Stephan Eibel
Eine lebenswichtige Frage

Erinnerst du dich noch an unseren ersten gemeinsamen Urlaub?
Wie du fast ertrunken bist? Ich dich im Spital mit Blumen überraschte. Dann dieser Autounfall, wo wir beide das erste Mal fast gemeinsam gestorben wären. Der Polizist wollte mich festnehmen, weil ich zu langsam gefahren bin. Du hast dir ins Fäustchen gelacht, weil du gefahren bist und ich unschuldig zum Handkuss kam. Es war ein wunderschöner Urlaub.

Erinnerst du dich noch an den ersten Besuch bei deinen Eltern? Sie sagten mir, dass in ihr Haus nur der Eintritt fände, der verstünde, mit Messer und Gabel umzugehen. Dein Vater bekam eine Nierenkolik, weil ich mit seinem Jagdgewehr den Jagdhund irrtümlich am Klo erschoss. Erinnerst du dich noch an unsere erste Wohnung? Wie schicksalhaft wir in der ersten Woche die Kündigung des Hauptmietvertrages erhielten, weil wir ein lächerlich kleines Feuer in der Küche entfachten. Hätten wir das Pumpern der Feuerwehrleute an unserer Wohnungstüre nicht beachtet, wäre nichts passiert. So aber öffneten wir aus Höflichkeitsgründen und genau das nützte das Feuer, um sich auszubreiten. War es nicht schön, wie die Nachbarn um ihr Hab und Gut zitterten und ein ganzes Wohnviertel evakuiert werden musste?

War es nicht herrlich, wie wir das erste Mal miteinander schliefen? Ich dir ob lauter Lust den Oberschenkel brach, du ohnmächtig im Spital aufwachtest, und ich dir ein Buch über Heilpflanzen schenkte. War es nicht schön, wie intensiv du dich mit den Oberschenkelschmerzen spürtest?

Erinnerst du dich noch, wie du mit der Heftigkeit eines Filmstars heißes Öl über meinen noch jungen Penis geschüttet hast, ich monatelang auf der Intensivstation lag, vor Schmerzen und Sehnsucht deinen Namen auch Nachts schrie? War unsere Naivität nach deiner zweiten Totgeburt nicht schon wieder herzig? Wir wollten sie im Wohnzimmer in das Terrarium zu den Schlangen legen, die sie wie einen Schatz hüten sollten. Erinnerst du dich, wie wir uns über die Begräbniskosten ärgerten, die diese Totgeburt verursachte?

Erinnerst du dich an unseren ersten gemeinsamen Selbstmordversuch, wobei uns zwei Retter zurückhalten wollten vom Sprung der hohen Brücke und dann selbst hinuntergefallen sind? An die Schwierigkeiten, der Polizei das Ereignis wahrheitsgemäß zu erklären?

War es nicht schön, als du mich mit einer Plastikpuppe im Bett erwischt hast und hochzornig die zu korrigierenden Schulhefte in tausend Stücke zerfetztest und ich einen Tag später von der Schule flog? Du hast den ganzen Tag getanzt und gesungen: „jo er muass, jo er muass von der Schule gehn, jo er muass, jo er muass von der Schule gehn, adios, adios, adios.“

Erinnerst du dich an die schöne Zeit, als ich dich im Gefängnis besuchte, nachdem ich dich wegen Rauschgifthandels anzeigen musste und dir mein Polizeifreund das Koks in deine Handtasche steckte? Beide spürten wir die Scheiße intensiv und weinten ob unseres Schicksals.

Es war doch ein- und millionenfach schön, was wir erlebten. Und jetzt wo du in Freiheit bist, ist dir das mit mir zu langweilig. Werden wir heoinabhängig, dann hätte wir ständig Probleme. Oder geben wir unsere bürgerliche Existenz auf und ziehen in ein Pensionistenheim.

Es war doch wunderschön, wie wir beide die Liebe zueinander entdeckten und sie lebten? Soll unsere vierzigjährige Beziehung nichts anderes als eine Affäre gewesen sein?

Stephan Eibel präsentiert heute, am 9. März, in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur in Wien seinen neuen, im Limbus Verlag erschienen Gedichtband „decke weg“.

9.

Stephan Eibel

Stephan Eibel wurde 1953 in Eisenerz in der Steiermark geboren und lebt seit 1979 als freier Schriftsteller in Wien. Er absolvierte eine kaufmännische Lehre und studierte Soziologie. Zuerst arbeitete er als Lohnverrechner, ab 1976 war er als Leiter der Autorensendereihe „Literatur im Untergrund“ für den niederösterreichischen Rundfunk tätig. Er ist Autor von Lyrik, Erzählungen, Romanen und Theaterstücken, zuletzt erschienen: Sofort verhaften! (Roman, 2008) und Licht aus! (Lyrik, 2012).

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