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Literarische Korrespondenz:
Johannes Sprenger an Andreas Niedermann
Betrifft:
Israel-Besessenheit?

Der Leserbrief:
Andreas Niedermann vom 25. April 2024

Die Besessenheit der Österreicher von Israel. Alle haben etwas zu vermelden, auch wenn sie den Staat auf der Karte nicht auf Anhieb finden würden.
Der Hunger, der von islamistischen Mörderbanden in anderen afrikanischen Staaten verschuldet wird, und tausende Opfer fordert, ist keiner Erwähnung wert. Warum?
Ist halt nicht sexy. Sexy ist es nur, wenn Israel involviert ist.


Sehr geehrter Herr Niedermann,

haben Sie, außer der pauschalen Diffamierung Anderer, auch etwas zur Sache zu sagen? Oder besteht Ihre Sache lediglich darin, den Österreichern pauschal das Recht abzusprechen, sich zum Nahostkonflikt überhaupt zu äußern? Aber lassen Sie mich vorne beginnen, ich werde darauf noch zurückkommen.

Seit ich denken kann, und das ist, in aller Bescheidenheit, schon eine Weile her, begleitet dieser, mittlerweile doch über hundertjährige Konflikt, zumindest in der Form, in der er seit 1948 und spätestens seit 1967 erscheint, die europäische Öffentlichkeit. Seit dem 7. Oktober 2023 ist er wieder täglich in den Medien, natürlich auch in den österreichischen. 

Ist diese tägliche Präsenz auch Ausdruck der Besessenheit der Österreicher, weil es so sexy ist, darüber zu berichten? Nach Ihrer Theorie, wenn ich so sagen darf, obwohl Sie mir, wenn Sie erlauben, auf einer eher pornografischen Ebene angesiedelt zu sein scheint, müssten die Österreicher sich das alles täglich ansehen und anhören müssen, aber sich ja nicht erlauben, auch darüber nachzudenken, oder gar etwas zu sagen, von schreiben gar nicht zu reden. 

Das ist nur erlaubt, wenn es um islamistische Mörderbanden geht. Und wenn Sie von anderen afrikanischen Staaten sprechen, kann ich Ihnen versichern, dass Sie gerade Israel dort nicht auf der Karte finden werden. Ich jedenfalls weiß genau, wo ich es zu suchen habe.

Der Whataboutismus Ihrer Wortmeldung ist mir seit ebenso langer Zeit bekannt wie meine Beschäftigung mit dem Nahen Osten nun schon andauert. Ich stelle mir da immer eine Straßenszene vor, in der jemand einen Anderen auf offener Straße zusammenschlägt, und auf den Protest der Umstehenden antwortet: Kümmert Euch lieber um die anderen, noch viel schlimmeren Verbrechen, das hier ist eine Kleinigkeit und nicht der Rede wert. Außerdem hat der da es nicht anders verdient.

Am 21. April hat Der Standard, eine österreichische Tageszeitung, wahrscheinlich aus reiner Besessenheit und weil es so sexy ist, einen Artikel der österreichischen Schriftstellerin und Malerin Julya Rabinowich veröffentlicht, in dem sie sich über die Empathielosigkeit gegenüber den Israelis seit dem 7. Oktober beklagt.

Diese Klage ist in manchen Fällen durchaus berechtigt, sie bleibt aber irgendeine Präzisierung, an wen sie eigentlich ihre Vorwürfe richtet, schuldig – sie nennt nur Prominente und Unbekannte, und beklagt, dass gebetsmühlenartig […] Sätze hinuntergeleiert [werden], die allen Israelis, ja überhaupt Juden und Jüdinnen den Generalverdacht entgegenbringen, per se verderbt, gierig, landraubend zu sein. Alles Zionisten! Die Protokolle der Weisen von ebendort feiern fröhliche Urständ.

Wer diese Sätze hinunterleiert, sagt sie nicht – und damit auch nicht, wer sich betroffen fühlen soll – ich habe den Verdacht, dass es alle sein sollen, die sich herausnehmen, die israelische Politik zu kritisieren, also auch Leute wie ich.

Nur: Habe ich (und meinesgleichen) jemals, schriftlich oder mündlich, solche absurden Äußerungen getan, wie sie uns hier pauschal in den Mund gelegt werden? Wenn ich die Politik der israelischen Rechten, also besonders jene Sharons und dann Netanyahus, kritisiere, weiß ich mich eines Sinnes mit jüdischen Intellektuellen wie etwa Daniel Cohn-Bendit, Deborah Feldman, Eva Menasse oder Masha Gessen – lauter Besessene?

Und: Seit wann ist Zionist ein antisemitisches Schimpfwort (außer in der stalinistischen UdSSR)? Israel ist doch ein Produkt des Zionismus, und seine Vertreter nannten sich doch selbst so. Ich stehe nicht an, dieses Produkt als eine historische Notwendigkeit anzusehen, an deren Etablierung wir Europäer einen außerordentlich hohen Anteil haben – ich erspare mir jetzt, zu präzisieren, vor wem sich denn die Juden haben in Sicherheit bringen müssen – und auf wessen Kosten. Aber gerade deshalb tragen wir eine besondere Verantwortung für alles, was dort geschieht.

Am Ende ihres Artikels schreibt Julya Rabinowich: Dass die Regierung Netanjahu [sic!] eine Katastrophe für das Land ist, steht wieder auf einem anderen Blatt. Also ist es doch erlaubt, Kritik zu üben? Aber warum steht das auf einem anderen Blatt? Ist denn die gegenwärtige Katastrophe nicht katastrophal genug, um eine verantwortliche Regierung zu kritisieren – ohne damit gleich alle Israelis und alle Juden pauschal zu beschimpfen – oder welches Blatt muss denn noch gewendet werden, damit dies erlaubt sei? Eines der Blätter mit den Katastrophen der Regierung Netanyahu wird doch gerade beschrieben!

Und warum ist Netanyahu nur für das Land eine Katastrophe? Ist er das nicht auch für die Palästinenser (bezeichnend für alle diese Diskussionen, dass auch hier dieses Wort erst jetzt, nach so vielen Sätzen fällt, als ginge es nur um Israel und als würden die Palästinenser gar nicht zählen)? Ich habe schon früher geschrieben, dass wir uns das Ganze vielleicht hätten sparen können, hätten wir die letzten zwanzig Jahre auch ein bisschen Empathie für die Bewohner von Gaza übrig gehabt (von den Palästinensern im Westjordanland rede ich jetzt nicht, doch steht auch das nicht auf einem anderen Blatt). Aber das ist ja nicht sexy.

Und da Netanyahu ja zweifellos mindestens eine Katastrophe für das Land ist, kann man ihn ja doch auch aus Empathie gegenüber den Israelis kritisieren, nicht zuletzt denen gegenüber, die monatelang gegen seine Korruption und seine Machinationen mit dem Justizsystem demonstriert haben.

Um es wieder einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Wir Europäer tragen Verantwortung für das Schicksal von Israelis und Palästinensern gleichermaßen.

Und nun zum Ausgangspunkt, sehr geehrter Herr Niedermann: Soll ich Ihnen erzählen, was ich sonst noch sexy finde (nur, damit Sie sehen, wovon unsereiner noch besessen ist): z.B. Jugoslawien (und das ist noch lange nicht alles!) – yeah! Das geile Jugoslawien! Es ist doch großartig, so etwas Geiles vor der Haustür zu haben! 

Von 822, der ersten Erwähnung eines serbischen Staates, über 879, der Gründung des ersten kroatischen Staates, 1180, der Gründung des ersten bosnischen Staates, 1389, der Schlacht auf dem Amselfeld, 1463, der Eroberung Bosniens durch die Osmanen, 1516, der Gründung des Fürstbistums Montenegro, 1878, dem Berliner Kongress, 1908, der Annexionskrise, 1913, dem zweiten Balkankrieg, 1918, der Gründung des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen, 1929, der Königsdiktatur Alexander I. und der Gründung des Königreichs Jugoslawien, 1941, dem Putsch der serbischen Generäle und dem deutschen Einmarsch, 1945, der Gründung der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien, 1974, der Kardelj’schen Verfassungsreform, 1980, dem Tod Titos und dem Zerfall des Staates beginnend mit 1989, endend mit der Unabhängigkeit Kosovos 2008 (um nur ein paar wenige der allerwichtigsten Eckdaten zu nennen). Alles das ist so wunderbar traurig und von so viel sinnloser Gewalt begleitet. Richtig sexy eben.

Sie sehen also, ich bin keineswegs so monogam, wie Sie uns Österreicher hinstellen wollen – warum auch immer. Also: Haben Sie, außer der pauschalen Diffamierung Anderer, auch etwas zur Sache zu sagen?

Herzlich Ihr Johannes Sprenger

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Johannes Sprenger

Johannes Sprenger, geb. 1958 in Innsbruck, ist Saxophonist, Komponist und Musikpädagoge, studierte Saxophon und Musiktheorie in München, Innsbruck, Graz und Wien. Zahlreiche Aufenthalte in Ländern des Spätstalinismus der 1980-er-Jahre und daraus resultierende persönliche und berufliche Beziehungen. Kompositionen für Kammerorchester, Kammerensembles, Bühnen- und Filmmusik, Lyrik und Kurzprosa. Von 1993 - 2011 als eine Hälfte von „AkkoSax“ zusammen mit Siggi Haider Theater-, Film-, Hörspiel- und CD-Produktionen, Österreichischer Weltmusikpreis 2008. Seit 2013 zusammen mit Klemens „Klex“ Wolf „FransenMusik“ - freie Improvisation, Elektronik, Musik und Literatur. Zusammenarbeit mit dem Tiroler Kammerorchester InnStrumenti, dem Orchester der Akademie St. Blasius und dem Tiroler Ensemble für Neue Musik (TENM). Letzte Veröffentlichungen „Aspekte des Nahostkonfliktes“ Edition BAES 2023, „Bad Relations“, LP der Rockband „Fennymore“ hs productions 1980/2021, mit Johannes Sprenger als Sänger, Texter, Saxophonist und Produzent.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Johannes Sprenger

    und…:
    Ich kritisiere Netanyahu nicht, weil ich mir etwa herausnähme, anderen Ländern ihre Staatsoberhäupter vorzuschlagen (ganz abgesehen davon, dass Netanyahu nicht das Staatsoberhaupt Israels ist – aber wie sollten Sie das wissen? Macht ja auch nichts, ist ja wurscht…), nein, ich tue das, weil er mit meinem Gewissen spielt, und das gestehe ich ihm nicht zu. Ich bin immer wieder darüber amüsiert… nun ja… darüber, dass es Menschen gibt, die sich auf ihre Ahnungslosigkeit auch noch etwas einbilden. Und Ihre Frivolität sowie Ihr Eingeständnis, nichts zu sagen zu haben, ist Beweis für etwas ganz Anderes – worüber zu diskutieren sich nicht lohnt.

  2. Johannes Sprenger

    Meine Herren,
    lieber weiß ich Bescheid, als dass ich Blödsinn über Andere rede. Und dieser Konflikt ist nicht irgendein beliebiger auf der Planetin, sondern einer, in den wir zutiefst verstrickt sind. Deshalb haben wir zu ihm auch gefälligst eine Meinung zu haben.

    J.S.

  3. Andreas Niedermann

    Ich finde, Sie haben eben gerade den Beweis für meine vielleicht etwas frivol formulierte Behauptung abgeliefert. Und nein, ich habe zu „der Sache“ sonst nichts zu sagen. Ich überlasse es Ihnen, und all den anderen Bescheidwissern.

  4. Reinhard Kocznar

    Wir wissen, welche Staatsoberhäupter für andere Staaten die richtigen wären, wir sind verantwortlich für Konflikte auf der Planetin, daher auch zuständig, kompetent eben. Notfalls würden wir auch bis zum letzten amerikanischen Soldaten kämpfen. Wir werden einfach zu wenig gefragt. Ein österreichisches Schicksal.

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