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Helmuth Schönauer
Abgeklärte Birne
Stichpunkt

Auch wenn es keine Untersuchungen darüber gibt, so ist die Behauptung sicher nicht falsch, wonach die Tirolernden aus sich heraus politische Menschen sind, die man intellektuell nennen darf.

Manchmal wird dieser Begriff, der aus dem Feuilleton in die freie Fläche der Schipisten hinüber geschwappt ist, etwas bodenständig als „Inter-Leck-Teller“ ausgesprochen, was ja die Haupttätigkeit des Alpin-Intellektuellen ist: Er schleckt zwischen den Gängen irgendetwas ab!

Während der Fußball-WM kommt es auch heuer wieder zu mannigfaltigen Treffen von Intellektuellen, die sich bei Bier und Gelächter zusammenhocken und Fußball schauen.

Auf der Innsbrucker Uni hat sich aus der Gruppe der deutschen Freunde gar eine Widerstandsgruppe gebildet, die sich im sogenannten Demo-Hörsaal zusammengefunden hat. Offiziell, um sich gegen das Klima anzukleben, in Wirklichkeit aber, um die WM anzuschauen, sitzen sie doch wie angeklebt vor dem Beamer.

Selbstverständlich handelt es sich bei dieser studierenden Gruppe um lauter Intellektuelle, die es – wie in Deutschland üblich – vor allem auf die Moral abgesehen haben.

Während also ihre deutsche Nationalmannschaft im Wüstenstaat mehr schlecht als recht Spiele absolviert, um für die Homosexualität zu demonstrieren, stehen ihre Fans vor dem Dilemma, dass sie zwar instinktiv zuschauen wollen, moralisch aber nicht dürfen.

Als echte Intellektuelle haben sie sich auf einen Kompromiss geeinigt. Weil sie alles selber mit dem Kopf machen, schauen sie auch beim Fußball nur jene Szenen an, bei denen mit dem Kopf gespielt wird. Eine geniale App ermöglicht es, alles herauszuschneiden, was ohne Kopf geschieht.

Die Tirolernden Studenten stehen vor dem Demo-Hörsaal und wissen nicht recht, wie sie sich verhalten sollen. Schauen sie nämlich das ganze Spiel, gelten sie als provinziell, schauen sie aber nur die Kopfballszenen, sind sie alkoholgefährdet, weil sie die Zeit zwischen den Kopfstößen mit einem Getränk überbrücken müssen.

Das ganze Desaster mit dem Widerstand, den Protesten und der Moral geht überhaupt auf einen früheren Rektor der Universität Innsbruck zurück, der den Studierenden einen Raum zum Demonstrieren zur Verfügung gestellt hat mit der Begründung: „Wer ordentlich studiert, muss auch ordentlich demonstrieren!“

Seither wird der Demo-Hörsaal von den Studierenden selbstverwaltet. Ab und zu müssen sie als Gegenleistung eine Demo abhalten, sonst verfällt ihr Anspruchsrecht.

Die aktuell Demonstrierenden schleichen in den Klo-Pausen an den heimischen Intellektuellen vorbei und erkundigen sich nach den diversen Spielständen. Vier zu null für Homo! Dieser Satz wird  sofort des Platzes verwiesen.

Nur ein kleiner Teil der Tore fällt übrigens mit dem Kopf. Das ist eine gesunde Entwicklung, wenn man an die vielen Erkrankungen denkt, die den früheren Stars im Alter in die Birne fahren.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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