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Alois Schöpf
Dirigent, Programm, Moderation und Orchester
Über die Faktoren eines erfolgreichen Konzerts,
aufgezeigt anhand der drei ersten Bläserkonzerte
der Innsbrucker Promenadenkonzerte

Die ersten drei Konzerte von sehr verschiedenen, in ihrer Weise jedoch bedeutenden Blasorchestern sind im Innenhof der kaiserlichen Hofburg im Rahmen der Innsbrucker Promenadenkonzerte über die Bühne gegangen. Dabei beleuchten die unterschiedlichen Zugangsweisen der Dirigenten und ihrer Orchester auch interessante Aspekte, die zum Erfolg eines Konzertabends führen können. Vorausgeschickt muss dabei werden, dass der entscheidende Punkt solcher Erfolge, die in erster Linie auf der Kompetenz des Dirigenten, seinem Dirigat und seiner Bühnenpräsenz aufbauen, in keinem der drei Fälle zur Diskussion stand. Alle drei Herren verfügten über jene Musikalität und Energie, die sie befähigte, ihre Musikerinnen und Musiker zu einem engagierten Spiel zu bewegen.

Vollkommen unterschiedlich hingegen war der dramaturgische Aufbau der Konzerte, mit denen sie im Rahmen einer Freiluftaufführung ein bei niederschwelligen Zugangsbedingungen und geringen Eintrittspreisen erschienenes Publikum zu begeistern versuchten.


Die Militärmusik Tirol

Hannes Apfolterer, seit Jahrzehnten Kapellmeister der Militärmusik Tirol und ehemaliger Dirigent der Original Tiroler Kaiserjägermusik, als diese noch zu den angesehensten Klangkörpern des Landes gehörte, war erfahren genug, um zu wissen, dass seine Militärmusik Tirol in Sachen Größe, Vielfalt der Instrumente, Umfang der Holzregister und wohl auch in vielen Fällen in Sachen Ausbildung der Musiker gegenüber vielen anderen Orchestern der Konzertreihe nicht konkurrenzfähig ist, was in Sachen Transparenz und Klangqualität denn auch bei den wenigen Stücken, die das Orchester alleine zu bestreiten hatte, hörbar wurde.

Er setzte daher klug auf Solisten, die entweder seinem Orchester noch angehörten oder einmal ihren Dienst bei der Militärmusik Tirol abgeleistet hatten. Alle diese inzwischen hochkarätigen Musiker ließ er von der Epoche des Barock mit einem Doppelkonzert für Trompete von Antonio Vivaldi über die Klassik mit Gioacchino Rossini über die gemäßigte Moderne und das Musical bis hin zum fast schon avantgardistischen Jazz ihre ganze Brillanz ausspielen. 

Dabei trugen sicherlich die Sängerin Manuela Burian, Gefreite der Reserve, mit einem Song aus dem Musical Elisabeth und die österreichweit berühmten Jazzer Peter Girstmair am Saxophon und Franz Hackl junior auf der Trompete zu begeisternden Höhepunkten bei. Peter Girstmair etwa war sechs Jahre lang Mitglied der Militärmusik Tirol und spielt heute bei den Wiener Philharmonikern, wenn ein Saxophon benötigt wird. Franz Hackl senior wiederum war noch unter dem legendären Militärkapellmeister Siegfried Somma Solotrompeter der Militärmusik Tirol und führte solistisch zum ersten Mal den weltbekannten Tango Jalousie auf, dessen Solopart an diesem Abend sein inzwischen berühmter Sohn übernahm.

Diese Perlenkette an solistischen Glanzstücken wurde durch eine überaus gebildete und dennoch locker vorgetragene Moderation des Gefängnisseelsorgers Andreas Liebl aneinandergereiht, wodurch sich insgesamt ein eindrucksvoller und stets unterhaltsamer Konzertabend mit durchgehend hochkarätigen Werken aus dem Bereich der Unterhaltungsmusik ergab.


Die Sächsische Bläserphilharmonie

Die Sachsen, alljährlich ein fixer Bestandteil der Konzertreihe, sind nur ein verhältnismäßig kleines Orchester, bestehend aus ca. dreißig professionellen Musikerinnen und Musikern, die jedoch, etwa beim Konzert für Violoncello und Blasorchester von Friedrich Gulda auf ca. 17 Musiker reduziert, nicht nur den Innenhof der kaiserlichen Hofburg klanglich und lautstärkenmäßig bewältigten, sondern auch sonst durch kluge, auf das Orchester zugeschnittene Arrangements viele größere Blasorchester an sensiblem Nuancenreichtum übertreffen können.

Es ist bedauerlich, dass die Sachsen bald nach Jahrzehnten, während derer sie schon unter Jan Cober und Thomas Clamor großartige Konzerte abgeliefert haben, auch unter dem Österreicher Peter Sommerer offenbar noch immer nicht zum absoluten Pflichtprogramm all jener Tiroler Dorfkapellmeister zählen, die von der Sächsischen Bläserphilharmonie lernen könnten, wie man auch mit einer kleinen Besetzung große Musik macht. Viele Landsleute, denen man seit Andreas Hofer vom offiziellen Klischee her großen Mut bescheinigt, scheinen angesichts perfekter künstlerischer Leistungen von demselben verlassen zu werden, um durch einen Konzertbesuch das Mittelmaß ihrer Amateurwelt nicht zu gefährden. Anders ist die fast vollkommene Absenz der blasmusikalischen Kollegenschaft an einem solchen Abend nicht zu erklären.

Das Konzert begann mit der Wiener Philharmoniker Fanfare des genialen Richard Strauss, dessen Vater Hornist war und der daher genau wusste, wie man mit wenigen Blechbläserakkorden dem musikalisch Sensiblen die sprichwörtliche Ganselhaut über den Rücken jagt. Es folgte die Uraufführung eines der gemäßigten Moderne verpflichteten Werks mit dem Titel Alpenglühen des 1994 in Hamburg geborenen Komponisten Henning Wölk, eine Komposition, die wunderbar gekonnt genau jene Sehnsucht zum Ausdruck brachte, die offenbar die Ursache dafür ist, dass nicht nur Tirol, sondern die Alpen überhaupt seit ewigen Zeiten ein Sehnsuchtsort unserer nördlichen Nachbarn sind.

Unzweifelhaft der Höhepunkt des Abends war jedoch die Aufführung des Konzerts für Cello und Blasorchester von Friedrich Gulda: Ein im besten Sinne postmodernes Werk mit wunderbaren Zitaten aus der Volksmusik, kombiniert mit jazzoiden Passagen und vom Solocellisten des Bayerischen Staatsopernorchesters Jakob Spahn mit Witz und Virtuosität inklusive einer umfangreichen Kadenz vorgetragen. Man kann in diesem Zusammenhang immer nur wieder die Frage stellen, warum sich Friedrich Gulda neben all den anderen Ausgefallenheiten, die er sich in seinem Leben geleistet hat, nicht mehr Zeit nahm für sein offenbar großartiges kompositorisches Talent.

Beschlossen wurde das Konzert der Sachsen mit zwei absoluten Highlights: Einmal mit dem Kaiserwalzer von Johann Strauß, an sich ein für Streichorchester komponiertes Werk, dessen sensible Aufführung durch das Orchester unter Peter Sommerer diesen Umstand jedoch vollkommen vergessen ließ, und zum anderen Morgenlied und Aufzug der Heere aus der Oper Lohengrin von Richard Wagner, ein Werk, bei dem durch Bläsersignale der gesamte Innenhof von allen Seiten her beschallt wurde und zuletzt zu einem orchestralen Höhepunkt führte, der nicht nur die Qualität des Orchesters, sondern wieder einmal auch die Genialität Richard Wagners, mit seinen magischen Klängen Suchtpotenzial hervorzurufen, unter Beweis stellte.

Insgesamt ein weiterer, wunderbarer Abend der Innsbrucker Promenadenkonzerte, in diesem Fall wie immer amüsant und ironisch vom Dirigenten selbst moderiert.


Das Sinfonische Blasorchester Tirol

Nach der Militärmusik Tirol und der Sächsischen Bläserphilharmonie bestritt der künstlerische Leiter der Innsbrucker Promenadenkonzerte Bernhard Schlögl den für Veranstaltungen nicht gerade günstigen Montagabend. Umso erfreulicher war es, dass das Konzert des Hausherrn mit seinem durchwegs aus unbezahlten Freiwilligen bestehenden Orchester vor vollem Haus spielen und das dramaturgische Prinzip der Innsbrucker Promenadenkonzerte, das Publikum zuerst zu verführen, dann zu fordern und zuletzt wieder zu versöhnen, auf seine Tauglichkeit hin überprüfen konnte.

So begann der Abend mit zwei berühmten und eingängigen Werken des Großmeisters der österreichischen Operette Franz Lehár, seinem Marsch Jetzt geht’s los und dem Walzer Ballsirenen aus der Operette Die lustige Witwe. Schon bei diesen ersten beiden Stücken trat Schlögl mit seinem Orchester den Beweis an, dass jungen Musikerinnen und Musikern weder das Können noch die Lust fehlt, Werke aus dem Kanon der altösterreichischen Unterhaltungsmusik des 19. Jahrhunderts aufzuführen. Großartige Komponisten und ihre großartigen Kompositionen erreichen eben immer die Herzen musikalischer Menschen, was sich gerade in diesem Fall durch ein Orchester besonders wohltuend erwies, in dem der feine Holzklang und die Transparenz von untadeliger und bereits des Öfteren durch internationale Preise honorierter Qualität war. Dasselbe ist im Übrigen auch über den zweiten Teil des Konzerts zu sagen, der das Publikum mit der Ouvertüre zur Operette Die Landstreicher von Carl Michel Ziehrer und dem Konzertmarsch Jubelklänge von Ernst Uebel sozusagen wieder zu versöhnen hatte.

Allerdings gab es hier nicht viel zu versöhnen, denn jene drei Stücke, deren Aufgabe von Seiten der Dramaturgie darin hätte bestehen sollen, das Publikum zu fordern bzw. geradezu herauszufordern, bewegten sich durchwegs im Rahmen einer sehr gemäßigten, nicht weit über Johannes Brahms hinausgehenden Tonsprache, wobei das Werk des vor allem für Brassbands komponierenden Engländers Philip Sparke Das Jahr des Drachen dem Orchester die Möglichkeit bot, sein hohes technisches Können unter Beweis zu stellen, eine Tatsache, die nicht das Gefühl von Herausforderung, sondern schon eher das der Begeisterung beim Publikum hervorrief.

Die Entscheidung Bernhard Schlögls, als klassisches Werk die Variationen über ein Thema von Joseph Haydn von Johannes Brahms aufs Programm zu setzen, ein Werk, das selbst von klassischen Symphonieorchestern nur sehr selten bewältigt wird, ohne in enigmatische Langeweile abzusinken, muss wohl als besonderer, allerdings nicht ganz zielführender Ehrgeiz des Dirigenten eingestuft werden. Vor allem dann, wenn man bedenkt, dass auch das nächste Werk des in Blasmusikkreisen berühmten Hardy Mertens ebenfalls ein Variationen-Werk in diesem Fall über ein Sardisches Volkslied war, das einerseits in Sachen brillanter Instrumentation Johannes Brahms in den Schatten stellte, andererseits von der kompositorischen Stringenz her gegen den Klassiker keine Chance hatte.

Dennoch überzeugten die Variationen von Mertens mit seinem großen Repertoire an blasorchestralen Effekten und Klängen, die vom Stabspiel der Schlagzeuger bis zum Gesang der Musikerinnen und Musiker und einem einsamen Flötensolo reichten, das Publikum in einer Weise, dass am Ende des Abends die Leistung des Orchesters und des Dirigenten in diesem Fall mit durchaus berechtigten Standing Ovations geehrt wurden.

Denn Bernhard Schlögl, der ebenfalls kenntnisreich und charmant selbst moderierte, bewies an diesem Abend nicht nur seine hohe musikalische Kompetenz und damit die Berechtigung, die international immer mehr wahrgenommenen Innsbrucker Promenadenkonzerte als Intendant zu leiten, sondern er bewies auch, dass er mit seiner Fähigkeit, Kolleginnen und Kollegen von der Musik zu begeistern, in der Lage ist, ein so großes und so hochkompetentes Orchester in Eigenregie aufzubauen.

Traurig stimmt in diesem Zusammenhang lediglich, dass wiederum die Kollegenschaft aus der Blasmusikszene fast vollständig fehlte und der für die Blasmusik in diesem Land zuständige Landesverband, dessen Funktionäre ebenfalls durch Abwesenheit glänzten, immer noch nicht begriffen zu haben scheint, welche künstlerische und organisatorische Leistung es hier zu hegen, zu pflegen und finanziell und publizistisch zu unterstützen gälte. Ganz abgesehen von einem ORF, der breit über ein Streichquartett in Schwaz berichtet, während am gleichen Abend in der kaiserlichen Hofburg die Bläser der Wiener und Berliner Philharmoniker ein tausendköpfiges Publikum begeistern. Ein wahrlich journalistisch korrekter Umgang mit unseren ORF-Zwangsabgaben!

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Otto Riedling

    Die Damen des Streichquartetts waren halt zwischen Mitte und Ende 20, und damit auch ein
    Augenschmaus.

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