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Diethard Sanders
Management mit Wünschen
Über die Selbstachtung von Naturwissenschaftlern
Essay

Das Management wünscht sich etwas, ist aber außerstande, die nötigen Rahmenbedingungen zur Erfüllung dieses Wunschs zu schaffen. Also gibt es den Wunsch möglichst als Befehl verklausuliert nach unten oder – wie im vorliegenden Fall –  an zumindest Gleichberechtigte weiter, die dann gemäß dem allgemeinen Obedienz-Gesetz unter gesteigerter Absonderung von Stress-Zeichen danach trachten, allem gerecht zu werden.


1. April 2023

Was nun folgt, ist kein Aprilscherz. Heute Samstag habe ich die Anfrage eines großen Wissenschaftsverlages, der seinen ursprünglichen Sitz in Amsterdam hat, längst aber auf der ganzen Welt operiert, hereinbekommen, ob ich Zeit hätte, einen Fachartikel zu begutachten. Die Zusammenfassung des Artikels war beigefügt. Es klang interessant. Dann aber die Anforderung, das Gutachten binnen 48 Stunden fertigzustellen.

Achtundvierzig Stunden! Wenn man in dieser Zeit einen Fachartikel halbwegs gründlich und vor allem gerecht begutachten will, sollte man sofort jegliche andere Tätigkeit unterbrechen und vom Pizza-Lieferdienst leben. Können die sich vorstellen, dass ich vielleicht auch noch andere Sachen zu tun habe? Wenn es eine Woche Begutachtungsfrist gewesen wäre, dann gerne, das ist halbwegs realistisch – aber 48 Stunden?

Also drückte ich das Knöpfchen, dass ich die Begutachtung nicht annehmen werde. Eigentlich schade.

Und wie es der Zufall wollte, habe ich genau heute am 1. April auch die Begutachtungen eines eigenen Fachaufsatzes (mit Ko-Autoren) hereinbekommen, den ich beim gleichen Wissenschaftsverlag eingereicht hatte. Dabei zeigte sich, dass der Verlag anscheinend mit dem Jahreswechsel 22/23 auf die Schnapsidee verfallen ist, auch für major revisions (große Überarbeitung eines Artikels) eine Frist von 3, in Worten: drei Wochen zu setzen.

Wer weiss, was zumindest in den Erdwissenschaften eine major revision bedeutet, der kann über solchen Wahnwitz (Optimismus ist hier nicht mehr das richtige Wort) nur noch lachen. Wenn man – so wie auch ich – als betagter Professor mit aktivem Dienstverhältnis noch die Frechheit besitzt, gelegentlich ein Manuskript als Erstautor zu verfassen und einzureichen, dann weiß man schlicht und einfach, dass drei Wochen für diese Art der Überarbeitung vollkommen illusorisch sind!

Sind wir denn jetzt endgültig in Schilda!? Sogar für einen post-doc, der nichts anderes zu tun hat, als sich seiner Forschung respektive deren Publikation zu widmen, sind drei Wochen für eine major revision extrem knapp, die – je nach Erfordernissen der Revision – in vielen Fällen schlichtweg nicht zu schaffen sein wird.

Natürlich kann man auch nach Ablauf der drei Wochen eine Wieder-Einreichfrist beantragen, aber dann gilt das Manuskript als eine völlig neue Einreichung, die das ganze Begutachtungs-Procedere wieder von vorne durchläuft. Es wird also gewissermaßen die Uhr von Seiten des Verlages einseitig auf Null zurückgestellt.

Und genau darum geht es. Es geht nicht mehr um die Autoren, es geht um den Verlag. Denn wenn dieses Drei-Wochen Spielchen von den Editoren konsequent durchgespielt wird, erscheint schließlich auf der Titelseite des Aufsatzes ein viel kürzerer Zeitraum zwischen Ersteinreichung und Imprimatur (dies wird auf der Titelseite jedes Artikels vermerkt). Das macht sich dann sehr gut in der Eigenwerbung und der Eigenstatistik des Verlags und seiner Journale, die dann auf ihren jeweiligen homepages sagen können Im Schnitt drei Monate von Einreichung bis Annahme.

Dass diese tolle Statistik auf Druck beruht, der von den Editoren an die Autoren weitergegeben wird, sieht man dabei nicht. Es handelt sich also um ein geradezu klassisches Beispiel modernen Optimierungs-Managements. Man wünscht sich im Management etwas, und dieser Wunsch wird dadurch realisiert, indem man die Anforderungen und den Druck, der aus diesem Wunsch entsteht, einfach an die Nachgeordneten weiterleitet.

Die ebenso paradigmatische wie abschließende Phrase dieser Form von Miss-Management, seit inzwischen etwa 30 Jahren im Gebrauch, lautet: Das geht dann schon!

Dabei ist am Rande festzustellen, dass es sich bei den Autoren nicht um abhängige Mitarbeiter handelt, sondern um die eigentlichen Kunden, von denen der Verlag lebt. Wenn also kein Autor mehr gewillt wäre, sein Manuskript in einem solchen Kasperletheater an Realitätsverlust zerschleißen zu lassen, dann können die ihren Laden zusperren.

Die Situation ist ähnlich der: Ein Kunde betritt ein Geschäft, wird aber sogleich vom Verkäufer angeblafft, dass er rausgeworfen wird, wenn er nicht binnen zehn Minuten etwas kauft. Worauf der Kunde, sofern er über ein klein wenig Selbstachtung verfügt, den Laden grußlos verlässt.

Aber damit sind wir bei einem wunden Punkt angelangt, nämlich der Selbstachtung von Naturwissenschaftlern. Um es kurz zu machen: zumindest, soweit ich diese Sippe kenne, definiert der jeweils Einzelne oder die Einzelne seine oder ihre Selbstachtung fast ausschließlich über den impact factor der Journale, in denen publiziert wird.

Also nimmt man für Publikationen in diesen Journalen fast alles in Kauf. Ungehorsam oder gar offener Widerstand würde etwas voraussetzen, das ich bei Naturwissenschaftlern (wieder: soweit ich sie kennengelernt habe) nicht festgestellt habe, nämlich eine corporate identity.

Zu sehr sind wir alle seit Beginn unserer Karriere auf Einzelkämpfertum trainiert, um uns bei Bedarf als eigenständige Gruppe zu verstehen und dementsprechend zu agieren. Daher verbleibt für mich wohl nur der einsame Entschluss: Ich werde nichts mehr bei diesem Amsterdam-basierten Verlag einreichen, denn – dem derzeit noch freien Markt sei Dank – es gibt noch viele andere. Und bis auch die anderen Verlage alle durchgeknallt sind, bin ich im Ruhestand.

Ein alter Freund von mir, der sein Berufsleben im wirtschaftlichen Management verbracht hat, fragte mich einmal ganz unschuldig, wieviel wir Wissenschaftler eigentlich bezahlt bekommen, wenn wir bei einem Verlag einen Fachaufsatz publizieren. Immerhin sei so ein Werk unser bestes Qualitätsprodukt, das wir abliefern können, und so ein Verlag müsse froh sein, wenn bei ihm eingereicht wird.

Man erkennt: Er hatte noch einen Blick für die wahren Machtverhältnisse.
Bekommen??–  rief ich daraufhin belustigt, wir müssen froh sein, wenn es gratis ist, aber es kann schon auch mal einige Tausend Euro kosten. Das war meinem Freund, sagen wir mal, eher schwer verständlich zu machen. Schnell war ich beim Kern der Sache angelangt: Es geht hier um Ruhm und Ehre und hehre Einsicht, nicht um schnöden Gewinn.

Vielleicht, weil er eben ein alter Freund ist, mit dem ich manche Gefahren bestanden hatte, hat er sich dann mit dieser Erklärung stillschweigend zufrieden gegeben. . . aber ich spürte nur zu gut, dass ihm das einfach nicht in den Kopf reinwollte.

Vielleicht dachte er sich in diesem Augenblick nur: Ich wusste nicht, dass wir SO verschieden ticken. Er berührte das Thema seither nie mehr wieder.

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Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Paul Dietl

    Sehr treffender Artikel. Erwähnt sei vielleicht noch, dass dieses „Kasperltheater“, wie es Herr Sanders bezeichnet, nicht nur zunehmend dem „peer review“, also der Qualitätssicherung im Wissenschaftssystem, das Genick bricht, sondern auch noch mit Abermillionen an öffentlichen Geldern finanziert wird. Aber da sich das „System Wissenschaft“ mit all seinen Facetten in einem Elfenbeinturm befindet, ganz weit entfernt von den täglichen Problemen der Menschen, kümmert das natürlich niemanden.

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