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Walter Klier bespricht:
Hermann Borchardt
Werke, Band 1
Autobiographische Schriften

In diesem Frühjahr ist im Göttinger Wallstein Verlag ein beachtenswertes Buch erschienen, von dem ich befürchte, daß es so wenig beachtet bleiben wird, wie sein Autor es zeit seines Lebens war und auch später geblieben ist.

Hermann Borchardt wurde als Hermann Joelsohn 1888 in Berlin geboren, studierte Philosophie bei dem von ihm sehr verehrten Johannes Rehmke, dem er den Spruch zuschrieb: „Man soll die Welt, die voller Geheimnisse ist, nicht noch geheimnisvoller machen.“

Den Weltkrieg überstand er bei der Sanität; 1917 starb sein Vater, ein wohlhabender Kaufmann, der das ererbte Judentum nicht ablegte, wiewohl er nach den Worten seines Sohnes nur an die Tresore der Deutschen Bank, den Großen Generalstab des Deutschen Reiches und daran glaubte, dass drei Pfund Rindfleisch eine gute Suppe geben. Das beträchtliche Vermögen des Vaters ging bald verloren, aufgrund welcher Umstände, wird weder aus den eigenen Texten noch aus dem Nachwort in diesem Band völlig klar.

Borchardt lebte dann als Gymnasiallehrer in Berlin (Latein, Deutsch, Geschichte); 1925 nahm er wegen des zunehmenden Antisemitismus den Namen seiner Mutter an. Er publizierte in der satirischen, von der KPD herausgegebenen Zeitschrift „Der Knüppel“.

Hiefür hatte er den Vornamen Hans gewählt; sein Freund, der Maler George Grosz, schrieb in seiner Autobiografie über ihn:

„In Deutschland, da lebte ein kleiner Mann,
Borchardthans so hieß er
Den stellten sie als Lehrer an,
Er lebte wie ein Spießer.
Doch im Geheimen in seiner Kammer
Beschrieb er der Menschheit ganzen Jammer.“

Schon 1918 hatte er sich als Mitglied des Arbeiterrates von Groß-Berlin politisch auf der Linken profiliert und – dies gegen die vorherrschende Stimmung – für ein Bündnis zwischen Sozialisten und Kommunisten plädiert. Bereits 1919 urteilte er über den neuen Sowjetstaat allerdings: „Wenn absolut regiert wird, heißt das eben Absolutismus.“ 1927 schrieb er an Grosz: „Die Marxisten sind Dummköpfe … Aber sind die anderen so großartig?“ Im selben Jahr brach er mit der Redaktion des „Knüppel“ und machte sich gleichzeitig auch im bürgerlichen Lager nach Möglichkeit unbeliebt.

Er freundete sich mit Bertolt Brecht an und schrieb auf dessen Anregung hin Stücke, die in der Weltwirtschaftskrise allerdings ungespielt untergingen.

Bereits im April 1933 wurde er von einem Lehrerkollegen „wegen einer angeblich antideutschen Abituraufgabe“ denunziert und flüchtete nach Paris. Dort spöttelte er darüber, wie „den armen jüdischen Emigranten von den reichen jüdischen Emigranten das Geld abgeknöpft wird“. Und über Frankreich: „Die werden hier bald Faschismus haben und den letzten Refugié herauswerfen.“

Ein Rätsel bleibt (nach dem informativen Nachwort dieses Bandes), warum Borchardt 1934 eine Stelle als Lehrer in Dijon ausschlug und stattdessen eine Professur in Minsk annahm. Er begebe sich, schreibt er, in „pauvreté, Kälte, Verstellung und Maulhalten: alles Sachen, die ich so gut leiden kann“.

Nach zwei misslichen Jahren in Minsk wurde er von dort nach Deutschland zurückgeschickt und landete umgehend im Konzentrationslager.

Einmal im Leben scheint er wirklich Glück gehabt zu haben: Nach einem Jahr wird er, körperlich versehrt und gesundheitlich angeschlagen, wieder entlassen und kann im Juni 1937 dank der unermüdlichen Hilfe von George und Eva Grosz in die USA ausreisen. Die Familie kann kurz darauf folgen.

Das Überleben in Amerika gelingt durch die tatkräftige Hilfe von Freunden, Gönnern und Hilfskomitees. Zwar kann er einige Texte publizieren, doch vom Schreiben zu leben, gelingt ihm so wenig wie den meisten anderen Emigranten. Ein Bekannter staunt, wie er es fertigbringt, „in New York ohne Geld in der Tasche ausgehen zu können“. Und er zerstreitet sich praktisch mit seinem ganzen Bekanntenkreis, nämlich den linken Autoren, die sich ebenfalls in die USA hatten retten können.

Zu seinem einzigen, 1943 gekürzt auf Englisch veröffentlichten Roman Die Verschwörung der Zimmerleute meinte Klaus Mann, es sei „eines der am ausschweifendsten reaktionären Bücher, die seit der Zeit von Metternich geschrieben wurden.“ Es erschien erstmals ungekürzt auf deutsch 2005 im Weidle Verlag, in einer Besprechung von Walter Hinck in der FAZ als „schwer verdauliche 1000 Seiten“ charakterisiert, die er trotz aller Mühe dennoch nachdrücklich empfiehlt.

„Manche enden katholisch, andere paranoisch, andre stockkonservativ – wenige richtig normal“, schrieb seinerzeit Arthur Koestler an Alfred Kantorowicz. 1944 nahm Borchardt die amerikanische Staatsbürgerschaft an und konvertierte zum Katholizismus. Gesundheitlich bereits stark angegriffen erlag er 1951 nach fünf überstandenen Herzinfarkten dem sechsten.

Lukas Laier, einer der Herausgeber und Verfasser des Nachworts, stellt fest: „So ist Hermann Borchardts intellektueller Lebensweg, dessen scharfe Wendungen herausstechen, doch von erstaunlicher Geradlinigkeit. Unangepaßtheit zeichnete sowohl den Sozialisten wie den Konservativen Borchardt aus, ebenso Aufrichtigkeit, Redlichkeit und eine große Liebe zur Wahrheit.“

Die nun vorliegenden „Autobiografischen Schriften“ sind nicht nur lesenswert als Illustration eines exemplarischen Lebensweges im vergangenen Jahrhundert, sondern auch wegen der Schilderung der Verhältnisse in der Sowjetunion der mittleren 1930er Jahre. Die „Lagerbuch-Fragmente“ (über sein im KZ verbrachtes Jahr 1936/37) verstören durch ihre gelassene Unverblümtheit und gerade dadurch, dass dem Erzähler im Vergleich zu so vielen anderen fast nichts „Schlimmes“ zustößt – wir sind noch in der Zeit vor dem Massenmord. Aber die detailreiche Schilderung des so wahllosen wie zielstrebigen Quälens und Erniedrigens schlägt sich dem Leser doch nach und nach auf den Magen.

Hermann Borchardt, Werke, Band 1, Autobiographische Schriften. Hrsg. von Hermann Haarmann, Christoph Hesse und Lukas Laier. Wallstein Verlag, Göttingen 2021, 359 S.

Walter Klier

Walter Klier (* 5. Juli 1955 in Innsbruck) ist ein österreichischer Schriftsteller, Kritiker, Herausgeber, Autor von Berg- und Wanderführern und Maler. Klier war von 1980 bis 1984 Mitherausgeber der satirischen Zeitschrift „Luftballon“ und von 1989 bis 1997 Mitherausgeber der Kulturzeitschrift Gegenwart (Innsbruck). Unter dem Pseudonym Luciana Glaser publizierte er 1990 gemeinsam mit Stefanie Holzer die Erzählung „Winterende“. Publizistisch trat er auch als Literaturkritiker in der Feuilletonbeilage „extra“ der Wiener Zeitung und als Kolumnist der Tiroler Tageszeitung hervor. Zahlreiche Buchveröffentlichungen. Als Maler beschäftigt sich Klier vor allem mit der Berglandschaft, die er sich schon als Autor von Berg- und Wanderführern erschlossen hat.

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