Print Friendly, PDF & Email

Helmuth Schönauer bespricht:
"Wie ich ein schlechter Buddhist wurde"
von Werner Schandor.

Ein Jugendlicher sitzt an einem kleinen Flüsschen in der Oststeiermark und beobachtet die Sandbänke hinter einem Wehr. Je nach Großwetterlage bilden sich diverse Muster und Aufhäufungen. Wenn ein Unwetter lange genug vorbei ist, verschwinden sie wieder. Ähnliches geschieht mit Feuilletons im Literaturbetrieb: sie kommentieren die großen Geschehnisse, haben aber keinen Einfluss darauf.

Werner Schandor greift auf dieses Schottererlebnis zurück, wenn er in seinen Essays versucht, die Elemente Schreiben, Wirtschaften, Kunst und Vernunft auf die Reihe zu kriegen. Denn so wie sich Sandbänke nicht im Vorhinein gestalten lassen, muss auch die Kunst sich vor allem den Triebkräften der Gesellschaft stellen und sich von ihnen formen lassen.

Ein Schlüsselerlebnis des schreibenden Weltbeobachters ist der Akt seiner sogenannten Selbständigkeit, als sich der Autor als KMU (Klein- und Mittelständischer Unternehmer) von allen bisherigen Bildungseinrichtungen emanzipiert und eine Text-Agentur aufmacht. In der Folge muss sich sein Denken und Tun auch wirtschaftlichen Erfordernissen stellen, vieles hat plötzlich einen Preis und der Zusammenhang zwischen Lebensmittel und Schreibform zeigt sich jeden Tag in frischer Schärfe.

Die Sinnesorgane müssen in der Wirtschaftswelt anders gereizt und befriedigt werden als in der Welt der Künste. Das führt zu der schönen Szene, wonach ein erfolgreicher Wirtschaftsmann jedes mal in seiner Opernloge einschläft, sobald sich der Vorhang auf der Bühne gehoben hat. Etwas ähnliches stellt der Textunternehmer bei sich selbst fest, wenn er plötzlich keine Dichterlesungen mehr aushält. Alle Lesungen sind nämlich einschläfernd, wenn man tagsüber etwas anders getan hat als Dichter zu sein.

Statt Lesungen besucht der Erzähler sogenannte Persönlichkeitsseminare. Um mit der Welt des Verkaufens, Scheinens und Kohlemachens vertraut zu sein, müssen verschiedene Exerzitien gemacht werden. Zwischen einem Kurs über richtiges Teamverhalten, Sport als archaische Religion und Buddhismus im Schnellsiedekurs gibt es kaum einen Unterschied. Die Glossen laufen oft auf die Kunst des Wordings und Designs hinaus, die ganze Wirtschaftskammer ist voll von Trainings, die den Überlebenskampf ihrer Mitglieder im harten Kurs des Wachstums zum Inhalt haben.

Eine zweite Hauptrichtung der Essays kümmert sich um den Weltgeist, der ab und zu in Graz und Umgebung vorbeischaut. Ist Obama vielleicht ein neuer Apostel Paulus, was die Hoffnung betrifft, die er verströmt? Und was macht diese Hoffnung, wenn sie in die Steiermark geschleudert wird? (43)

In Richtung offene Welt stößt auch ein „Manifest für digitalen Humanismus“ (93), wobei versucht wird, dem globalen Diffusum des Daseins wenigstens ein paar Schimmer der Menschlichkeit entgegenzusetzen, wenn auch nur auf regionalem Niveau.

Die Hauptstadt Graz erfährt eine Würdigung mit einem Hauptkapitel. Einmal wird sie als sympathische Stadt geschildert, die zwar mit dem komischen Namen „Pensionopolis“ auf die Schaufel genommen wird, andererseits ist sie eine ideale Comunity zum Studieren, denn sie erwartet von den Zuzüglern des Um- und Hinterlandes geradezu, dass sie sich mit Verbesserungsvorschlägen einstellen. Und sie bietet allen die Möglichkeit, mit eigenen Ideen heimisch zu werden. (55)
Um diesen verrückten Ideen auch ein Sprachdepot zu bieten, wurde eine zeitlang die Aktion „Graz, genial crazy“ ausgerufen. Wenn man genug Distanz zu diesem Marketing hält, lässt es sich durchaus im Zustand des Augenzwinkerns damit leben.

Den Ausblick auf die aktuelle Gegenwart liefern die Polemiken zu sprachlichen Eigenheiten und Tabus. So ist plötzlich in der Werbung wieder das kleine Bild der Idylle gefragt, mit allen Putzigkeiten und Infantilismen, die damit einhergehen. (94) Während die Einheimischen in das Gehege der Idylle gepfercht werden, sucht man im Tourismus den sogenannten „Supersteirer“, bei dem man sich leicht verliest, und der dann zum Superstier mutiert. (102)

Das Gendern gefährdet jede Muttersprache, weil letztlich nichts mehr so ist, wie man es von Klein auf gelernt hat. Auch das Heimelige der eigenen Sprache geht verloren, wenn es mit unökonomischen Satzbögen ins Leere aufgeblasen werden muss. Ähnliches geschieht auch mit dem „pawlowschen Neger“ (171), der einfach als Reflex herausrutscht und mit noch so viel „gender brainwashing“ nicht mehr korrigiert werden kann.

Der Autor legt abschließend eine kleine Liste an, die ihn als Alten Sack ausweist. Mit Fügungen wie „koffee to go“ will das trotzige Alter nichts mehr zu tun haben, zumal der herangereifte Glossist auch keine Trinkflaschen mit sich herumführt, aus der er ständig nippelt. Er lässt auch gerne das Smartphone in der Ecke liegen, weil er ganz im Sinne der digitalen Pioniergeneration die meiste Zeit vor einem Standgerät sitzt.

Eine Lebensweisheit freilich hängt mit dem Buddhismus-Kurs zusammen, den er vor Jahrzehnten besucht hat. Es ist sinnlos, über Gott zu streiten! Und in Erinnerung bleibt letztlich nur die Meditationslehrerin, weil sie selbst nicht ganz an ihre Übungen geglaubt hat.

Man sollte sich ein paar Metaphern patentieren lassen, denkt der Autor, aber da ist er schon wieder ganz professionell und als Texter unterwegs.

Werner Schandor: Wie ich ein schlechter Buddhist wurde. Essays, Glossen & Polemiken. Graz: Keiper 2020. 199 Seiten. EUR 22,-. ISBN 978-3-903322-05-9.

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Schreibe einen Kommentar