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Helmuth Schönauer
Die Landsa
Short Story

Wenn eine Ministerin vorzeitig aus ihrem Amt abberufen wird, ist sie meist angefressen und vernichtet alles, was in ihrem Büro herumsteht, damit sich niemand an ihren intimen Arbeitsgeräten bedient oder gar erfreut.

Machen wir uns nichts vor, bei einer Ministerin ist alles intim, was nicht in der Pressekonferenz gesagt wird. Als man in diesem Kriegssommer die Ministerin für künstliche Intelligenz überraschend nach Tirol zurückschickt, von wo aus sie dereinst ihre Intelligenz-Karriere begonnen hat, herrscht bald großes Rätselraten, was nun mit der KI geschehen wird.

Trotz ihres angeblich mehrjährigen Wirkens nämlich ist immer noch nicht ersichtlich, ob es in Österreich schon eine Künstliche Intelligenz gibt? Und wenn ja, wo sie sitzt?

Einer Rechercheplattform von digitalen Lyrikern ist es inzwischen gelungen, sie ausfindig zu machen. Sie heißt Schrammi und ist eine gewesene Ministerin, die in die Cloud geflüchtet ist. So einfach hängen in Österreich die komplizierten Dinge mit sich selbst zusammen.

Schrammi bietet mittlerweile ein Programm für Dichter an, mit dem sie punktgenau auf der Bedürfnis-Scheibe der Leser landen, wenn sie sich an die Vorgaben halten.

I
Der pensionierte Bibliothekar liegt in diesem Sommer viel in seinem Gartenloch und lässt die Welt um ihr eigenes Firmament kreisen.

Über W-LAN ist er mit der schreibenden Pensionisten-Szene verbunden und ruft regelmäßig Nachrichten aus dem Trash-Pool ab, um daraus Gedichte zu machen.
Intern hat er sich einen gewissen Ruf als Lyrfluenzer (Lyriker + Influenzer) erworben.

Ab und zu freilich muss er eine Shortstory generieren, um seinen Kids zu beweisen, dass er noch selbstständig Finger auf die Tasten legen kann. Andernfalls würde man ihn ins Altersheim überstellen, wo es für demente Dichter seines Schlages allerhand Schreibübungen gibt. Eine besonders gefürchtete besteht darin, die Bundeshymne zu gendern und ein Land der Hämmerinnen und Dominas zu kreieren.

Als der Bibliothekar im Gartenloch das Schrammi-Programm durchscrollt, stößt er auf ein Angebot, wie man ohne eigenes Zutun eine tolle Geschichte entwickeln kann – durch bloße Anwendung von KI nämlich.

Jetzt, bei genauerem Hinsehen, sieht der User im Halbschatten seines Loches, dass es auf der Tastatur tatsächlich einen KI-Button gibt, mit dem man Schrammi anwerfen kann.

II
Er (der Bibliothekar), nicht faul, drückt den KI-Button und eine Shortstory wird gebootet.

Die Geschichte ist schier unglaublich, weil sie so logisch ist. Durch kluge Schaltung irgendwo im Netz sind diverse Literaturschichten neu aufgeladen, sodass sich ein neues Genre entwickeln kann, das direkt auf das Herz der Tirolernden abzielt.

Die Tirolernden werden mit einem besonderen Algorithmus bedient, der im wesentlichen auf folgenden Thesen beruht:

1. Wenn ich den Faschismus gendere, ist er nicht mehr gefährlich.
2. Wenn ich die Eroberung von Natur als Abenteuer beschreibe, kann ich eine neue Gattung von Helden schaffen.
3. Wenn ich zum Panzer Auto sage, zur Stalin-Orgel Schilift und zum Bunker Chalet, kann ich mit dem Erzähl-Inventar des Landser-Heftchens die Geschichte aktuell aufrollen.

Die KI geht dabei in den ersten Schritten logisch vor und macht sich dann selbständig, sodass sie geheimnisvoll wird wie Literatur.

Aus dem bewährten „Landser-Heft“, das ganze Generationen dazu benützt haben, um in den 1950ern den verlorenen Krieg zu bewältigen und wohl auch die eine oder andere Selbstbefriedigung am lesenden Körper vorzunehmen, hat sich jetzt durch KI die „Landsa-Literatur“ entwickelt.

Dabei sind die Heldinnen gegendert und kämpfen in kleinen Stoßtrupps gegen den Wolf, gegen Umweltschützer, die einen Tunnel verhindern wollen, und letztlich sogar gegen die pure Wasserkraft, indem sie während der Kesselschlacht eine Tamariske auszureißen versuchen, die der Feind gegen die Wasserkraft ins Spiel bringt.

Die Kampftruppe hat keine Ideologie, sie kann einmal gegen dies und dann wieder gegen das kämpfen, wenn der Kampfauftrag mit schönen Losungen hinterlegt ist.

III
Das Programm schnurrt und der Dichter schnurrt wohlwollend mit, so leicht ist das Dichten schon lange nicht mehr gewesen.

Wir steigen ein in eine Szene, wo Hannibala, Wiltrut und Gerfut für einen Stoßtrupp vorbereitet werden, um einen bereits gesichteten Wolf aufzuspüren, zu stellen und schweigend zu vergraben.

– Wenn das der Landeselektriker wüsste!
– Hör auf, der ist informiert.
– Ohne die Bauern kann er nichts machen.

Die drei schminken sich mit Tarn-Kohle, die sie aus einem steirischen Kraftwerk geklaut haben.

– Seit wir keine Russenkohle mehr haben, schwillt mir das Gesicht immer auf, ich bin da sehr empfindlich mit der Gesichtshaut, wenn ich mir „Mellach Zwo“  auftragen muss.
Hannibala zeigt ein Tattoo auf dem Unterarm, wo man einen gesprengten Schilift sieht.
– Solange die Unterarme halten, ist mir nicht Bange um das Land.

Die drei gehen noch einmal die Befehlskette durch. Hannibala ist Feldweblerin und die Ranghöchste, ihr unterstehen Wiltrut als MG-Schützin und Gerfut als Krad-Melderin. Und alle drei sind sie Landsa, wie im Volksmund niedrige Charginnen genannt werden, wenn sie am Land kämpfen und nicht in der Stadt.

Tatsächlich sind die Landsa nur am Land einsetzbar, sie gehen dem Häuserkampf aus dem Weg, außer bei Wochenendhäusern, die inzwischen flächendeckend auf der Grasnarbe stehen.

– Es gibt nichts Schöneres, als ein Wochenendhaus Drohnen-unterstützt wegzuputzen, bis auf die Grundmauern!
– Und am Grundbuchamt fängt im gleichen Augenblick ein Notar zu jammern an, weil wir ihm das Objekt weggesprengt haben, das er mit viel Fantasie gerade einem Doitschen angedreht hat!

Aber heute ist der Wolf dran, er ist leider noch nicht besendert, sodass man ihn nach konventioneller Methode aufspüren muss. Das Ohr an das Seil des nächstbesten Schilifts halten und dem Jaulen nachgehen, das sich über die gespannten Seile kreuz und quer über das ganze Land verbreitet!

Hinter einem Geländerücken, wie er sonst als Aufputz für automatisierte Volksmusik verwendet wird, sitzt tatsächlich der Wolf und grinst frech, weil er ja von Brüssel aus geschützt ist.

So ein Grinsen muss man erst einmal gesehen haben! Aus Bilderbüchern kennt man es, wenn aus dem Wolf noch die Beine der Großmutter herausschauen, die er soeben gefressen hat. Aber in freier Natur?

Freilich kann der Wolf nicht lange so frech schauen, da macht es peng, und die drei Landsa nehmen ihre Lawinenschaufeln aus dem Rucksack und buddeln den Feind weg. Während des Kampfeinsatzes wird nicht gesprochen, das unterscheidet echten Kampf von Sport, wo man ja mehr über Ausrüstung und Kondition spricht, als man dann überhaupt zum Einsatz kommt.

Das Letzte, was der Wolf mit seinen inzwischen zusammenbrechenden Augen sieht, sind die Unterarme der Landsa und ihre Tätowierungen. Den explodierten Schilift hatten wir schon, deshalb wird er hier nicht noch einmal erzählt.

Während die KI dichtet und arbeitet, poppen immer wieder Fenster auf, in denen Schrammi erklärt, warum sie etwas so und nicht anders erzählt. Diese Erklär-Blasen zum Text zeigen dem Dichter, wie weit er mit seiner Story schon ist, und in welchem Zustand vermutlich der Leser an dieser Textstelle sein wird. In der germanistischen Romantik hat man Meta-Ebene dazu gesagt.

Blase: Explodierender Schilift ist bereits erklärt, jetzt stehen lassen und warten, bis der Leser erregt ist!

Blase: Fortfahren mit Tamariske!

Ok, der Wolf sieht also sechs Unterarme, auf denen zu erkennen sind: ein explodierter Schilift (Doppelbügel! Auf jedem Unterarm einer!), eine doppelschaftige Tamariske (jeweils ein Unterarm), und eine Doppelröhre vom Lermooser Tunnel (Achtung, am rechten Unterarm noch nicht ausgeführt).

Als der tote Wolf diese Orgie an Zeichensprache verarbeitet hat, sieht er bereits nicht mehr, wie Erde über ihn geschaufelt wird und die drei Landsa zuerst den Grabhügel flachtreten und dann gefechtsfrei hüpfen. Erst jetzt sagen sie Wörter wie „geil“, „ich brauch was zwischen die Beine“ und „huch!“

Blase: Landsa sprechen sexistisch angetörnt, wenn der Kampf vorbei ist!

IV
Der Bibliothekar staunt nicht schlecht, wie Schrammi den Text für ihn herunterschreibt. Jedes Wort ist algorithmisch berechnet und auf die Tirolernden ausgelegt. Und alles gegendert, dass es einen Ständer macht! (Der Dichter spricht ungegendert, weshalb er im Text leicht zu erkennen ist!)

Einen Fehler freilich scheint die KI zu haben: Sie lässt sich nicht ausschalten, wenn sie einmal gestartet ist. Schrammi als Büchse der Pandora? Der Bibliothekar scrollt zurück, ob die Wurst schon lange genug ist, dass er damit den Kampf gegen das Altersheim gewinnen kann.

Die Stelle mit dem eingegrabenen Wolf empfindet er spontan als Höhepunkt und würgt den PC ab.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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