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Helmuth Schönauer
Bitcoin-Bunker
Short Story

„Zurück, zurück! Verlassen Sie sofort die Stichgasse!“ Eine Polizistin und ein Polizist lösen sich im Streifenwagen ab, um die Nachricht gegendert an ein paar Flaneure und Stehpassanten zu übermitteln, die widerwillig aus der Nagillergasse abgedrängt werden. Der Streifenwagen ist geschlechtlich ausgewogen besetzt in der Hoffnung, dass Polizistinnen die Frauen ansprechen und Polizisten die Männer. Die Diversen schauen durch die Finger, wenn ihnen die Staatsgewalt etwas sagen will. Um diese Zeit freilich sind nur Männer auf der Straße, weil Frauen sich blöd vorkommen, an einem Wintervormittag in einer Sackgasse zu stehen und einem Bagger zuzusehen, wie er ein Loch gräbt. Wegen dieses Lochs freilich sind ein paar Rentner zu Gange, die es sich nicht nehmen lassen, zum Abriss einer alten Villa zu klatschen, weil an der Stelle ein Spekulationskasten errichtet wird.

Es sind lang eingesessene Gassenbewohner, die sich ins Schauen versenken. Einen autochtonen Einheimischen erkennst du sofort, weil er zuerst in den Keller schaut, ehe er sich den Bewohnern zuwendet, um diese zu begrüßen, mit ihnen etwas zu trinken oder diversen Smalltalk hin und her zu schieben. Seit der sogenannten Fritzl-Affäre, als ein besonders inniger Häuslbauer über Jahre seine Tochter in einem Bunker gehalten und sexuell missbraucht hat, gilt der Keller als der geheimnisvollste Ort, den ein Haus zu bieten hat. Das gilt auch für ganze Stadtteile, in denen die kollektiven Luftschutzbunker der Nazis obsolet geworden und zu Museen umgestaltet worden sind. Mittlerweile leistet sich jeder Österreicher, der etwas auf sich hält, einen kleinen Keller. Diese unterirdischen Gemächer sind das Aufmarschgebiet für die Ideologien des kleinen Mannes, sagen die Forscher, bei denen kaum Empirie, wohl aber eine Ladung Neid im Spiel ist.

Wer ein bisschen in seiner Kindheit kramt, wird merken, dass in den Fünfzigern das Kellerschauen eine geschätzte Sonntagsbeschäftigung war. Vorerst genügte es, den Keller an sich anzuschauen, später war es dann die Ölheizung, die die Bevölkerung in die Keller trieb. Oft wurde auch im Sommer der Ölbrenner gestartet, um den wohligen Sound zu genießen, mit dem im Winter die Zubereitung von Wärme akustisch angezeigt wird.

Die Gestaltung des Kellers gibt in Österreich korrekte Auskunft über den Wohlstand der Bevölkerung. Einem Finnen freilich würde das Würgen unter den Achseln kommen, wenn er sähe, wie sich die Österreicher in der Kellersauna wälzen.
Nach dem Saunaboom war die sogenannte Indoor-Plantage ein Muss. Jeder, der etwas von Gras verstand, züchtete es autark im eigenen Keller. Der neueste Schrei sind übrigens Bitcoin-Bunker, worin völlig unabhängig von Netzwerken und Hacker-Einfallstoren auf abgekapselten Servern Unmengen von Bitcoins hergestellt werden. Diese Keller sind derart krisensicher, dass sich manche Anleger nur den Keller kaufen und zwecks Tarnung ein Haus darüber stellen. Merke, bei all diesen unbewohnten Spekulationsgebäuden geht es immer nur um den Bunker, in dem eine unsterbliche Währung erzeugt wird.

Allmählich beginnen sich die verjagten Rentner und Stehflaneure zu fragen, warum sie aus der Nagillergasse fortmüssen? Schließlich wollen sie wieder ins Loch schauen. Inzwischen ist eine Armada von Einsatzwägen vorgefahren, Gerüchte sind im Umlauf, die mehr als zweideutig sind. Und dann, zwischen zwei Blaulichtern, sind sie erkennbar, die befreiten Menschen! Hat doch tatsächlich  einer seine Familie in Fritzlmanier in den Untergrund geschickt! Die Rentner schwärmen zwischen Bewunderung und Scham, dass ihnen vor der Haustüre so etwas entgangen ist.

Später stellt sich heraus, dass das ganze einen Migrationshintergrund hat. Aber das interessiert keinen mehr, und außerdem kann man alles nur falsch machen, wenn man in einer Kurzgeschichte Wörter aus der Migrationsszene verwendet.
Die Rentner beenden ihren Spaziergang, während sich die Einsatzkräfte zurückziehen. Für einen gewöhnlichen Wintervormittag am Rande der Stadt ist erstaunlich viel passiert.

Mit großer Zufriedenheit beendet der Autor dieser aufregenden Kurzgeschichte seinen Tipp-Akt. Als pensionierter Bibliothekar ist er nicht mehr so behände wie früher, als es noch die alte Rechtschreibung gegeben hat. Aber mit seinen Kindern ist ausgemacht, dass er einmal im Monat eine Geschichte abliefern muss, damit sie sehen, ob sie ihn schon ins Altersheim einweisen müssen. Neulich sagen sie „Impfe“ zum Altersheim, weil dort alle geimpft werden, noch bevor sie ihren Namen sagen können.

Der Bibliothekar verspricht, sich zu Hause impfen zu lassen, freiwillig und bei Sinnen, wenn sie ihm die Kurzgeschichte durchwinken.

Beim Hinausgehen ins Mullhaus ist er erstaunt, dass der Hausmeister in regelmäßigen Abständen Bananenschalen auslegt. Das ist eine ökologische Methode, um die ziemlich veralzheimerten Leute im Haus zu mehr Trittsicherheit zu zwingen. Anstatt im Öko-Frevel zu salzen, legt er Bananen aus. Das erinnert die Leute an Rutschgefahr und sie gehen frech und dennoch vorsichtig ihres Weges. Vor allem der infantile Aspekt erfreut die Alten, wird ihnen doch durch die Blume gesagt, dass sie zwar deppert, aber nett wie Kinder sind.

Eine ähnliche Methode wird inzwischen auch bei der Brandbekämpfung angewendet. Anstatt wie früher die brennende Ölpfanne auf den Sims zu stellen und um Hilfe zu rufen, reißen die Oldies  die schreienden Rauchmelder von der Decke und platzieren sie vor dem Fenster, sodass verlässlich Hilfe kommt.
Auch die Regierung verwöhnt übrigens die Alten, indem sie ihnen fetzteure FFP-2-Masken zu schicken verspricht. Jeden Tag wird der Postler abgepasst, ob er nicht die Masken dabei hat. Aber er winkt jedes mal ab, wenn er sich vom Öko-Rad schwingt, nachdem er den Parcours zwischen den Bananenschalen dienstlich einwandfrei gemeistert hat. Es ist egal, was er jetzt sagt, die Enttäuschung bei den Alten ist so groß wie eine ganze Kindheit.

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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