Wenn alle sich duzen!

Unlängst schrieb mir ein Leser, den Tirolern sei es „genetisch unmöglich, einen Fehler einzugestehen“. Manchmal habe ich denselben Eindruck. Vor allem im Hinblick auf Ischgl. Wenn man nämlich bedenkt, wie familiär hierzulande der Umgang der Politiker mit der Bevölkerung ist und wie sehr die Familie sich vor allem durch genetische Verwandtschaft konstituiert, hat die These einiges für sich.

Das Wesen der Demokratie besteht nämlich darin, dass jemand Gleicher von Gleichen gewählt und, sofern seine Leistungen nicht anerkannt werden, wieder abgewählt wird. Ganz anders ist dies in der Familie. Da bleiben Vater, Mutter, Onkels, Tanten und Kinder auf ewig in derselben Rolle, auch wenn sie ihr noch so wenig gewachsen sind. In einer Familie werden auch die Familienoberhäupter nicht ausgewechselt, wie es in einer Demokratie üblich ist, sondern erduldet. Kritiker werden daher, da der Familienfrieden das höchste Stammesgut ist, ausgeschlossen, wenn sie nicht still sind.

Was mich an der Aufarbeitung der Vorfälle im Corona-Hotspot stört, ist die Leichtfertigkeit, mit der hier Korruption und Geldgier unterstellt werden. Die wahre Ursache liegt meines Erachtens auch in diesem Fall weniger darin, als vielmehr in einer Kultur der herzerwärmenden Familiarität, die es im allgemeinen Geduze fast unmöglich macht, auf Probleme analytisch und – ohne Glasl Wein und langes Blabla – rasch zu reagieren!

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Karlheinz Veit, Innsbruck

    Hallo Herr Schöpf !
    Zu “ Wenn alle sich duzen !“
    Zitat Schöpf „….wenn man nämlich bedenkt , wie familiär hierzulande(…)
    der Umgang der Politiker mit der Bevölkerung ist….“
    Und das geschrieben nur 3 Tage(…) nach
    “ diesem widerwärtigen Luder“…..!!!

    Man lernt nie aus…..! Guat Nacht Tirol !
    Mit kopfschüttelnden Grüßen
    Karlheinz Veit , Innsbruck

    1. Alois Schöpf

      Sehr geehrter Herr Veit!

      Darf ich Sie schon darauf hinweisen, dass genau jener familiäre Umgang, also im Umkehrschluss die Unfähigkeit zu einem zivilisierten weltbürgerlichen Verhalten, genau zum Spruch unseres Landeshauptmannstellvertreters passt.
      Ich beziehe ihr Kopfschütteln also nicht unbedingt auf mich. Was meinen Sie?
      Mit herzlichen Grüßen
      Alois Schöpf

      1. Karlheinz Veit, Innsbruck

        Sehr geehrter Herr Schöpf ,
        Sie richtens sich’s auch wie Sie wollen – statt einmal zu sagen ( und zwar nur mir, weils keiner weiß….!) das hätte ich 3 Tage nach dem saublöden Spruch anders formulieren können . Nein , „i muaß onfach recht haben“ – tirolerisch eben….!

  2. Helmut Leisz

    SEHR GEEHRTER HERR SCHÖPF –
    erfreut konnte ich in ihrer Kolumne vom Samstag mein Gen-Zitat lesen!
    DANKE!

    Ich bin auch ihrer Meinung „la familia“ ist nicht nur in Tirol das WICHTIGSTE …
    … um einen guten Posten zu erhalten
    … um Karriere zu machen
    … um an die Fleischtöpfe zu gelangen
    usw.
    etc.

    Das ist der Tiroler Weg … gerade vom LH gehört!

    Da passt auch die „geislerische Aussage“ wie die Faust auf´s Auge … und wie er sich
    herauszuwinden versuchte!

    Er hat mit seinem Sager vom „w.L“ natürlich eine unmögliche – frauenfeindliche – unentschuldbare
    Aussage gemacht … aber die harte Tiroler Mundart ist auch heute noch – lebendig und oft grenzwertig!

    Das habe ich in fast 30 Jahren als „Zuagezogener“ in Axams erlebt und erst nach langer Zeit begriffen!
    Wenn du als gebürtiger Innsbrucker – nur circa 10 Kilometer von der Landeshauptstadt entfernt – hörst –
    “ … dia seiische Facke“ oder
    „… der Schwein nit g´folgt …“ verbindest du absolut kein Lob damit!

    Aber in der Axamer Mundart … IST DAS EIN LOB!
    Da bist du fast geadelt!
    Begreife das als „NORMALO“ …. etwas schwierig – oder?!

    Und die Konsequenzen dieser verbalen Entgleisung – fadenscheinige Entschuldigungen – wie dargestellt –
    und von der „FAMILIE“ …. zwar gerügt …. aber sonst …. NICHTS!

    Auch ein Rücktritt von einem lukrativen Amt kommt in der Struktur dieser „Familie“ nicht vor …
    am ehesten wird man nach „OBEN“ entsorgt – vor allem „finanziell“!

    G´SUND BLEIB´N und a SCHIANE ZEIT!

    Liabe Griass – ihr dankbarer Helmut Leisz

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