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Literarische Korrespondenz:
Alois Schöpf an Nicole Staudenherz
Betrifft:
Menschen hinaus! Idylle herein!
Zu den totalitären Grundlagen der Tierrechtsbewegung

Liebe Nicole!

Zuerst möchte ich einmal drei Dinge feststellen. Erstens weißt Du genau, wie sehr ich Deine brillant geschriebenen Analysen schätze. Die Österreichische Tierrechtsbewegung kann sich glücklich schätzen, jemanden mit solcher Argumentationskraft in ihren Reihen zu wissen.

Zum zweiten habe ich deinen Artikel vom Dienstag ganz bewusst auf meinen vom Montag folgen lassen: beide Texte geben zwei vollkommen gegensätzliche Standpunkte wider, woraus folgt, dass schoepfblog nicht ein Ort ist, von dem aus gepredigt wird, sondern ein Forum, in dem verschiedenste Sichtweisen aufeinandertreffen. Denn nur ein solches Aufeinandertreffen macht uns alle zusammen klüger. Dass du diesen Grundsatz, obgleich eine engagierte Kämpferin für Tierrechte, ebenfalls zu akzeptieren scheinst, dafür bin ich dir dankbar.

All dies vorausgesetzt möchte ich dennoch versuchen, deine letzte, den Herdenschutz propagierende Analyse gleichsam gegen den Strich zu lesen, um damit jene Punkte herauszuarbeiten, die meines Erachtens doch etwas zu totalitäre Züge aufweisen und damit der absolut notwendigen Autorität der Tierrechtsbewegung aufgrund von Weltfremdheit schaden.

Alois Schöpf: Die Renaturierung machen wir selbst: https://schoepfblog.at/alois-schopf-renaturierung-machen-wir-selbst-apropos/

Nicole Staudenherz: Für ein Ende der Wildwestpolitik: https://schoepfblog.at/nicole-staudenherz-fur-ein-ende-der-wildwest-politik/

1.
Im Zentrum deines Interesses steht zweifelsfrei das Anliegen, den Tieren als Schmerz und Freude empfindenden, mit einem gewissen Grad an Bewusstsein ausgestatteten Mitgeschöpfen kein Leid zuzufügen. Ein Leid, das in der industriellen Fleischverarbeitung, deren konkrete Fakten wir kollektiv aus unserem Bewusstsein verdrängen, längst skandalöse Ausmaße angenommen hat. Diese absolut berechtigte und notwendige Forderung, dem Tierleid, das unsere fleischfressende Gesellschaft täglich anrichtet, Widerstand entgegenzusetzen, kann, konsequent zu Ende gedacht, derzeit nur durch eine vegetarische, wenn nicht gar vegane Lebensweise erfüllt werden, ein stilles Apriori, das aus den meisten deiner Texte abzuleiten ist und das auch den Vorstellungen von einer Wiederansiedlung von Wölfen, Bären und Luchsen in einer renaturierten Natur zugrunde liegt.

2.
Denn nur in einer Gesellschaft, die auf die rücksichtslose und industrielle Heranzucht jener Lebewesen verzichtet, durch deren Tötung wir unseren Fleischkonsum befriedigen, ist es möglich, das derzeitige Almsystem aufzugeben bzw. auf wenige behirtbare Gebiete einzuschränken, und den Rest wieder der Natur zu überlassen, die, wie du schreibst, nach einer gewissen Phase des Diversitätsverlustes wieder eine neue Diversität entwickeln würde.

Die Bauern wiederum könnten sich im Zuge einer solchen Entwicklung, von der aufwändigen, zeitraubenden und hierzulande meist ohnehin grenzrentablen Vieh- und Milchwirtschaft befreien, den zeitgeistigen Anforderungen an die Work-Live-Balance besser anpassen und der Anpflanzung all jener Gemüsesorten und Ingredienzien widmen, die abseits von Fleisch für die Ernährung der Bevölkerung notwendig wären. Es versteht sich, dass eine Abkehr von der Viehzucht auch die von Menschen verursachte Klimaerwärmung durch die Verringerung des Methanausstoßes radikal reduzieren würde.

3.
In einer solcherart von Tierleid und Almwirtschaft gereinigten Natur könnten nun tatsächlich ohne Probleme wieder jene Tiere zurückkehren, die der Mensch zu seinem Schutz in Zeiten eliminiert hat, als es notwendig war, in Symbiose mit Haustieren in alpinen Gebieten zu überleben. Diese Art des Überlebens ist durch die Erkenntnisse der Naturwissenschaften und die damit verbundenen Agrartechnologien heute jedoch überholt. Neuen, zumindest aus Sicht des Tierrechts paradiesischen Zuständen, für deren Erfolg der Bauer in Zukunft als ein aus öffentlichen Mitteln bezahlter Landschaftspfleger, als der er jetzt schon kräftig subventioniert wird, tätig wäre, stünde also nichts mehr im Wege.

Der Mensch ist in deinem Text, liebe Nicole, allerdings nur dort von Interesse, wo, wie schon gesagt, von geeigneten Flächen, für deren Herdenschutz die Bauern selbst zu sorgen hätten, die Rede ist. Dass der Traum von Veganismus und Renaturierung, konsequent zu Ende gedacht, somit auf Regularien hinausliefe, die schon verdächtig einer sogenannten Ökodiktatur nahekämen, wird dabei wohl zu wenig bedacht.


Dazu drei Anmerkungen

Ad 1
Totalitäre Systeme beziehen ihre Anziehungskraft vor allem daraus, dass sie die grundsätzliche Tragik des Lebens, man könnte auch von einem Konstruktionsfehler sprechen, auszublenden versuchen, zum Beispiel sterblich zu sein, was die Religionen durch das Angebot der Unsterblichkeit vergessen lassen möchten.

Einer dieser grundsätzlichen Konstruktionsfehler besteht darin, dass sehr viele Lebewesen, darunter auch der Mensch, vom Tod anderer Lebewesen leben, indem sie sie töten und essen. Nur der Mensch ist jedoch in der Lage, dieses keineswegs intelligente, sondern grausame Design der Schöpfung zu korrigieren, indem er, wie John Stewart Mill feststellt, die Natur nicht verherrlicht, sondern sie als einen Ausbund aller nur möglichen Folterqualen definiert. Kultur ist somit auch als Kampf gegen dieses Faktum zu verstehen, etwa wenn die Medizin versucht, Krankheiten zu heilen, Schmerz zu bekämpfen, das Leben des Menschen zu verlängern und seinen Tod erträglich zu gestalten..

In gleicher Weise muss es auch ein kulturelles Bestreben des Menschen sein, das Tierleid, das entsteht, weil wir Tiere essen, essen müssen, dadurch zu verringern, dass Fleischersatzprodukte auf den Markt kommen bzw. richtiges Fleisch durch Gentechnik in der Petrischale zwecks Verzehr hergestellt wird. Es ist totalitäre Träumerei, zu meinen, die Menschheit könne sich aus der Tragik ihrer Konstruktion, vom Tod anderer Lebewesen zu leben, binnen kurzer Zeit befreien. Wer dies meint, ist bereit, eine unmenschliche Diktatur des Veganismus zu errichten und im Dienst am Tier den Menschen zu verfehlen.

Ad 2
Die Funktion der alpinen Almwirtschaft besteht nicht nur darin, den Bauern zusätzliche Flächen für Viehzucht und Milchwirtschaft zu schaffen, sondern sie besteht auch darin, mitten in Europa für 200 Millionen Menschen Erholungsgebiete und damit die Möglichkeit eines Ausgleichs zu den hektischen Zwängen des Stadt- und Berufslebens bereitzustellen. Der Erhalt dieses Erholungsgebiets als eine von elementaren Gefahren, zu denen auch Beutegreifer gehören, befreite Landschaft ermöglicht den Alpenländern, darunter auch Tirol, das sich gern als Herz der Alpen bezeichnet, vom Tourismus zu leben, der, wenn es diesen nicht gäbe, entweder die Verarmung der Bevölkerung zur Folge hätte oder der durch die Umwelt wesentlich mehr belastende industrielle Anlagen ersetzt werden müsste. Eine solche Industrialisierung hätte zugleich eine Entsiedelung von Seitentälern und damit eine von Tierschützern sogar herbeigewünschte, gleichsam natürliche Renaturierung großer Landesflächen zur Folge.

Ad 3
Sowohl die Tatsache, dass also trotz aller notwendigen und begrüßenswerten gesetzlichen Schutzmaßnahmen eine von Tierleid befreite Welt erst längerfristig durch Gentechnologie im Bereich der Möglichkeiten liegt, als auch der Umstand, dass die Funktion des Alpenraums sowohl für Mitteleuropa als auch für die unmittelbar dort wohnende Bevölkerung als Erholungsraum unverzichtbar ist, ermöglichen einen geradezu konträren Schluss im Hinblick auf die von dir, Nicole, zitierte wissenschaftliche Erkenntnis, dass die sogenannte fallweise Entnahme von Wölfen keineswegs zu einer Reduktion der Population führt, sondern dies lediglich durch die Duldung von Wolfsrudeln geschehen kann, die von sich aus dafür sorgen würden, dass nicht zu viele Artgenossen in ihre Jagdgebiete eindringen.

Da weder mit einem signifikanten Sinken der Bevölkerungsdichte, noch mit einer relevanten Zunahme der Veganer, aufgrund der Klimaerwärmung jedoch mit einer gesteigerten Nachfrage nach Urlaub in den Alpen gerechnet werden muss, liegt es weder im Interesse der vom Tourismus abhängigen einheimischen Bevölkerung, noch im Interesse der ausländischen Gäste, das Wander- und Gastronomieangebot der alpinen Almlandschaften aufzugeben, noch liegt es im Interesse dieser großen Mehrheit der Bevölkerung, durch eine durch wilde Tiere oder gefährliche Herdenhunde und aggressive Kühe unsichere und damit von Angst besetzte Landschaft wandern zu müssen.

Daher kann im Hinblick auf das Argument, dass die Einzelentnahme von Wölfen geradezu das Gegenteil bewirkt, die Forderung nur lauten, dass Wolf, Goldschakal und Bär, wie es bereits vergangene Generationen erfolgreich getan haben, aus den Alpen konsequent verbannt werden müssen, zumal durch große Wolfspopulationen in anderen Ländern, zum Beispiel in extrem dünn besiedelten Gebieten Skandinaviens, der Status des Wolfes als gefährdete Tierart längst nicht mehr gegeben ist, was ebenso für Bären und Wolfsschakale gilt.

Herzliche Grüße Alois Schöpf

PS:
Aus dieser grundsätzlichen Kritik an einer totalitären Tierrechtsbewegung folgt nicht, dass damit auch das Besetzen eines ÖVP-Büros durch Mitglieder des Vereins gegen Tierfabriken in Innsbruck abgelehnt wird. Tatsächlich ist das Hinausschieben eines Verbots von Vollspaltenböden in der Schweinehaltung eine Liebedienerei zugunsten der industriellen Tierquälerei, die sicherlich von einer Mehrheit der Bevölkerung missbilligt wird. Andererseits sollten die Bürobesetzer sich schon die Frage stellen, ob die arrogante Weigerung des Landwirtschaftsministers, mit ihnen zu reden, auch auf den Umstand zurückzuführen ist, dass die Tierrechtsbewegung durch ihre weltfremde Einstellung zu Wolf und Bär jegliche Autorität verspielt hat und dadurch zum politischen Nullfaktor wurde.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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