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Gerda Walton
Die Sache mit der Jät-Therapie
Notizen

Derzeit kommt das Leben in geballter Form auf uns zu, ich möchte da jetzt gar nicht zu sehr ins Detail gehen, wir alle erleben es täglich und vermutlich auch noch recht lange. Den einen betrifft es mehr, den anderen weniger.

Aber ganz ohne Frage läuft uns derzeit mehr über die Leber als nur die berühmte Laus. Und gar nicht so wenige haben einfach aufgehört, die täglichen Nachrichten einzuschalten oder Tageszeitungen zu lesen und praktizieren stattdessen die berühmte „Vogel- Strauß- Methode“, bei der man bekanntlich den Kopf in den Sand steckt, um nichts mehr zu hören und zu sehen.

Das erinnert mich an eine Porzellanfigur auf der Kommode einer Nachbarin, die mich als Kind unglaublich faszinierte: nämlich die auch heute noch berühmten drei weisen Affen, die sich, wenn man sie leicht anstupste, abwechselnd Mund, Augen oder Ohren zuhielten. Würde man sich heute nicht auch wünschen, das zu können?

Nur die Tapfersten unter uns bemühen sich immer noch beharrlich, den Kopf Tag für Tag aufs Neue über Wasser zu halten, um nur ja den womöglich doch irgendwann auftauchenden Silberstreifen am Horizont nicht zu übersehen. Er dürfte aber wohl noch länger auf sich warten lassen.

Bekanntlich kann man aber aus jeder Situation Kapital schlagen. Und so bemühen sich unzählige Hefte der „Regenbogen- Kultur“, gute Ratschläge zur Krisenbewältigung unter das depressive Volk zu streuen und damit ein bisschen Geld zu machen, um zumindest die Stromkosten der Redaktion bezahlen zu können.

Ich kann auf alle gut verzichten, habe ich doch meine ganz persönliche stromsparende Geheim-Therapie, die ich aber gerne mit allen teile, die womöglich auch Bedarf haben, weil sie beim Nachdenken über unser aller Zukunft regelmäßig in eine trübe Endzeitstimmung verfallen.

Jetzt, im Herbst, gibt es keinen besseren Therapie-Platz als den Garten, in dem die Arbeit nie aufhört. Momentan bin ich gerade mit einer wahren Berserkerwut dabei, die den Sommer über wieder einmal ins Riesenhafte gewachsenen Sträucher auf ein vernünftiges Maß zurückzuschneiden.

Natürlich nicht mit der Motorsäge, die liegt bis auf weiteres im Keller. Nein, mein Antrieb ist reine Muskelkraft und folglich, dem Zeitgeist entsprechend, extrem „energieeffizient“, obwohl diese Art des Sparens in den wirklich raffinierten Vorschlägen offensichtlich ziemlich haushaltsunerfahrener PolitikerInnen glatt vergessen wurde.

Unter dem Motto „Es wird in die Hände gespuckt“ wird einzig durch Muskelpower Sack um Sack mit Grünschnitt und depressiven Gedanken angefüllt und zur Deponie gebracht, bis mir die Arme wehtun und ich vor lauter Müdigkeit ganz auf meine Wut auf all jene vergesse, die unsere bis vor kurzem zwar auch beklagte, im Nachhinein betrachtet aber doch ganz wunderbare Welt systematisch zerstören.

Besonders effizient ist auch eine Jät- Orgie, bis einem der Schweiß herunterrinnt. Die kann ich auch wärmstens empfehlen. Aber leider ist mir als Folge allzu vieler Therapienotwendigkeiten für heuer das Unkraut bereits ausgegangen.

Für das kommende Jahr kann ich nur hoffen, dass in meinem Garten wieder ganz viel Unkraut nachwächst. Ich werde es wohl dringend brauchen, damit meine Gesundheit nicht allzusehr leidet. Inzwischen werde ich mich hoffentlich mit Schneeräumen therapieren können. Denn so wie es derzeit aussieht, ist leider zu befürchten, dass es noch für einige Zeit mehr als genug Gründe für meine exzessiven Jät- oder ersatzweise notfalls Schneeräumorgien geben wird.

Aber ich habe mir bereits eine Strategie zurecht gelegt, was ich machen könnte, falls mir aus gegebenem Anlass im nächsten Jahr das Unkraut vorzeitig ausgehen sollte. Ich werde ganz einfach die Tageszeitungen mit ihren Horrormeldungen kompostieren, dann treten diese den Weg alles Irdischen an, bekanntlich sind sie ohnehin bereits am nächsten Tag Altpapier. Vielleicht hilft das ja auch, zumindest ein kleines bisschen.

Weit, weit lieber wäre es mir allerdings, wenn mir bis zum nächsten Frühling die Gründe für’s exzessive Jäten völlig abhandenkommen würden. Sogar dem Giersch, meinem erklärten Todfeind, würde ich dann den Ausbreitungsdrang verzeihen und seinem Wachsen und Gedeihen mit Gelassenheit, ja sogar großer Freude zusehen.

Wünschen kann man es sich ja!

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Gerda Walton

Gerda Walton ist ein wandelndes botanisches Lexikon. Sie hat in den letzten Jahren weit über 600 Gärten dieser Welt bereist, die sie mit viel Einfühlungsvermögen auch fotografisch festgehalten und über die sie zahlreiche Artikel in renommierten Gartenzeitschriften geschrieben hat.

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