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Karlheinz Töchterle
Pfui, Wahlkampf!
Notizen

Vorweg: Ich schreibe das als Betroffener, als Wähler und Staatsbürger, der eine Zeit lang auch ‚Partei bezogen’ hat, zuerst als Umweltbewegter bei den Grünen, dann bei der ÖVP, wenn auch nie als deren Mitglied, aber als von ihr nominierter Minister und Abgeordneter (das ist tatsächlich möglich) und ihr also solidarisch verbunden, sowie als ehemaliger Uni-Rektor, was jedenfalls immer politische Relevanz hat.

„Wahlkampf ist eine Zeit fokussierter Unintelligenz“, soll der ehemalige Wiener Bürgermeister Häupl einmal über den seiner eigenen Partei geurteilt haben, und dieses Zitat wird noch heute gerne bemüht. Ich gebe Häupl Recht, vor allem was seine SPÖ betrifft. Ich habe als Betroffener und Akteur erlebt, dass seine Partei den Staatshaushalt vor drei Nationalratswahlen mehrere Milliarden Euro gekostet hat.

In den kurzen Phasen koalitionsfreien Agierens unmittelbar vor anstehenden Wahlen hat die SPÖ z.B. die Abschaffung der Studiengebühren erreicht (ich habe 2008 als Rektor den mir gut bekannten ehemaligen Grünen-Chef Van der Bellen beschworen, hier nicht mitzugehen, und er hat meine Argumente eingesehen, aber eingewandt, dass er nicht gegen die gegebene politische Zwangslage stehen könne), sie hat die teure und ungerechte „Hacklerregelung“ durchgesetzt und schließlich den Pflegeregress ohne irgendwelche Ersatzfinanzierungen (z. B. eine Pflegeversicherung) abgeschafft und die Kosten der Allgemeinheit aufgehalst. Die ÖVP war entweder in der Minderheit oder hat aus Angst vor Stimmenverlusten mitgetan.

Gerne demonstrieren auch Journalisten ihr feines Sensorium, wenn sie, besonders in Frühphasen vor Wahlen, die Substanz von politischen Äußerungen oder Aktionen mit Hinweis auf bevorstehende Wahlen relativieren wollen. Das Schlagwort „Wahlkampf“ macht alle möglichen Ankündigungen und Versprechen politischer Aktivität nieder und zu leeren, zumeist als ‚populistisch’ denunzierten Worthülsen.

Womit man eine Mehrheit zu gewinnen hofft, ist für den, der es aus seiner Sicht ‚moralisch’ oder sonst fragwürdig findet, eben populistisch und damit verwerflich. Cicero definierte die res publica noch als res populi, aber diese Zeiten sind lange vorbei.

Das alles zeigt ein bedenkliches Demokratieverständnis. In vielen repräsentativen Demokratien sind Wahlen das nahezu einzige Mittel des Souveräns zu politischer Mitwirkung. Wahlen sind also das Hochamt dieser Verfassungsform, sonst gibt es kaum Möglichkeiten. Volksbegehren und die wenigen weiteren Ansätze direkter Demokratie in unserer Verfassung können angesichts ihrer fast immer feststellbaren Folgenlosigkeit bzw. Seltenheit leider nicht als Gegenargument ins Treffen geführt werden.

Wenn ich allerdings einen Blick auf den aktuellen Tiroler Landtagswahlkampf werfe, neige ich dazu, vom Tenor der Ironie in meiner Überschrift in den der Invektive zu wechseln. Was einem da auf den Plakaten zugemutet wird, lässt das erwähnte Hochamt zum Kabarett degenerieren.

Oder ich versteh’s einfach nicht, dass wir kein Russengas mehr brauchen, „wenn wir alle zusammenhalten“. Vielleicht eher: Wenn wir vor Kälte zusammenrücken?

Und mich wundert, dass jemand ohne irgendeine nachweisliche Qualifikation plötzlich „Bildung kann“ und „Wirtschaft“ sogar „besser“. Schon die verhunzte Syntax lässt zumindest an jener ersten Behauptung zweifeln.

Und ich frage mich, ob das verunglimpfende Porträt eines Mitbewerbers hinter dem eigenen Grinsen wirklich Stimmen bringen wird. Hoffentlich nicht!

Sollen wir das Hochamt also mitfeiern? Es fällt schwer, aber aus Mangel an Alternativen wird man wohl dabei sein. Dringend wäre allerdings ein Überdenken unserer demokratischen Verfasstheit und ihrer eher trostlosen Praxis. Dazu vielleicht ein andermal mehr in diesem Blog.

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Karlheinz Töchterle

Karlheinz Töchterle ist österreichischer Altphilologe und Politiker. Er war von 2007 bis 2011 Rektor der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck und vom 21. April 2011 bis zum 16. Dezember 2013 Bundesminister für Wissenschaft und Forschung. Von Oktober 2013 bis November 2017 war er Abgeordneter zum Nationalrat. Privat: Konditionsstarker Bergsteiger, begeisterter Flügelhornist und Fußballtrainer der dörflichen Jugendmannschaft.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Günther Aigner

    Vielen Dank für diesen Kommentar. Die Wahlplakate sind auch mir negativ aufgefallen, die Inhalte teils auf kabarettistischem Niveau. Ich frage mich folgendes: 1.) Sind die politischen Parteien und ihre Vordenker wirklich überzeugt davon, was sie auf ihre Plakate schreiben? Sind sie wirklich so seicht? Oder, noch schlimmer: 2.) Ist es nötig, derart platt-populistisch-dümmliche Botschaften zu lancieren, um Wählerstimmen zu lukrieren? Ich befürchte zweiteres, und das wäre dann ein sehr alarmierender Zustand unserer Demokratie. Es wäre ein fast schon post-demokratischer Zustand.

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