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Elias Schneitter
Zwang und Pflicht
Notizen

Für mich war Jörg Haider jener Politiker, der die Politik der Nachkriegszeit in eine neue Richtung lenkte. Sein politischer Erfolg gründete darauf, dass er es grandios verstand, die alten Strukturen madig zu machen und als überholt darzustellen.

Er geißelte den Proporz, den Kammerstaat, die Sozialpartnerschaft und brachte die gesamte Sozialversicherung als Zwangsherrschaft in Verruf. Er weckte bei einfacheren Gemütern sehr erfolgreich Missgunst und Neid gegen die da oben. Bei Intellektuellen und den Medien wurde er zum sunny-boy, zum „ großen politischen Talent“ hochstilisiert, und bei Teilen der Wirtschaft fand er viele Förderer, denen der (ausufernde) Sozialstaat ohnehin ein Dorn im Auge war.

Im Windschatten von Haider kam eine neue dynamisch gestylte Generation an die Futtertröge, für die Solidarität ein Schimpfwort war: Haider, Grasser, Kurz mit seiner Entourage etc. waren und sind die Proponenten.

Dieser Generationenwechsel hatte massive Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, wie man z.B. auch daran erkennen kann, dass sich ein Drittel der Österreicher weigert, sich impfen zu lassen. Keiner von diesen sähe das als seine Pflicht an, fühlt sich verantwortlich, seinen Beitrag zu leisten, um die Seuche zu bekämpfen. Staatlicher Zwang geht schon gar nicht.

Es scheren sie weder die wirtschaftlichen Folgen, noch die überfüllten Krankenhäuser und auch nicht das am Anschlag arbeitende Pflegepersonal. Das kümmert sie nicht, denn ich bin ich und ich poche auf meine Freiheit, auch wenn diese auf Kosten anderer geht.

Einige dieser Verweigerer sind sich nicht zu schäbig, selbst den „Judenstern“ als Zeichen ihrer Unterdrückung ins Spiel zu bringen. Abscheulicher geht es nicht mehr. Aber für diese Apostel leben wir ja ohnehin in einer Diktatur.

Natürlich wissen diese Leute sehr genau, dass für sie als große Kämpfer der Selbstbestimmung im Fall der Fälle ein gutes Gesundheitssystem zur Verfügung steht und dass Papa Staat bei finanziellen Verlusten einspringt. Man kann auf die Solidarität der Mehrheit zählen, ohne selbst etwas beizutragen.

Manchmal frage ich mich – und Herr Hofinger hat es in seinem Blog-Beitrag sehr eindrücklich geschrieben: wie kommen Kranke dazu, für diese „Impfverweigerer-Klientel“ auf ein Intensivbett verzichten zu müssen.

Da kommt einem unwillkürlich der dumme Gedanke in den Sinn, mögen sich diese Helden und Freiheitskämpfer für den Fall, dass es sie schwer mit dem Virus erwischt, doch der Behandlung von Dr. Kickl mit Wurmmittel und Vitamin C unterziehen, oder Desinfektionsmittel schlucken, wie es der große Blonde aus den USA propagiert hat.


Note 1: Die dauernde Klage von der gespaltenen Gesellschaft geht mir schon auf die Nerven. Ich möchte nämlich keinesfalls in einer einheitlichen, homogenen Gesellschaft leben.

Note 2: Häufig hört man, dass die „klassischen“ Arbeiter nicht mehr die Sozialdemokratie wählen. Hier in Wien unternehme ich regelmäßig Spaziergänge und da komme ich an vielen Baustellen vorbei, und ich glaube, mein Blick täuscht mich nicht, dass die große Mehrheit der Arbeiterschaft Migrationshintergrund hat. Also müsste es richtigerweise, was die Wahl betrifft, heißen, dass die „Werktätigen“ nicht Sozialdemokratie wählen, weil sie (sie) nicht wählen dürfen.

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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Otto Riedling

    Ab 8. Dezember müssen in Singapur Ungeimpfte – es werden Ausschließungsgründe angeführt –
    bei Spitalsaufenthalten wegen Covid-19 einen finanziellen Beitrag leisten.

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