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Anton Adlers Notizen aus der Provinz
„Wenn Rom Dich allzu sehr erregt – dann gehe einen Sonderweg!“

So lautet die Devise an Eisack, Etsch und Rienz in Sachen Corona-Bekämpfung. Im Land, das bekannter Weise die einzige wirklich autonome Autonomie der Welt genießt (wenn, ja! – wenn Rom nicht wäre…), war den Entscheidungs-, Verantwortungs- und Aktenträgern mit weinbergwegmedialer Kanonenrückendeckung von vorneherein klar: Rom vergeigt die Pandemiebekämpfung sowieso.

Aber: Was Rom kann, können wir auch. Und das auch noch viel besser!
Und so kam es, dass der wackere Landeshauptmann Kompatscher im Mai 2020 vor seine LandsleutInnen hintrat und den „Südtiroler Sonderweg“ verkündete, den der Landtag mit einem eigenen Landesgesetz beschlossen hatte. Das war seither das letzte Mal, dass der löbliche Landtag in Sachen Corona institutionell zur Senfspende gerufen ward – dann zog sich die Entscheider-Clique in die Nebelschwaden des umfassend besonderen Sonderweges zurück.

Nachdem ab nun alles besonders war, kam es zu einer ganzen Reihe von Sondervorschlägen in Sondergremien mit besonders engagierten Wirtschaftsverbänden, die ihren schon vorher schwellenfreien Sonderweg in die Sonderpolitik besonders emsig nutzten. Der besondere Sommer tat seines dazu und es schaute nach einem zartblauen Auge aus, das das hinterfotzige Viruslein den emsigen Eurozählern auf dem Südbalkon der Alpen zugefügt hatte.

Der Herbst nahte und damit wurde wieder allen klar: Das Wohl und Wehe der leidgeprüften Bergwirtschaft hängt in der Watt- und Wedelrepublik sowie im nördlich angrenzenden Bruderlandl an der gedeihlichen Entwicklung der Gebirgsbeförderungsanlagenindustrie mit dem angeschlossenen Abfüllgewerbe und so freute man sich in Südtirol auf den Sonderskiweg, der sich mit überreichem Schneefall rekordverdächtig ankündigte.

Der Theaterdonner grollte schon aus dem Tagblatt der Tagblätter so wie das Schneekanonendröhnen aus der Höh‘. Und die Experten, die den Aufenthalt auf teuer bezahltem Schneeuntergrund als DAS Mittel der Wahl bei Virenabwehr und Sonderweg feierten, häuften sich auf allen Kanälen, als der erste Sonder-Sonderweg im Sonderweg eingeschlagen wurde: Eine Liftgesellschaft aus einem geschäftstüchtigen Seitental im Dolomitenherz kündigte an, aus Verantwortungsbewusstsein die Skianlagen in dieser Saison nicht in Betrieb nehmen zu wollen.

Dieses Verantwortungsbewusstsein galt wohl hauptsächlich gegenüber den eigenen Stakeholdern, wie man die Leute heutzutage bezeichnet, die mehr zurückhaben wollen, als sie eingesetzt haben. Und es erwies sich, dass den liftnichtbetreibenden Unternehmens-Asketen das Hemd näher war als der Rock des provinziellen Sonderweges. Offene Anlagen, so dämmerte es auch den hartnäckigsten Öffnungsfetischisten, seien offene Anlagen und würden daher von der Hauptkasse in Rom als Sonderweg wahrgenommen, was nichts weniger bedeutet hätte, als dass es bei zu erwartender grenzwertig geringer Skifahrnachfrage keine Ausfallkompensationen aus römischen Töpfen gegeben hätte.

Aus war’s mit dem Sonderweg, kleinlaut wurde verkündet, dass die Anlagen bis auf weiteres zubleiben müssten. Natürlich aus Verantwortungsbewusstsein!

Nachdem der Sonderweg so dahinplätscherte und nur mehr schwer als solcher zu erkennen war, tat sich eine historische Gelegenheit auf: Der stets wohlwollende – weil auf die Stimmen der SVP angewiesene – Ministerpräsident Conte wurde von einem ehemaligen Kollegen politisch gemeuchelt. Nachdem so ein römisch-politischer Meuchelmord zwei-drei Wochen dauern kann und man es schon erlebt hatte, dass der Gemeuchelte wiederaufstanden war, wollte in Rom niemand viel Energie darauf verschwenden, die möglicherweise entscheidenden Parlamentsstimmen der aufmüpfigen Provinz am nördlichen Rand auf’s Spiel zu setzen und so konnte der zum Überlebensmoment hochgezeterte Saisonschlussverkauf für den Einzelhandel um eine Woche verlängert werden, während der restliche Stiefel strengen Lockdown praktizierte.

Der Sonderweg war kraftvoll, mutig und verdienstvoll beschritten worden und wieder kam der Eindruck auf, es ginge mit einem blassblauen Auge aus. Genau in diesem wackeren Autonomiekampf kamen blöde Zahlen auf den Tisch: Die Wocheninzidenz der COVID-Infektionen in Südtirol näherte sich der Quote 800 und überschritt den Lockdown-Schwellenwert damit annähernd um das Sechzehnfache: Südtirol war international anerkannt auf den Sonderweg geraten und hatte wieder einmal (fast) einen Weltrekord geschafft!

Seitdem ist das an das weltweit Beachtung findende Tiroler Mutationsgebiet angrenzende Sonderwegland sonderwegbedingt wer weiß wie lange zu, während man im restlichen Staatsgebiet drangeht, vorsichtig zu öffnen.

Anton Adler, dzt. Pub “Le Royaume Uni”, Sansibar

Anton Adler

Anton Adler wurde Anfang der Sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts als einziger Sohn einer Kaufmannsfamilie in Brixen geboren und absolvierte dort die ortsbekannte katholische Krämerseelen-Initiation inklusive Knabenseminar und Ministriermarathon. Nachdem seine Eltern bei einem Beichtunfall ums Leben gekommen waren, als Anton gerade einundzwanzig Jahre alt geworden war, verkaufte er den elterlichen Besitz bis auf die überraschenderweise im Giftschrank seines Vaters aufgetauchte Tucholsky-Gesamtausgabe. Dann wandte er sich dem noch nicht abgeschlossenen Studium der gepflegten Freizeitgestaltung zu, verbringt immer wieder einmal ein paar Monate in Südtirol und reist mindestens das halbe Jahr in der Welt herum. Technischen Herausforderungen zugeneigt und immer auf dem neuesten Stand der Kommunikationsmöglichkeiten, ließ er sich in Tadschikistan zum Geheimdienstler ausbilden und unterhält mittlerweile ein dichtes Netz an InformantInnen, die ihm aus dem Kerntiroler Erbfürstentum an Eisack, Etsch und Rienz den Rohstoff für seine Schreibübungen liefern.

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