Alois Schöpf
Statusverbesserung durch Moral
Über das neue Buch von Philipp Hübl
“Moralspektakel”
Notizen

Seit Thilo Sarrazins Buch aus dem Jahre 2010 Deutschland schafft sich ab hat niemand mehr dem linksliberalen Zeitgeistspießer deutschsprachiger Provenienz so die Leviten gelesen wie der Philosoph und Publizist Philipp Hübl in seinem, im Siedler Verlag soeben erschienenen Buch Moralspektakel: Wie die richtige Haltung zum Statussymbol wurde und warum das die Welt nicht besser macht.

Dass Hübl diesmal auf Personenschutz ebenso wird verzichten können wie auf üble Nachrede, deren hinterhältigste die Empfehlung der damaligen Bundes- und inzwischen als Katastrophenkanzlerin enttarnten Angela Merkel war, Sarrazins Überlegungen seien nicht hilfreich, ist wohl dem Umstand zu verdanken, dass die Argumente des Gutmenschentums von Fragen der Migration bis hin zur Verstümmelung der deutschen Sprache mittels Gendern nicht nur weitgehend widerlegt, sondern sogar Gegenstand kabarettistischer Verhöhnung wurden.

Philipp Hübl | Moralspektakel

Es bedarf großen Fleißes, eines überragenden Talents und einer gehörigen Portion Glück, um in der globalisierten Welt von heute durch seine Karriere eine durch die Erziehung narzisstisch überhöhte Selbsteinschätzung bestätigt zu bekommen. Vor dem Hintergrund einer solchen Herausforderung, die dem übermäßig akademisierten Durchschnittsbürger, der als Bodenpersonal die Republik am Laufen hält, nicht abverlangt werden kann, ermöglicht die Moral bei gleichzeitig geschmiertem Mundwerk die Chance, sich abseits ökonomischen und kulturellen Kapitals durch moralisches Kapital über seine Zeitgenossen zu erheben.

Diese Möglichkeit wurde denn auch in den letzten 14 Jahren mit großer Begeisterung genützt und nunmehr durch reale Krisen in einen chronischen Erklärungsnotstand gedrängt. Dadurch wiederum wurde es notwendig, in der Öffentlichkeit leiser zu treten und das linksliberale Weltbild mehr durch die Privatheit des meist ohnehin vom Ruhestand gekennzeichneten ideologischen Schrebergartens gegen die böse, angeblich dem Rechtsradikalismus zum Opfer fallende Außenwelt abzuschirmen.

Solch neobiedermeierlicher Rückzug wird durch die leichte Bedienbarkeit und in weiten Bereichen durch die Anonymität der sozialen Medien erleichtert, führt jedoch gerade dadurch, so Hübls These, zu noch mehr Populismus, Symbolpolitik, stillschweigend geduldeter verzerrter Forschung, Anlassgesetzgebung und wirkungslosen Maßnahmen gegen reale Diskriminierungen.

Dass in diesem Spiel der Statusverbesserung durch die Instrumentalisierung der Moral ausgerechnet die Universitäten ein besonders blamable Rolle spielen, resultiert zum einen aus der Tatsache, dass staatlich Bedienstete, wenngleich bestens honoriert, bei der Bildung ökonomischen Kapitals stark eingeengt bleiben. Zum anderen gehört kulturelles Kapital, in den Geisteswissenschaften etwa, ohnehin zur zumindest behaupteten Grundausstattung professoraler Kompetenz, sodass ein zusätzlicher Distinktionsgewinn daraus vernachlässigbar ist. In der Forschung wiederum fehlt es auf vielen Fachgebieten längst an relevanten Themen, auf denen eine Karriere aufzubauen wäre bzw., sofern es an solchen Themen nicht mangelt, bleiben neben dem verschulten Lehrbetrieb der Massenuniversitäten kaum genug Zeit und Energie übrig, neue Erkenntnisse zu präsentieren, deren Qualität die vereinigte Intrigantenschaft der Kolleginnen und Kollegen zum Schweigen bringen könnte.

Alle diese Probleme löst das Moralspektakel, das es dem säkularen Bußprediger möglich macht, sich in die Robe des Richters zu werfen und sich über jene, die in der sozialen Hierarchie unter ihm zu stehen haben, moralisch zu erheben.

Mitglieder der moralischen Elite sind im Mittel sehr offen gegenüber der Aufnahme von Migranten, auch gegenüber denen, die nicht als Schutzsuchende, sondern aus wirtschaftlichen Gründen nach Europa kommen, schicken dann aber ihren Nachwuchs nicht zusammen mit Flüchtlingskindern auf unterfinanzierte Brennpunktschulen, sondern auf Gymnasien in bürgerlichen Wohnvierteln. Und sie müssen auch keine Sorge haben, dass Flüchtlinge ihnen am Arbeits- oder Wohnungsmarkt Konkurrenz machen.

Sie befürworten die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland, sind aber als Stadtbewohner nie unmittelbar mit ihrem Verhalten konfrontiert wie Schäfer, Bauern oder Jäger auf dem Lande, wo die Rudel umherstreifen. Sie beziehen Ökostrom, blicken aber nicht auf große graue Windräder, wenn sie aus ihren Wohnzimmern schauen. Und gerade Akademiker geben sich tolerant, indem sie „Body Positivity“ unterstützen, also auch stark übergewichtige Figuren als schön bezeichnen, setzen aber alles dran, selbst schlank und sportlich zu sein, stellen diese Ansprüche auch an ihre Sexualpartner und müssen so nicht mit negativen Folgen rechnen, etwa mit Einbußen ihrer Attraktivität oder mit Knieschäden, Diabetes oder einer verkürzten Lebenserwartung durch Übergewicht.
Philipp Hübl: Moralspektakel, Seite 214

Wer schoepfblog von Beginn an mitverfolgt hat, wird wahrscheinlich wie Philipp Hübl ganz im Sinne der klassischen Europäischen Aufklärung von jenem Magengrimmen geplagt, das sich einstellt, wenn Lüge und Moral sich vereinigen, ob dies nun vor 300 Jahren von den Kanzeln der Kirchen herab geschah oder heute aus den Fernsehapparaten heraus geschieht, wenn die Pressekonferenzen von Politikern übertragen werden und die von den meist staatlichen Fernsehanstalten besonders geliebten, geschmeidigen Kommentatoren und Kommentatorinnen dazu ihre süffisanten Kommentare abgeben. Zumindest ein Viertel aller, inzwischen ca. 2000 verschiedenen Artikel des schoepfblog beschäftigt sich nämlich ganz im Sinne Hübls mit dem Widerspruch zwischen den hohen Tönen moralischen Geschwätzes und den meist eigennützigen, auf Profilierung versessenen wahren Ambitionen derer, die predigen.

Dabei besteht naturgemäß immer die Gefahr, als Prediger gegen die Prediger selbst dem Missbrauch der Moral zu erliegen. Auch zum Zwecke solch reinigender Selbstanalyse ist Philipp Hübls Moralspektakel als Pflichtlektüre dringend zu empfehlen.

Philipp Hübl: Moralspektakel. Wie die richtige Haltung zum Statussymbol wurde und warum das die Welt nicht besser macht. Siedler Verlag 2024. 336 Seiten. 26,80 €


Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Schreibe einen Kommentar