Alois Schöpf
Ungeliebte Trachten, ungeliebte Uniformen
Leute, die das gemeinsame Musizieren lieben, müssen nicht auch Trachten und historische Uniformen lieben.
Essay
Die Stadtmusikkapelle Innsbruck-Saggen, die ich fast 15 Jahre als Kapellmeister leiten durfte, bestand zu einem erheblichen Teil aus Jugendlichen, die noch die Schule besuchten oder bereits das Universitätsstudium begonnen hatten. Für viele von ihnen war es ein Problem, bei der Fahrt etwa für einen morgendlichen Aufmarsch zu einer katholischen Prozession mitten im urbanen Bereich ein öffentliches Verkehrsmittel in Tiroler Tracht zu benutzen. Sie fühlten sich von den Mitfahrenden scheel angeschaut und belächelt. In den meisten Fällen gelang es mir, durch den Verweis auf die Schönheit und den Wert der „Kostümierung“, aber auch durch den Verweis auf ihre angeblich bis zur Zeit der barocken Gegenreformation zurückreichende Tradition das Problem zumindest mit Humor zu ironisieren. Immer gelang es mir nicht.
Damals ärgerte ich mich über die Verbohrtheit der Unbelehrbaren. Heute, nach einer bald 50-jährigen Erfahrung mit unserer heimischen Blasmusik, muss ich klein beigegeben und ganz nüchtern, aber auch mit einer gewissen Bitterkeit feststellen: Ja, die jungen Leute von damals hatten recht! Alle Versuche, unseren in farbenprächtiger Gewandung einherschreitenden Musikverein durch zeitgenössische Programme und neue Auftrittsformen in eine moderne, urbane und liberale Welt zu implementieren, waren vergeblich, ja geradezu kontraproduktiv. Denn durch das Bemühen, modern zu erscheinen, wurde lediglich die durch unsere Tracht nach außen hin demonstrierte im Grunde immer noch rurale Konservativität mit dem Flor der Fortschrittlichkeit geschmückt.
Wir können noch so viel zeitgenössische Bläsermusik von David Maslanka, Thomas Doss und gar von John Corigliano spielen, zuletzt stehen wir, auf jeden Fall in Österreich und im süddeutschen Raum, erst wieder vor einer Kirche oder dem Gemeindeamt und warten, bis sich der Pfarrer umgekleidet hat und gemeinsam mit dem Bürgermeister die Front abschreitet. Zuletzt musizieren wir erst wieder, wie unlängst in meiner Heimat Tirol, wenn die Schützen das Gedenken an das Ende des Ersten Weltkriegs begehen, ohne dass unter den wohltönenden Worten des ortsansässigen Bischofs und des Landeshauptmanns die von Karl Kraus in seinem Stück „Die letzten Tage der Menschheit“ auf alle Zeiten dokumentierte Mitschuld einer inkompetenten Politik und einer heuchlerischen Kirchenleitung ein Wort der Erwähnung gefunden hätte. Stattdessen wurde, von jeglicher geschichtlicher Bildung unbeleckt, zur Feier des Tages ein neues Bergkreuz eingeweiht.
Man kann es drehen und wenden wie man will: Die konservativen, in ländlichen Gebieten nach wie vor dominierenden Parteien haben es mit Erfolg und wohl strategisch weitblickend mit taktischem Kalkül geschafft, die sogenannte Volkskultur für sich zu vereinnahmen und zu einer diskreten, immerwährenden Werbeveranstaltung umzufunktionieren. Dabei geht es hier nicht einmal darum, gewisse politische und weltanschauliche Ansichten zu verteufeln und gar dafür zu plädieren, unser Musizieren zur Abwechslung von nun an in den Dienst linker Träume von einer kapitalismusfreien, klassenlosen Gesellschaft zu stellen. Es geht vielmehr darum, die verschiedenen Positionen und Marketingstrategien von Parteien in das Feld der Politik, wo sie hingehören, zurückzuverweisen.
Leider liegt es in der Natur der Sache, dass Musikvereine für ihre Probenarbeit teure Lokalitäten, für ihre Mitglieder teure Instrumente und natürlich auch historische Uniformen bzw. Trachten benötigen. Anstatt uns dies alles selbst zu bezahlen, was sich möglicherweise einige Mitglieder nicht leisten können, hat sich in vielen Ländern, besonders, wie schon gesagt, solchen, die von konservativen Parteien regiert werden, der Staat dazu bereit erklärt, auch zur Förderung des sozialen Lebens und des sozialen Friedens finanziell einzuspringen. Ja, auch dies ist ein sinnvolles Anliegen! Der innere Frieden, eines der höchsten Güter, über das eine Gemeinschaft verfügen kann, ist sicherlich auch zu einem Gutteil, wie ich an anderer Stelle bereits betonte, auf die gemeinschaftsbildende Kraft der Vereine, und hier insbesondere der Musikvereine zurückzuführen.
Die große Bereitschaft konservativer Parteien, sich ihr Wählerpotenzial am Land und in den Kleinstädten durch die durchaus verdienstvolle Förderung der Breitenkultur und hier insbesondere der Blasmusik geneigt zu stimmen, hat auf der anderen Seite, gleichsam als Preis dafür, dazu geführt, dass die Blasmusik zu sehr mit einer bestimmten weltanschaulichen Ausrichtung identifiziert wird. Dies jedoch hat zur Folge, dass Parteien, wie etwa die Grünen, die durch die Veränderungen des Wählerverhaltens neu in die Machtzentren vordringen und vor dem Hintergrund städtischer Subkulturen ihre Förderungsrichtlinien formulieren, die Leistungen des Blasmusikwesens, speziell ihre gemeinschaftsbildete Kraft, zu wenig würdigen.
Auf den Punkt gebracht: Für viele, urban sozialisierte potentielle Musikantinnen und Musikanten ist die Blasmusik durch ihre Trachten und Uniformen, aber auch durch ihre Auftritte vom Image her eine zu sehr dem Gestern verpflichtete Veranstaltung. Sie weisen die Idee, einem Musikverein beizutreten weniger aus musikalischen Gründen zurück. Schon viel eher, weil sie nicht die Absicht haben, sich durch den Zwang zu einer bestimmten Verkleidung, aber auch durch den Zwang, bei bestimmten Ritualen mitzumachen, ideologisch instrumentalisieren zu lassen.
Weiterführende Literatur: Elsbeth Wallnöfer, Tracht Macht Politik, Innsbruck-Wien 2020
erschienen in: Blasmusik, offizielle Fach- und Verbandszeitschrift des Bundes Deutscher Blasmusikverbände