kann ihr das ebenso gleichgültig sein, wie die Tatsache, dass Cine Tirol weiter vor sich hin versumpert.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Andreas Braun

    Lieber Alois!

    Deine Analyse der heimischen Misere trifft leider vollinhaltlich zu!

    Die sogenannten Stakeholder der Kulturpolitik fordern keine radikale Exzellenz ein, da sie eine solche weder national noch international mangels Bildung und Interesse zu orten imstande sind. Ihre öffentlichen Phrasen – so auch die von Dir zitierte Absichtserklärung von Mattle – zementieren die landesübliche, sauteure Mittelmäßigkeit!

    Alle meine Versuche im Rahmen einer ambitionierten Transformation der Tirolwerbung, der Standortagentur und des Agrarmarketings scheiterten am Unwillen, Bestehendes kritisch zu reflektieren und Neues mitunter mutig zu implementieren. Das hehre Ziel, die Marke Tirol in einer neuen Synthese von Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft international neu – abseits ausgezitterter Tourismus Klischees – im Dialog mit unserer einmaligen Natur zu positionieren, fand keine Resonanz und wurde daher auch im aktuellen ÖVP/SPÖ Regierungsprogramm tot geschwiegen.

    Ergo befindet sich Tirol nach wie vor im Zustand einer „Stuck Culture“, frei übersetzt eines hermetischen Landes, das in seiner teuren, selbstgefälligen Kultur hoffnungslos hängen geblieben ist.

    Was tun? Vielleicht endlich etwas wagen, wie es aktuell in Salzburg im experimentellen Stück „Spiegelneuronen“ auf der Bühne passiert: eine Einladung zu einem „körperlichen Nachdenken“ über das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Die sportaffinen Tiroler könnten allenfalls durch solche Tricks verführt werden, neue Horizonte ihrer sogenannten Identität auszuloten.

    Mit besten Grüßen

    Andreas

  2. Helmut Schiestl

    Lieber Alois!
    So schlecht ist die Tiroler Kulturszene nun auch wieder nicht! Klar, man kann nicht in ein paar Jahren Salzburger oder auch Bregenzer Festspiele aus dem Boden stampfen, und selbst wenn das versucht worden wäre, was wäre das dann anderes als ein wahrscheinlich lächerliches Kunstprodukt für das man die hinterwäldlerischen Tiroler Älpler dann erst wieder ins Lächerliche ziehen würde. Trotzdem hat sich in Tirol in den letzten Jahrzehnten doch einiges am Sektor hochwertiger Kultur getan. Ich erinnere dabei etwa an zwei Festivals, die es mittlerweile an Bekanntheit weit über die Grenzen des Landes und die Aufmerksamkeitsschwelle der Lokalpresse geschafft haben, etwa im Frühling das OSTERFESTIVAL der Galerie St. Barbara in Hall und im Herbst das KLANGSPUREN-FESTIVAL für Neue Musik in Schwaz. Beides hat sich inzwischen gut eingefügt in den Tiroler Kulturkalender, der auch von jenseits der Grenzen wahrgenommen wird.

    Neben den schon lange im Innsbrucker Kulturleben fest verankerten FESTWOCHEN DER ALTEN MUSIK haben sich in dieser Stadt eine Reihe kleinerer Festivals mit unterschiedliche Publikumssegmente ansprechenden Profilen wie etwa das INTERNATIONALE FILMFESTIVAL, das HEART OF NOISE FESTIVAL, und nicht zuletzt die von dir initiierten PROMENADENKONZERTE etabliert und machen den Innsbrucker Sommer zu einem doch sehr abwechslungsreichen, bei dem schon manchen wie mir zum Beispiel eine private Urlaubsplanung schwergefallen ist.
    Wenn ich da etwa an die frühen siebziger oder gar noch sechziger Jahre – wo ich zugegeben noch zu jung war, um das Kulturleben von Innsbruck oder Tirol nützen oder gar beurteilen zu können – zurückdenke, so fällt mir da zumindest im Nachhinein nur öde Tristesse dazu ein. Ein Landestheater und ein Symphonie-Orchester mit eher mittelmäßigem Niveau und Programmgestaltung,vielleicht noch ein bisschen alte Musik. Für Initiativen junger und progressiver Kultur, die es damals auch schon gegeben hat, fehlte damals noch das große Publikum, sie waren ein Minderheitenprogramm und von vielen vielleicht auch schon wieder als elitär verschrieen. Sicher, auch andere Hauptstädte abseits der Kulturmetropolen wie Wien oder Salzburg haben sich da erst später ein Profil erarbeitet, wie etwa Linz mit dem BRUCKNERFESTIVAL und der ARS ELECTRONICA oder Graz mit seinem inzwischen auch schon in die Jahre gekommenen STEIRISCHEN HERBST.

    Kultur muss von der Basis kommen, wenn sie von der Bevölkerung angenommen und von ihr als Bereicherung empfunden werden soll. Gerade das Haller und mittlerweile auch nach Innsbruck sich ausgebreitet habende Osterfestival war die Idee von damals noch jungen Leuten in Hall, Gerhard und Maria Crepaz, die gegen viele Widerstände Kulturarbeit in einer Kleinstadt wie Hall gemacht haben. Das Schwazer Klangspurenfestival vom Komponisten und Pianisten Thomas Larcher initiiert, konnte wohl ebenso auf dort schon lange gewachsenen kulturellen Humus wie etwa die Schwazer Galerie Eremitage von Gerd Chesi zurückgreifen. Die vielen kleinen Kulturinitiativen, die es mittlerweile in vielen Orten am Land in Tirol gibt, erwähnt seien hier vielleicht nur neben vielen anderen St. Johann (Alte Gerberei), Hopfgarten (Kammermusikfestival), Stams (Stiftskonzerte) sollten da auch nicht vernachlässigt werden, sind sie es doch, die eine Marke Tirol abseits von Trachtenseligkeit und Heimatkitsch zu schaffen imstande sind und auch das Leben abseits großer Kulturmetropolen interessant und abwechslungsreich machen.

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