Print Friendly, PDF & Email

Penicillin statt Klunker

Nicht über die Entlassungen bei Swarovski Wattens sollte man sich wundern, sondern darüber, dass sie erst heute erfolgen. Denn wer braucht die Glitzersteinchen, von denen das Unternehmen seit Jahrzehnten lebt und die der immer größeren Eigentümerfamilie ein Luxusleben erlauben? Zumal die großen Erfolge auch nicht genutzt wurden, krisensicherere Produkte zu entwickeln. Wie es etwa Antibiotika sind, die bei Novartis in Kundl hergestellt werden.

Der deutsche Soziologe Andreas Reckwitz teilt in seinem Buch „Das Ende der Illusionen“ die Wirtschaftsgeschichte nach 1945 in zwei Perioden ein. In eine erste, die bis in die 1980-er-Jahre reichte und durch die Herstellung von Gebrauchsgütern wie Autos oder Geschirrspüler gekennzeichnet war. Und in eine zweite, die bis heute andauert und, wie der Autor es ausdrückt, auf kulturell und kognitiv aufgeladenen Produkten aufbaut, auf Marken, auf Distinktion, auf 5-Sterne-Tourismus, SUVs etc.

Wenn die Analyse von Reckwitz zutrifft, sind nicht nur die Entlassungen bei Swarovski leicht zu erklären. Möglicherweise besteht die wichtigste Folge der Covid-19-Pandemie nämlich darin, dass Millionen von Konsumenten aus Angst, aus Geldmangel oder einfach nur deshalb, weil sie ihre ganz persönliche Glücksbilanz gezogen haben, zur Bedarfswirtschaft zurückkehren, indem sie sich fragen: Was brauch ich wirklich? Und antworten: Antibiotika ja! Klunker nicht unbedingt!



Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare

  1. Kleinbauer Christian

    Lieber Hr. Schöpf,
    offensichtlich waren Sie noch nie auf Urlaub, haben ihren Liebsten noch nie was geschenkt, besitzen auch kein Auto, keine Haus mit Garten und Pool, denn das sind auch alles Luxusgüter, die man nicht braucht, genausowenig oder viel wie man Swarovski Schmuckstücke, Broschen, Uhren, Manschettenringe, schöne Gläser für besondere Anlässe, funkelnde Kleinigkeiten, die Freude bringen. Für was sind wir auf der Welt? Ihrer Argumentation nach nur zum Arbeiten, für die wirklichen wichtigen Dinge auf der Welt? Oder auch um nach getaner Arbeit etwas Freude zu geben, zu schenken, zu geniesen, genau das macht Swarovski mit seinen Steinen und Verkaufsartikeln, Freude schenken, das braucht die Welt in dieser schwierigen Zeit umso mehr, und wir in Tirol haben diese Freudemachfirma vor der Haustüre, die in Wattens das produziert, was in Europa verkauft wird. Man kann in die Kristallwelt gehen und direkt erleben, was Swarovski mit seinen Produkten für eine Vielfalt generiert hat. Alles dient nur einem Zweck, Freude für gewisse Stunden zu bereiten, und für diese Freude und das bisschen Extra bin ich auf der Welt. Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Tag und hoffe, dass Sie nicht den ganzen Tag arbeiten und molochen müssen und deshalb krank werden, damit Sie das Penicillin kaufen müssen, was neuerdings nicht mehr in Asien hergestellt werden soll, sondern in Kundl.

    1. Alois Schöpf

      Sehr geehrter Herr Kleinbauer!
      Ich danke Ihnen sehr herzlich für die Zustimmung.

      Ich gebe Ihnen übrigens in jedem Satz recht, den sie schreiben. Natürlich ist eines der wichtigsten Ziele unserer ganzen Existenz, Freude zu empfinden und Freude zu vermitteln. Allerdings schreibe ich in meinem Artikel am Ende auch etwas von der Glücksbilanz. Ich möchte Sie auf diesen kurzen Satz hinweisen, denn das entscheidende Argument im Hinblick auf einen von mir erwarteten Paradigmenwechsel in der Wirtschaft ist doch die Frage, ob die Konsumshysterie der letzten Jahre tatsächlich in der Lage war, die von ihnen reklamierte Freude zu vermitteln bzw. ob es gelungen ist, durch hysterischen Konsum entsprechende Freude empfinden zu können. Genau das scheint mir nicht der Fall gewesen zu sein, denn sonst würden nicht die meisten, die ich über ihre Erfahrungen in der sogenannten Quarantänezeit befragt habe, die Festungen getätigt haben, dass für sie dieses verordnete Wenig ein Mehr an Lebensqualität generierte. Ganz in diesem Sinn werden die Menschen auch die Produkte von Swarovski überprüfen und je nach ihrer Glücksbilanz weiterhin kaufen oder nicht kaufenn. Penicillin hingegen hat mit der Glücksbilanz sehr wenig zu tun, es gehört eher in den Bereich der Überlebensbilanz.
      Es würde mich freuen, wenn ich Ihnen meine Argumente verdeutlichen konnte, denn ich gehöre durchaus zu jenen, welche die Lebensfreude äußerst hoch einschätzen.

      Mit herzlichen Grüßen
      Alois Schöpf

      1. Kleinbauer Christian

        Sehr geehrter Hr. Schöpf,
        Vielen Dank erstmals, dass Sie mir überhaupt zurückgeschrieben haben. Nachdem Sie ihre Artikel doch immer wieder sehr provozierend schreiben und wir uns, meine Frau und ich, oftmals darüber gewundert und auch geärgert haben, haben wir 2 Arten von 1 Menschen hinter dem Schreiberling vermutet. Zum einen, der wach rütteln will und deshalb provozierend schreiben muss, damit er überhaupt zum Denken und Agieren anregt und zum zweiten, weil er von Natur aus ein Nörgler und Querulant ist, der sowieso drauf sch…, was andere denken und wie sie an einer Sache arbeiten.
        Ich schreibe Ihnen zurück, weil ich mir nach Ihrer Antwort denke, Sie könnten in die Kategorie 1 fallen. Danke. Dann habe ich Ihre Erwartungen erfüllt und Sie dürfen mein Email vom 1. August in ihrem schoepfblog übernehmen.
        Wie Sie vermuten könnten, arbeite ich schon seit Langem bei der Fa. Swarovski, angefangen nach zufälligen Begegnungen und ohne konkreten Wunsch dort überhaupt arbeiten zu wollen, aus einer Laune heraus, dort mal den Richtigen zu fragen, vollkommen unbürokratisch und ebenso bin ich damals angestellt worden, in einem Bereich, wo ich alle Bereiche der Produktion und der Nebenwelt kennenlernen durfte und so ziemlich alles gesehen habe mit mehr oder weniger stetigen ?? , wieso die Eine oder andere Entwicklung gemacht wurde. Als ich dann mit Hinterfragen fertig war, habe ich langsam damit begonnen zu hinterfragen und mich zu wundern, warum jemand unsere Produkte überhaupt kauft, kann man ja nicht runterbeissen, hat kein Statussymbol, gibt’s keinen Hype, ist kein Ultrafettes oder dünnes Handy. Ich hatte das große Glück über die letzten Jahre direkt in die Gesichter von Besucher schauen zu können, als sie Produkte von Swarovski in den Kristallwelten zum erstem Mal sahen und auch die feilgebotenen Ausstellungsräumen betraten und über sich ergehen lassen mussten, je nachdem ob freiwillig dort oder mit einer Jungendgruppe in zweifelhafter körperlicher Verfassung nach durchzechten Jugendnächten.

        Alle hatten am Ende das gewisse Lächeln in den Mundwickeln oder das große Staunen und der Mund ging nicht mehr zu; sie mussten im Shop irgendwas ergattern, das das Staunen und das Erinnern daran verlängert, je größer das Staunen und die Unwissenheit darüber war, wie man so etwas funkelndes herstellt oder schlichtweg, weil es genialer als alles andere funkelte und glitzerte, musste es einem einfach gehören. Da setzen teilweise einfach die Ratio aus; wurde am Anfang des Shop´s noch zwischen Eheleuten getuschelt, „ wir kaufen nur was ganz Kleines – so als Andenken“, so wurde danach im Freien gemeckert, „ ma wenns doch so schön ist und so glitzert und funkelt“.
        Teilweise setze einfach das Hirn aus- gut so- für uns- für die Wirtschaft, schließlich investierte Swarovski in den vergangenen Jahren mehrere 100 Mio Euro jährlich am Standort Wattens und bezog so ziemlich alles aus Tirol und Österreich, da gehen die Umsätze nicht nur in die Taschen der Familienangehörigen.
        Geht’s also Swarovski schlecht, geht’s dem ganzen Land schlechter, fehlen die Umsätze in vielen Firmen und Familien im Land Tirol. Ich würde nur bitten, nicht auf eine Firma hinzuhauen, wenn sie schon am Boden liegt und sich von Grund auf neu ordnen muss mit und ohne Corona. Corona hat den ganzen Umbauprozess nur verzögert und Corona hat fast zum Todesstoß geführt. Es ist schwierig genug, die Firma neu zu ordnen und wieder auf gesunde Beine zu stellen, da braucht es die Hinhauer und Schlechtschreiber nicht.
        Ich weiß das gerade aus eigener Erfahrung, musste ich mich einer nicht alltäglichen Knie-OP unterziehen und bin gerade in Reha, da braucht man keine Obiziaga, Besserwisser und Leute, die auf andere Kosten ihren Tagelohn aufbauen- auch wenn dieser schlecht recherchierter Journalismus heißt. ( wobei ich nicht Sie selber meine, sondern die ganzen Kasblattl Draufhauer)

        Danke
        Glitzer, Funkel, Freude
        Kleinbauer Christian

  2. Reinhard Kocznar

    Eine Antwort auf die Frage, was brauche ich wirklich, könnte das Zusammenlegen von Marketing und Vertrieb in der genannten Firma sein. In dem einen Bereich kann man sich die Welt ausdenken, wie sie gefällt, im anderen sind Erfolg und Misserfolg präzise messbar. Ich habe jahrelang bei Umfragen mitgemacht, nicht, um meine Meinung kundzutun, sondern um erfahren, was gefragt wird. Anfangs war ich entsetzt, später nur mehr belustigt. Wenn es etwas gibt, was realitätsferner ist als eine Marketingabteilung, dann kenne ich es noch nicht.

  3. Ernst Maier

    Guten Morgen Herr Schöpf!
    Kompliment, sie sprechen in Ihrer Kolumne das aus, was sich Vertreter aus Politik und Wirtschaft – aus welchen Gründen immer – nicht offen zu sagen getrauen.
    Lg und schönes WE
    Ernst Maier

  4. Rinaldo

    Penicillin UND Klunker
    …zu produzieren wäre erstrebenswerter als situationselastisch Thesen zur Rückkehr oder Umkehr zu einer Bedarfswirtschaft zu verfolgen.
    Reckwitz hat sicher keinen Einwand gegen Arbeit, um zu überleben. Produzenten benötigen Arbeitskräfte und stellen Arbeitsplätze zur Verfügung.
    Der Arbeitskraft kann es grundsätzlich egal sein, ob sein Arbeitgeber Penicillin oder Klunker produziert und ob dies jemand braucht oder nicht, auch ob es sich um eine immer reicher werdende Familie oder um einen Staatsbetrieb handelt, solange er mit dem für seine Tätigkeit bezogenen Einkommen auskommt.
    Wenn ein Bereich wegfällt, da aufgrund einer Krise plötzlich erkannt, von jemandem eingeredet oder gar erzwungen wird, etwas „nicht mehr zu brauchen“ , dann geht es garantiert bergab, in die Bedarfswirtschaft, in einen teuflischen Kreislauf, worüber sicher einschlägige Literatur vorhanden ist.
    Der wirtschaftliche Aufstieg von Swarovski dürfte nicht mit Klunker, sondern mit einem Gebrauchsgut, nämlich mit Swareflex begonnen haben, durch dessen geniale Erfindung auch noch in der zweiten, in der „Luxusperiode“, steigende Absatzmärkte vorhanden sind, da das Produkt als Komponente zahlreicher Luxusartikel dient.
    Dieser Idealfall könnte als Beispiel dienen – auch wenn Swareflex mittlerweile nicht mehr zu Swarovski gehört. Man sollte in der aktuellen Krisensituation nicht auch noch negative Gedanken wälzen oder Predigten halten wie „endlich werden sich die Menschen besinnen und nur mehr kaufen, was sie unbedingt brauchen“. Dies möglicherweise auch noch in Verbindung mit einer staatlichen Entscheidung, was dazu zählen darf und was nicht.

  5. Rinaldo

    Nicht
    ENTWEDER ODER
    sondern SOWOHL ALS AUCH
    wäre anzustreben, auch in schwierigen Zeiten.

Schreibe einen Kommentar