Alois Schöpf
Die Tirolerei hat ausgedient
Essay

Innsbruck ist eine Universitätsstadt mit 34.000 Studenten. Die Klinik Innsbruck mit ihren Ärztinnen und Ärzten genießt einen ausgezeichneten Ruf. Tirol beheimatet zahlreiche innovative Firmen mit intelligenten Unternehmerinnen und Unternehmern, die intellektuell den Anforderungen eines globalen Marktes gewachsen sind. Dies trifft durchaus auch auf Teile des Tourismus zu, dem es vor allem im Winter gelang, aus unwirtlichen Geröllhalden im Hochgebirge ein großes Geschäft zu machen. Aus Tirol kommen aber auch bedeutende Künstler, Schriftsteller, Musiker und vor allem Maler und Bildhauer. Und es kommen, man staunt oft, aus dem Land Naturwissenschafter mit internationaler Reputation.

Feste aller Art

Mit all diesen Damen und Herren und den Zeitgenossen jenes städtischen Milieus, in dem sie meist leben und arbeiten, hat die Tiroler ÖVP die Wahlen noch nie gewonnen. Die wurden am Land und von denen am Land entschieden, wie Peter Plaikner kürzlich an dieser Stelle schieb (siehe „Günther Platter – der Stehauf-Landeshauptmann“, DER STANDARD, 6./7.2.2021).

Entsprechend wird dieser Klientel auch gehuldigt. Kein Schützenfest, kein Musikfest und kein Feuerwehrfest, bei dem nicht einer unserer Provinzpolitiker auftaucht, um nach der Feldmesse und nach der Begrüßung der Hohen Geistlichkeit die Frohbotschaft vom „Mia sein Mia!“ und „Bisch a Tiroler, bisch a Mensch…“ zu verkündigen, sich danach an einen der Tische zu setzen und unter Gleichen mit Gleichen in etwa die gleiche Menge Bier in sich hineinzuschütten.

Leider haben unsere gewählten Herrscher vor diesem Hintergrund nicht begriffen, dass die Corona-Pandemie und die Maßnahmen, sie zu bekämpfen, nichts mit einem Zeltfest zu tun haben. Dies gilt vor allem für einen Herrn Christoph Walser, Tiroler Wirtschaftskammerpräsident, der angeblich Landeshauptmann werden will und sich mit seinem Spruch „die werden uns noch kennenlernen“ ein Politikgenie wie Frau Klaudia Tanner, Verteidigungsministerin, zum Vorbild genommen hat. Es gilt aber auch für einen gewissen Herrn Erwin Zangerl, Tiroler AK-Präsident, der vor sich hin brummelte, man möge die Tiroler nicht wie Pestkranke behandeln. Und es gilt für einen gewissen Herrn Franz Hörl, Landesobmann des Tiroler Wirtschaftsbundes und Sprecher der Seilbahnlobby, der mit seiner Aufforderung, Wien möge in Richtung Tirol nicht rülpsen, das Gemeindeamt im hintersten Zillertal mit dem Staat Österreich verwechselt hat.


Höhere Ausformung

Entsprechend vergaßen die Genannten auch, dass der rassistische Glaube, man sei ein Tiroler und daher eine höhere Ausformung des Homo Sapiens, im Verkehr mit den Verantwortlichen der Republik, vor allem aber im Verkehr mit den europäischen Nachbarn als Kommunikationsbasis nicht ausreicht. Dazu würde schon eher ein gepflegter und diplomatischer Umgangston gehören, die Beherrschung der nur noch leicht vom Dialekt eingefärbten deutschen Sprache unter besonderer Berücksichtigung einer korrekten Grammatik, aber auch die Fähigkeit, auf Basis der seit den alten Griechen anerkannten Logik zu argumentieren und die von einem gewissen Andreas Hofer in Mode gebrachte grundsätzliche Widerständigkeit und Opferrolle nicht als Ersatz für naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu nehmen.

Inzwischen ist man es als urbanisierter Tiroler ja gewöhnt, erschrocken zurückzuzucken, wenn der ORF in einer seiner Diskussionen einen Landsmann oder eine Landsfrau als Diskussionsteilnehmerin oder -teilnehmer ankündigt. Die Peinlichkeit, wieder einmal Zeuge unreflektierter Tirolerei zu werden, ist abzusehen.

Ausdrücklich nicht, um doch mit etwas Positivem abzuschließen, gelten solche Ängste für einen Franz Fischler, den man in vielen Punkten durchaus kritisch sehen kann, was nichts daran ändert, dass er einer jener wenigen Tiroler Politiker ist, die mit wachem Verstand und Bildung bei gleichzeitig regionaler Einfärbung auch überregional in Erscheinung treten kann. Bleibt nur die Frage, weshalb man ausgerechnet ihm in Tirol die Rolle des ewigen Prominenten und gewesenen EU-Kommissars überließ, statt ihn damit zu beauftragen, eine Führungsposition im Lande einzunehmen und damit eine Selbstpräsentation, für die wir uns in den letzten Tagen nur noch schämen konnten, erst gar nicht aufkommen zu lassen.

Erschienen in:
„Der Standard“, Samstag 13.02.2021, Kommentar der anderen, ca. 800 Postings

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Günther Böck

    Alles richtig. Aber wie kann man dem „Ausland“ vermitteln, dass „wir Tiroler nicht so sind“?

  2. Amor Roland

    Wo er recht hat, hat er recht. Vergessen hat Schöpf die blamablen Aussagen verschiedener
    All-Tourismus-Wissender zum Thema „sanfter Tourismus“. Die Gäste kommen in erster Linie der Natur wegen nach Tirol und nicht wegen eines Chateaubriand mit Sauce Bearnaise oder beheizter Liftsessel.

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