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Ronald Weinberger
Transformation
Eine Erbosung

Ich sitze ihr ganz nahe, beinahe gefährlich nahe und bin von ihm nicht allzu weit entfernt – und ärgere mich. Nun, ärgern ist vermutlich übertrieben; es ist eher ein Wundern, vermischt mit einem Grämen. Ein inneres Kopfschütteln, das nach außen drängt. Wie kann man bloß die derart bevorzugen? Ich korrigiere mich: Wie konnte man das bloß tun? Sie sieht doch wahrlich nicht besonders aus! Zu schmal, zu fahl. Außerdem: Man muss doch nur hinschauen, zusehen, wie sie es miteinander treiben, wie sie in ihn eindringt und er in sie. Was für ein schleichendes, zögerliches, mickriges, ja geradezu feiges Eindringen das ist. Eines, bei dem er doch offensichtlich die Oberhand behält. Er ist und bleibt der Dominierende, sieht man doch. Sah ich ja, noch vor wenigen Minuten. Und dennoch wird er schnöde eliminiert. Wird ausgelöscht. Verliert seine Identität. Ist ab dann nichtig. Eine Ungerechtigkeit!

Da zählt nicht, dass es sich eigentlich um einen – so erfährt man ja, nolens volens, – flotten Dreier handelt. Da gibt es immerhin nämlich noch einen, der mitmischt. Eine, um präzise zu sein. Einen weiblichen Kretin, verglichen mit ihr und besonders ihm. Strengt sich wohl mächtig an, ist behände, dringt einigermaßen tief in sie ein, verliert dann freilich – zu Recht! – seine, nein ihre, Existenz. Rasch, ja fast urplötzlich, geschieht das. Geht auf in ihr. Sie. Sehe sie ja, da drüben, den weiblichen Kretin. Sehe sie, mit Mühe und ohne Anteilnahme.

Er tut mir freilich leid. Irgendwie. Schon steigt er wieder hoch, mein Beinahe-Ärger, hier an einem Tischchen außen im Café, ganz nahe, in intimer Nähe zu ihr, ihr beinahe gefährlich nahe. Weil es doch erst wenige Minuten her ist, dass ich Vergleiche ziehen konnte. Wie sollte man da nicht, wenngleich, um nicht den Unmut des Kaffees und sonstiges Zeugs schlürfenden, zahlreich vorhandenen Volks zu belästigen, in’s innerliche Räsonieren kommen?

Ehrlich gesagt, eine Frechheit. Wer hatte da Schuld? Na ja, die Schuldigen sind klarerweise nicht mehr auszumachen, denke ich. Sind sicherlich schon vor langer, außerordentlich langer Zeit in die ewigen Jagdgründe eingegangen. Aber weshalb hat man das nicht korrigiert, später? Wie, Du glaubst mir nicht? Am liebsten würde ich Dich ein Stückchen hinaufziehen, die paar Dutzend Höhenmeter, da hin zum Durchgang im alten Gemäuer, wo Du ihn rechts und sie links erblicken kannst und vielleicht auch noch – jetzt ist es mir tatsächlich entfallen, ob dies von dort möglich ist – auch noch ihren Kretin sehen kannst. Er, stattlich, breit, stark, sie … Aber das erwähnte ich ja bereits. Noch dazu von „Bläue“ keine Spur.

„Blaue“ Donau! Dass ich nicht lache. Passau, die Dreiflüsse-Stadt! Dass ich nicht nochmals lache! Die Ilz, ein Miniflüsschen, die Donau, ein zugegeben in ein enges Betonkorsett eingeschnürtes Strömchen, aber dann der Inn – unser Inn! – ein Prachtexemplar an Fluss, beinahe schon ein Strom, den die Passauer (oder wer immer es gewesen sein mag) degradiert, nein, eliminiert haben, ausgelöscht, ausgemerzt, ab nun, für immer und ewig … Eine Schande, ein Vergehen, ein Verbrechen! Unseren Inn! Also, wundert Ihr Euch noch immer, dass mich der Ärger, wenn ich hier, in Gedanken, im Café am Passauer Donaurand sitze, durchströmt, durchilzt, durchdonaut, durchinnt von Gram? In Gedanken, sagte ich doch eben. Ich muss ja nicht in Wirklichkeit dort hocken, sitze ja gar nicht dort, bin ja zuhause, vor dem Laptop, in Tirol.

Der liebe Inn, hier häufig genug noch grün, fließt, ja strömt, in nur wenigen hundert Metern Entfernung vorbei und würde sich – da ginge ich jede Wette ein – herzhaft über mein Eintreten für ihn freuen, wenn er es bloß vermöchte. So bleibt ihm nur, dem Inn, den Passauern seine Rache dadurch zu zeigen, dass er sie ab und zu mit mächtigen Wassermassen beschickt und – aber nun werde ich schon versöhnlich, das wollen wir diesen Inn-zu-Grabe-Tragenden dann doch wieder keinesfalls wünschen – sonst diese wunderschöne Stadt weiterhin veredelt, ja verziert. So, genug des Ärgerns, ich hatte ein Ventil, meine Erbosung ist vorbei. Und dieses Geschichtlein ebenso.

Ronald Weinberger

Ronald Weinberger, Astronom und Schriftsteller, 1948 im oberösterreichischen Bad Schallerbach geboren, war von 1973 bis 1976 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Von 1977 bis zum Pensionsantritt im Dezember 2011 war Weinberger an der Universität Innsbruck am Institut für Astronomie (heute Institut für Astro- und Teilchenphysik) als Fachastronom tätig. Als Schriftsteller verfasst Weinberger humorvolle Kurzgedichte und Aphorismen, aber auch mehrere Sachbücher hat er in seinem literarischen Gepäck: Seine beiden letzten Bücher erschienen 2022 im Verlag Hannes Hofinger, im Februar das mit schrägem Humor punktende Werk "Irrlichternde Gedichte" und im September das Sachbuch „Die Astronomie und der liebe Gott“ mit dem ironischen, aber womöglich zutreffenden, Untertitel „Sündige Gedanken eines vormaligen Naturwissenschaftlers“.

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