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Literarische Korrespondenz:
Alois Schöpf an Norbert Hölzl
Betrifft:
Mit einem international zur Verhaftung
ausgeschriebenen Staatschef eines Mafiastaates
kann es keinen Frieden geben.

Lieber Norbert!

Ich habe Deine Stellungnahme zum Konflikt Russland-Ukraine nicht deshalb veröffentlicht, weil ich ihr zustimme, sondern weil du mit deiner Argumentation nicht alleine dastehst. Du repräsentierst vielmehr eine erstaunlich große Anzahl von Zeitgenossen, die, zumindest aus meiner Sicht, aufgrund narzisstischer Abgrenzungslust nicht nur in Sachen Corona- und Klimakrise die Mehrheitsmeinung prinzipiell bekämpfen, um sich zumindest mittels einer verqueren Friedensliebe über ihre Mitbürger zu erheben, nachdem selbiges durch die Globalisierung auf Basis international konkurrenzfähiger Leistungen kaum noch möglich ist.

Dass die Argumente dieser plötzlich neu erwachten Russland- und Putin-Versteher, zu denen offenbar auch du gehörst, in sich nicht schlüssig sind, werde ich im Folgenden nachzuweisen versuchen. Auch auf die Gefahr hin, dass mir trotz ehrlichen Bemühens, durch die Lektüre von Büchern und Zeitschriften wie etwa „lettre International” gut und korrekt informiert zu sein, Entscheidendes entgangen ist, das du und deine Gesinnungsgenossen mir offenbar an Wissen voraus haben.

1.
Womit ich schon einmal bei einer grundsätzlichen Fragwürdigkeit deiner Überlegungen angelangt bin, deine Argumente nämlich mit zahlreichen russlandfreundlichen Bemerkungen des zweifelsfrei hoch angesehenen Hugo Portisch zu untermauern, der jedoch am 1. April 2021 verstorben ist und den Überfall Russlands auf die Ukraine also nicht mehr miterlebt hat. Ein Überfall, der von den Vereinten Nationen inzwischen durch Resolutionen wie jene aus 2022 (Res. ES-11/1) und 2023 (Res. ES-11/6) mit überwältigender Mehrheit als Aggression verurteilt wurde, mit der Forderung nach Rückzug der russischen Truppen von ukrainischem Territorium in seinen international anerkannten Grenzen.

Glaubst du wirklich, dass Hugo Portisch, der allgemein auch aufgrund seiner Korrektheit als Person und Journalist hohe Wertschätzung erfuhr, diese Resolutionen der UNO einfach vom Tisch gewischt und aus Liebe zu Putin-Russland nicht zur Kenntnis genommen hätte? Ich bin zutiefst der Überzeugung, dass er das nicht getan hätte, weshalb ich deiner Orgie an Portisch-Zitaten keine argumentative Kraft zusprechen kann.

2.
Ich nehme an, dass du genauso weißt wie ich, dass das Überschreiten von roten Linien, das angeblich Putin-Russland zu seiner Aggression gezwungen hat und das sich immer wieder auf einen angeblichen abgeschlossenen, jedoch nicht existenten Vertrag bezieht, wonach die NATO nicht bis an die Grenzen Russlands erweitert werden dürfe, keine hinreichende Begründung für einen völkerrechtswidrigen Einmarsch in einen souveränen Staat sein kann. Dies gilt im Übrigen auch für die Tatsache, dass die Ukraine zweifelsfrei ein korrupter Staat war und immer noch ist und die russische Minderheit im Osten unter anderem dadurch unterdrückt wurde, dass russische Zeitungen zum Beispiel nur dann erscheinen durften, wenn sie zeitgleich eine Ausgabe in ukrainischer Sprache mitlieferten, was in etwa auf die Forderung hinausliefe, die deutschsprachige Tageszeitung „Dolomiten“ aus Südtirol müsste täglich eine italienische Ausgabe gleichen Inhalts publizieren.

Die Anspielung auf Südtirol mache ich im Übrigen bewusst, da es in gleicher Weise, in der Bruno Kreisky die Unterdrückung der Südtiroler durch den italienischen Postfaschismus vor die UNO brachte, für Russland als Großmacht ein Leichtes gewesen wäre, die Unterdrückung der russischen Minderheiten in der Ukraine international zu thematisieren und in der Art eines Südtirol-Pakets zu beenden.

Wobei du, lieber Norbert, im Hinblick auf die Beziehung zwischen Russland und der Ukraine vollkommen die Tatsache ausblendest, dass die Liquidierung des ukrainischen Bauernstandes von Moskau aus durch eine bewusst geplante Hungersnot herbeigeführt wurde, die mehr als 5 Millionen Menschen das Leben gekostet hat und heute unter dem Begriff Holodomor als Völkermord anerkannt ist. Diese Schandtat des untergegangenen kommunistischen und stalinistischen Sowjetreichs rechtfertigt zwar nicht einen extremistischen ukrainischen Nationalismus, macht ihn jedoch verständlich.

Nicht nur verständlich, sondern vollkommen legitim ist hingegen in diesem Zusammenhang der Wunsch der ukrainischen Bevölkerung, vom großen Bruder im Osten nichts mehr wissen zu wollen und sich lieber dem Westen mit seinem westlichen Lebensstil, seinen demokratischen Grundsätzen und vor allem der EU mit ihren von allgemeinem Wohlstand und Frieden geprägten Mitgliedsstaaten anzuschließen. Dieser Wille eines souveränen Volkes, das in gleicher Weise souverän mit großer Mehrheit seinen Präsidenten gewählt hat, ist durch noch so dick gezogene rote Linien nicht zu delegitimieren, was natürlich auch für den Mehrheitswillen der Ukrainer gilt, sich zum Schutz vor den Großmachtfantasien des Nachbarn der NATO anzuschließen.

3.
Vollkommen ausgeblendet ist in deinen Überlegungen auch, lieber Norbert, die Frage, mit was für einem System und mit welchen Führungspersönlichkeiten wir es im Zusammenhang mit Putin-Russland zu tun haben.

Wie rechtfertigst du die Verhandlungsbereitschaft mit einem Herrn, der seine politischen Gegner im Ausland vergiften und erschießen lässt, im Inland in Spezialgefängnisse verfrachtet, wo sie elendiglich zugrunde gehen, der jegliche freie Meinungsäußerung niederknüppelt, Oppositionelle unter fadenscheinigen Vorwänden einsperrt, kritische Journalisten auf offener Straße liquidiert, Massenvergewaltigungen und Massenhinrichtungen in der Ukraine als systematisches Terrorinstrument praktizieren und Kinder verschleppen lässt, um Gebiete zu entvölkern, zivile Einrichtungen bombardieren lässt, selbst einer der reichsten Männer der Welt ist und Kumpane hat, die sich Yachten leisten können, von denen eine einzige 600 Millionen € kostet, eine imperiale, schwimmende Residenz, die sich nicht einmal ein Donald Trump leisten kann.

Nie ist in deinen Überlegungen die Rede davon, dass das derzeitige Russland ein Mafia-Staat ist, dessen Ressourcen ausgeplündert werden, um einer korrupten Elite unsäglichen Reichtum zu bescheren und zugleich dem Volk jenen Wohlstand vorzuenthalten, der, wenn es Freiheit gäbe und die derzeitigen Herrscher endlich dort säßen, wo sie hingehören, nämlich im Gefängnis, jener Wohlstand aufgebaut werden könnte, der für die Bevölkerung sämtlicher Staaten im noch nicht befreiten Osten ein irritierender Sehnsuchtspunkt ist, der erklärt, weshalb sie alle in die EU drängen.

Bitte weise mir nach, dass alle diese Einwände auf Fake-News des amerikanischen Geheimdienstes bzw. der internationalen Rüstungsindustrie beruhen.

4.
Du und deinesgleichen sprechen immer wieder vom Frieden, der hergestellt werden müsse, erklären jedoch nie, wie die Friedensvorschläge eurer Freunde in Moskau genau aussehen. Ja, das habe ich schon verstanden: Putin und Konsorten möchten ihre völkerrechtswidrige Aggression und ihre Eroberungen legitimiert sehen und darüber hinaus die Ukraine dazu verpflichten, keinerlei militärisches Potenzial aufzubauen, damit, wenn sich erst einmal die größte internationale Empörung gelegt hat, nach der Krim und der Ostukraine ein weiteres Stück aus dem überfallenen und wehrlosen Staat herausgebrochen werden kann.

Dass diese Vorschläge doch verdächtig an unseren Landsmann Adolf Hitler erinnern, der nicht minder glücklich gewesen wäre, wenn man seine Eroberungen international toleriert, wenn nicht gar legitimiert hätte, liegt auf der Hand. Wie es zumindest auch aus meiner Sicht auf der Hand liegt, dass es mit diesem politisch Bösen, das derzeit in Moskau regiert, keinen Verhandlungsspielraum gibt, sondern lediglich die Möglichkeit besteht, es zu besiegen, was angesichts der atomaren Bedrohung, die von Russland ausgeht, militärisch kaum möglich sein wird.

Die bittere Realität wird vielmehr sein, dass auch im Sinne der russischen Bevölkerung auf das natürliche biologische Ende der korrupten russischen Eliten gewartet werden muss, ihre Aggressionen bis dahin mit militärischen Mitteln in Schach gehalten und ansonsten jegliche, wirklich jegliche Kommunikation mit ihnen verweigert werden muss, auch wenn dies wie in Korea Jahrzehnte lang währen sollte. Dass diese einzig realistische Lösung die Anerkennung einer Demarkationslinie enthält, welche die von Russland eroberten Gebiete dem Aggressor überlässt, um zumindest dem Rest der Ukraine die Mitgliedschaft bei der EU und der NATO zu ermöglichen, muss vor allem nach einem Amtsantritt von Donald Trump als mögliche Variante eines sogenannten Friedens ins Auge gefasst werden.

5.
Die Russen können sich nur selbst aus dem jahrhundertealten Sumpf ihrer ewigen Diktaturen befreien. Bis dahin wird der Westen sich vor ihnen zu schützen und abzuwarten haben. Und ganz offen und ehrlich all jene, die wie du, lieber Norbert, Aussagen zitieren wie jene angeblich Hugo Portisch zugeschriebene: Er sieht in Russland einen Nachbarn, der daran interessiert sein wird, Europas Westen nicht der amerikanischen Willkür auszuliefern. (SIC), höflich dazu aufzufordern, den Wohnort nach Moskau oder St. Petersburg zu verlegen, um dort die Welt der Nicht-Willkür zu genießen.

Einen dümmeren Satz wie den zitierten, habe ich im Zusammenhang mit dem Ukrainekonflikt noch selten gelesen. Und ich bekenne auch ganz offen, dass ich mich glücklich schätze, nunmehr seit 1945 unter der Willkür der Amerikaner bzw. der Diktatur der NATO, wenngleich Österreicher, leben zu dürfen. Denn die Tatsache, dass wir in Europa im Schutze der USA noch nie so ein goldenes Zeitalter des Wohlstands und des Friedens und der Sicherheit und der Freiheit erleben durften wie in den letzten Jahrzehnten, dürfte doch auch zu einem Osttiroler Buam wie dir durchgedrungen sein, der eine tolle Karriere machen durfte und sich nun einem unter Intellektuellen leider üblichen unreflektierten Antiamerikanismus hingibt, der möglicherweise deinen vielen Aufenthalten in Südamerika geschuldet, jedoch im Hinblick auf Europa vollkommen verfehlt ist.

Mit herzlichen Grüßen
Alois Schöpf

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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