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Helmuth Schönauer
Info-Cluster
Stichpunkt

Wie der Regional-ORF mittlerweile arbeitet, zeigt sich gut an den Info-Clustern, die allabendlich gesendet werden.

Früher einmal gab es zuerst ein Ereignis, und dann erst fuhren die Reporter und ihr Team hin, machten ein Interview zum Vorfall, und nach ein paar Stunden am Schneidetisch ging der Beitrag auf Sendung. Heutzutage fährt der Journalist allein in die Gegend und sucht sich mit seiner Handy-Kamera ein paar Themen zusammen, die er dann ungeschnitten fünf Tage lang senden wird.

In den letzten Tagen ist jemand offensichtlich auf der Durchreise nach Osttirol in Kitzbühel vorbeigekommen und hat einen Cluster produziert. Die Beiträge sind so allgemein gehalten, dass sie in jeder Sendung verwendet werden können. Die Bausteine einer solchen Journal-Reise decken alles ab, was Tirol so einmalig macht.

Am ersten Sende-Tag geht es um den Gemeinderatsbeschluss für eine Umfahrungsstraße, für die es aber noch keine Unterlagen, geschweige denn Grundstücke gibt. Botschaft: Zuerst musst du so ein Projekt beschließen, dann kannst du immer noch schauen, wie du es baust. Bei Argumentationskonflikten kannst du in Zukunft immer auf den Gemeinderatsbeschluss hinweisen. Was auch immer passiert: die Straße muss jetzt gebaut werden.

Am nächsten Tag ist eine Sequenz in einer Außenanlage eines Hotels zu sehen. Minutenlang darf man einer Frau beim Schwimmen zusehen, im Hintergrund ist die Hotelchefin zu hören, die sich unbändig auf neue Gäste freut. Während die Zuschauer Wetten abschließen, ob die Hotelstimme wohl auch ein Dirndl anhat, kommt der „Untersetzer“ (Namensinsert) in Brusthöhe ins Bild, und siehe: Sie hat ein Dirndl an!

Wie beim Märchen vom Suppenkaspar ist am dritten Tag ein Haubenkoch dran. Er rührt während seiner Message in diversen Töpfen herum, und anstatt etwas vor der Handy-Kamera abzuschmecken, sagt er: Uns fehlen Mitarbeiter und Innen, aber wir machen ein cooles Angebot mit vielen Benefits. Bei uns können die Leute nach dem Kochen mit einer Psychologin Yoga machen oder mit einem Coach mountainbiken.

Am vierten Tag kommt endlich der Leitbetrieb des Bezirkes ins Bild der handlichen Kamera. Auch hier spricht eine Dirndl-Frau von ihren Mitarbeiterinnen, aber sie strahlt über das ganze Gesicht. Dank der Pandemie hätten sie das Mitarbeiterhaus in Ruhe ausbauen können. Jetzt haben unsere Leute den gleichen Standard wie die Gäste!

Die Beiträge, eigentlich ist es ja nur einer, erwecken unbändige Lust, im nächstbesten Hotel als irgendwas anzuheuern und die ganze Saison durchzuarbeiten. Für diese Promotion muss man in einem privaten Sender anständig was hinlegen, der öffentlich Rechtliche macht das alles gratis, weil er es einfach Nachricht nennt.

Der fünfte Beitrag fehlt noch. Für alle Wetterlagen, bei denen Sonne oder Wolken zu erwarten sind, lässt sich ein Ausschnitt der Beiträge als Stock-Bild verwenden.

Die Leckerbissen sind abschließend noch eine Weile im Archiv nachzusehen. Und tatsächlich schauen immer wieder missgelaunte Menschen in die aufgeschlossene öffentlich-rechtliche Cloud, um sich die Stimmung etwas aufzuhellen, ehe sie dann doch zur Flasche greifen oder etwas rauchen.

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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