Manfred A. Schmid
Was kommt zuerst: Wort oder Musik?
Antwort: die Regie!
Überlegungen zur konzertanten Aufführung
der Oper „Capriccio“ in Salzburg

In der während des zweiten Weltkriegs komponierten Oper Capriccio von Richard Strauss wird bekanntlich verhandelt, was in einer Oper mehr Gewicht hat und zuerst kommt: Das Wort oder die Musik? Die Handlung der Oper spielt um 1775, als Christoph Willibald Gluck in Paris lebte und wirkte. Schon damals war „Musik oder Wort“ eine heiß diskutierte Fragestellung, welche die Opernwelt  seit den Anfängen um 1600 in Florenz bewegt.

Dass diese Fragestellung inzwischen aber längst obsolet geworden ist, lässt sich schwer von der Hand weisen. Im Zeitalter des grassierenden Regietheaters ist klar, wer bzw. was den Anspruch stellt, das Wichtigste vor allem anderen zu sein: Weder das Wort (Libretto), noch die Musik (Partitur), sondern das, was dem Herrn Regisseur oder der Frau Regisseurin dazu eingefallen sein mag oder auch nicht. 

Bo Skovhus (Graf), Mika Kares (La Roche,Theaterdirektor), Sebastian Kohlhepp (Flamand, Dichter). c Salzburger Festspiele / Marco Borrelli. Bo Skovhus (Graf), Mika Kares (La Roche,Theaterdirektor), Sebastian Kohlhepp (Flamand, Dichter). c Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

Denn auch aus dem Nichts können die Meister des Regietheaters etwas machen. Beispiele dafür gibt es zuhauf. Die Musik ist dabei ohnehin ohne Belang, weil die meisten Opernregisseure davon keinen blassen Schimmer haben und nicht wissen, dass Wort und Ton, wie es die Gräfin in Capriccio ausdrückt, zu einer nicht mehr zu trennenden Einheit verschmolzen sind. 

Der Text wird dann so hingebogen, dass er irgendwie passt. Und sollte das nicht gehen, haben moderne RegisseureInnen keine Scheu, auf der Bühne das Gegenteil von dem machen zu lassen, wovon gerade die Rede ist.

Da trifft es sich gut, dass das einaktige Konversationsstück für Musik, wie Richard Strauss sein Werk nannte, in Salzburg konzertant aufgeführt wird. Die darin geführte kundige, engagierte, zum Teil auch emotional erregte und aufgeladene Diskussion ist, wie oben dargelegt, von der Realität des Bühnenalltags längst überholt worden. Der Regie gebührt heute das Erstlingsrecht. 

[ Elsa Dreisig (Gräfin) c Salzburger Festspiele / Marco BorrelliElsa Dreisig (Gräfin) c Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

Nun gibt es in Capriccio zwar den Theaterdirektor La Roche, der – damals gab es den allmächtigen, alles bestimmenden Regisseur noch nicht – sich um die Umsetzung der geplanten Oper zum Geburtstag der Frau Gräfin Sorgen macht. Es geht ihm dabei aber nicht um ästhetische Bedenken, sondern einzig und allein um die zu erwartende Reaktion des Publikums. Die Zuseher- und Zuhörerschaft muss an dem, was ihr auf der Bühne geboten wird, Gefallen finden. 

Sollten, wie im vorliegenden Fall, die dabei andiskutierten mythologischen Themen das Publikum abschrecken, hätte das schwerwiegende Folgen. Denn gibt es kein Publikum, dann gibt es auch keine Einnahmen und damit nichts, womit er seine Truppe bezahlen kann. 

Der hemdsärmelige, pragmatisch denkende und verantwortungsbewusst agierende La Roche ist das verkörperte Gegenteil des heutigen Regietheaters, dem das Publikum und dessen Reaktion wurscht sind. Die Proponenten unserer hoch subventionierten Musentempel sonnen sich vielmehr im Buh-Orkan, weil sie dann in den Feuilletons auf starke Resonanz und vehement auftretende Verteidiger – auf der Galerie, aber auch in der Presse – zählen können. Sie inszenieren vielleicht sogar mit einem verstohlenen Blick auf die zu erwartende Kritik. Das Publikum aber ist für sie außen vor und interessiert sie nur als lautstarke Beurkundung eines jederzeit willkommenen Skandals.

Capriccio ist somit eine Oper, die an ihre Zeit gefesselt ist und den aktuellen Verhältnissen nicht mehr gerecht werden kann. Ob eine Inszenierung auf diese veränderten Bedingungen eingehen könnte? Schwer zu sagen, wäre aber gewiss eine große Herausforderung. So aber sollte sie am besten wohl nur in der ihr ursprünglich zugedachten Barock- bzw. Rokoko-Zeit auf die Bühne gebracht werden, oder eben – wie diesmal der Fall – konzertant. 

Besonders wenn – wie heuer in Salzburg – Christian Thielemann, der derzeit wohl beste Strauss-Dirigent, am Pult der Wiener Philharmoniker steht und ein hervorragendes Gesangsensemble, beginnend mit der wunderbaren Elsa Dreisig als Gräfin, zur Verfügung hat. In ihrem langen Monolog am Ende muss die verliebte Gräfin eingestehen, dass sie die von ihr erwartete Antwort auf die Ausgangsfrage prima la musica e poi le parole, in ihrem Fall erschwert durch die damit verbundene Wahl zwischen dem Komponisten oder dem Dichter, nicht wird geben können. 

Würde sie nicht, wie in der von Stefan Zweig angeregten Oper, im 18. Jahrhundert leben, sondern heute, könnte sie sich immerhin für ein Drittes entscheiden: für die Regie bzw. für den Regisseur.

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Manfred A. Schmid

Manfred Schmid hat am Konservatorium in Klagenfurt Violine und Tonsatz und an der Universität Wien Philosophie und Psychologie studiert. An der University of Strathclyde in Glasgow, wo er als Lektor tätig war, hat er ein Postgraduate-Studium der Literaturwissenschaft absolviert. Nach einigen Jahren als Universitätsdozent an der Universidad Nacional dé Mexico kehrte er nach Österreich zurück, wo er zunächst als Cheflektor und Verlagsleiter die Edition S, den Belletristik-Zweig des Verlags der Österreichischen Staatsdruckerei, leitete. Es folgten rund zehn Jahre als Redakteur bei der Wiener Zeitung (Medienressort-Leitung, Theater- und Musikkritik, Kolumnist der „Extra“-Beilage) und eine mehrjährige Tätigkeit als Trainer und Coach (Kommunikation, Berufsorientierung). In der Pension schreibt Schmid regelmäßig Opernkritiken auf www.onlinemerker.com und widmet sich intensiv dem Komponieren – eine Leidenschaft, die ihn seit der Kindheit bis heute begleitet.

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