Tiroler Tageszeitung, Apropos, Legale Irreführung, 4. Juli 2020

Was ist das? Eine Kalbsleberstreichwurst mit fünf Prozent Kalbsleberanteil? Oder: Ein Original Nord- bzw. Südtiroler Speck mit Fleisch von niederländischen bzw. chinesischen Schweinen? Oder: Eine Auflistung der Inhaltsstoffe, die nicht einmal mit der Lupe und bei bester Beleuchtung zu entziffern ist! Oder: Vollendete Bio-Lyrik, die von „Heumilch“ faselt, obwohl jedermann weiß, dass Kühe im Sommer „Kühgras“ fressen! Und das Tierwohl? Das spielt bestenfalls im Nischenbereich, also eigentlich überhaupt keine Rolle!

Im normalen bürgerlichen Leben würde man all das als „Beschiss“ bezeichnen, was es nicht sein kann: Denn es ist legal! Daher hat sich die Frage an den Gesetzgeber zu richten: Mit welchem Recht wird in der Lebensmittelbranche eigentlich die Irreführung des Konsumenten, wenn nicht gar der Betrug an ihm geradezu geschützt und gefördert?

Hier soll nicht eine ganze Industrie an den Pranger gestellt werden. Solch qualitätsvolle Lebensmittel wie heute hat die Menschheit noch nie konsumiert, weshalb wir auch länger leben. Dennoch bleibt die Ehrlichkeit bei allem, was wir essen und trinken, ein höchstes Gut, das derzeit unter die Räder der Marketinglügen gerät. Bäcker, die im Mittelalter zu kleine Brötchen buken, wurden zur Strafe in Jauche getaucht. In besonders krassen Fällen würde man sich das – zumindest zur Abschreckung – auch heute wünschen! Und zwar nicht nur für Bäcker!

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Sepp Margreiter

    Ja, lieber Alois,
    mein, sicher auch dein Wunsch möge in Erfüllung gehen, nämlich, dass deine Zeilen vielfach auch dort ankommen, wo diese Irreführung ihre Wurzeln hat.
    Ja natürlich: Konsequenzen und Änderungen sollen daraus entstehen !
    Aber: So lange sich ein Großteil der Menschen so verarschen lässt, ist der Irreführung wohl Tür und Tor geöffnet.
    Nicht beim WirtIn, oder KöchIn müsste man da gegensteuern (mit überbürokratischer Kennzeichnungspflicht etwa), nein, schon viel weiter vorne, bei den Groß-Lieferanten solcher Irreführungen bzw. Deklarationen.
    Mach weiter so, geschätzter Alois.
    Mit freundlichen Grüßen Sepp.

  2. Gerhard Rohrer

    Sehr geehrter Herr Schöpf ,

    Zu Ihrer Kolumne am heutigen Samstag in der TT:
    Gratulation – endlich traut sich jemand diese Missstände aufzuzeigen.
    Eine Bemerkung möchte ich aber hinzufügen, die in Ihrer Aufzählung fehlt und gerade für ältere Menschen ein massives Problem darstellt.
    Oftmals ist die Angabe des Ablaufdatums selbst für noch gut sehende Junge auf der Verpackung kaum erkennbar oder nur sehr schwer zu lesen.
    Wäre es nicht höchst an der Zeit, dass der Gesetzgeber eine klar definierte Vorgabe bezüglich Schriftgröße und Erkennbarkeit des Ablaufdatums
    der Verpackungsindustrie vorgibt ?

    Mit freundlichen Grüßen
    Gerhard Rohrer

  3. Rinaldo

    Pflanzerei
    Unlängst hab ich Kletterzucchinipflanzen gekauft, die aber leider nicht daran dachten zu klettern, obwohl ich ihnen jede Menge Aufstiegshilfen errichtete. Gegen einfallende Blattläuse und Raupen hat man mir nicht gerade billige Schädlingsbekämpfungsmittel verkauft, welche letztlich leider zur totalen Vernichtung der Pflanzen führten. Auch das zusätzlich empfohlene Mittel gegen Schnecken, die ich nie zu sehen bekam, da sie offenbar nur bei Nacht Löcher in die Blätter fressen, diente als Delikatesse für die Viecher, da nach wie vor Löcher in die wenigen noch vorhandenen Blätter gefressen wurden. Wahrscheinlich habe ich Fehler gemacht, die Gifte zu schwach oder zu hoch dosiert, den falschen Zeitpunkt erwischt, den Kletterzucchini schief angeschaut, oder es hat mich heuer einfach nur mein jahrelang recht erfolgreicher „grüner Daumen“ gepflanzt, der bisher in meinem handtuchgroßen Garten und einigen Kübeln stets zu reichlicher Ernte geführt hat.
    Ein Gefühl des „Gepflanzt-werdens“ überkommt mich immer wieder: Seit einiger Zeit werden unsere Berg- und Wanderwege, ich nehme an EU-vorschriftsmäßig, mustergültig mit zahlreichen richtungspfeilweisenden gelben Taferln ausgeschildert, wogegen grundsätzlich nichts einzuwenden wäre. Das Gefühl, gepflanzt zu werden, entsteht allerdings dann, wenn diese Taferln immer wieder trotz eindeutig sichtbaren Wegverlaufs auftauchen, allerdings oft genau dann vermisst werden, wenn an einer Weggabelung Zweifel aufkommen, wo es weitergeht. Eine zusätzliche Pflanzerei sind oft auch die Zeitangaben, welche oft nicht erwandert, sondern „am Reissbrett“ anhand von Entfernung und Höhenmetern berechnet wurden.
    Früher einmal gab es Krankenkassen, welche man vorwiegend im Krankheitsfall benötigte, es gab auch Krankenscheine. Heute nennen sich diese Einrichtungen „Gesundheitskassen“. Wenn ich gesund bin, dann habe ich keinen Bedarf an einer „Gesundheitskasse“ und im Krankheitsfall, zum Beispiel zur Einreichung von Arztrechnungen, wäre die Bezeichnung Krankenkasse nach wie vor logischer. Die zwischenzeitlich abgeschafften Krankenscheine müssten dann unsinnigerweise wohl auch als „Gesundheitsscheine“ bezeichnet werden.
    Mindestens zweimal in der Woche fühle ich mich durch den ORF besonders stark gepflanzt, wenn aus einer simplen Lottoziehung eine viertelstündige, Verzeihung, „Deppenshow“ präsentiert wird, in welcher die von einem wundersamen Gerät gezogenen Zahlen nicht nur einzeln bewundert werden dürfen, sondern, wie für geistig Minderbemittelte, auch noch zwei- dreimal vorgelesen werden. Nur mit „stumm“- oder abschalten kann man vor dieser Verhöhnung flüchten, die GIS-Gebühr wird dadurch allerdings nicht ermäßigt.
    In dieselbe Kategorie von Pflanzerei und Verhöhnung der Zuseher fallen zahlreiche, besonders aufgrund der Sendezeit unzumutbare Werbesendungen über Mittel gegen harten Stuhlgang, Inkontinenz und sonstige Delikatessen, als Beilage zum Abendessen. Für total vertrottelt wird man offenbar von den Lutz-Werbefritzen angesehen, auf deren idiotische, in penetrant geringen Abständen wiederholte Werbeshows, worauf der ORF, dem es egal ist, was den Kunden gefällt und was nicht, natürlich nicht verzichten will. Nicht hinschauen kann man, weghören geht nicht gut, darum wenigstens im richtigen Moment „stummschalten“.
    Bei Händlern, welche ihre Kunden pflanzen, für dumm verkaufen, mit stumpfsinnigem „dadada“ andudeln und mit penetranter Werbung nerven, sollte man möglichst verzichten einzukaufen. Wenn es viele tun, dann würde das vielleicht eines Tags bemerkt.
    Möglicherweise bin ich einfach nur viel zu empfindlich und viele Leser werden sagen „dem seine Sorgen möcht‘ ich gern haben“ oder vielleicht ist es doch ein Denkanstoß, sich – wo es möglich ist – nicht immer alles gefallen und pflanzen zu lassen und führt vielleicht zu einer Verlängerung dieser Liste, was mich sehr freuen würde.

    Rinaldo

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